© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/09 01. Mai 2009

Die gespaltene Stadt
Volksentscheid „Pro Reli“: Die Abstimmung über den Status des Religionsunterrichts zeigt, daß die Teilung Berlins längst noch nicht überwunden ist
Ronald Berthold

Über Religionsfeindlichkeit in Berlin haben Opposition und Senat zuletzt viel gestritten. Doch obwohl selbst die schärfsten Atheisten der Linkspartei vorgaben, eigentlich überhaupt kein Problem mit dem Glauben zu haben, hat am vergangenen Sonntag die Kirchenfeindlichkeit triumphiert. Das Anliegen, konfessionellen Unterricht mit dem von Rot-Rot eingeführten Fach Ethik gleichzustellen, lehnten die Hauptstädter per Volksentscheid ab. 51,3 Prozent wollten keine freie Wahl zwischen den beiden Fächern zulassen.

Insbesondere die Regierungspartei Die Linke war mit verletzenden Plakaten in den Wahlkampf gezogen. Die Zwiesprache mit Gott gehört demnach für die Postkommunisten vor die Blümchentapete im heimischen Wohnzimmer, wo das – wie das Dürers faltige „Betenden Hände“ ausdrücken sollten – den Alten überlassen bleiben sollte.So wurde selbst Hans-Joachim Meyer ungewöhnlich deutlich. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken sagte, die Fraktionschefin der Linkspartei im Abgeordnetenhaus, Carola Bluhm, freue sich, wenn man sie „eine militante Religionsfeindin“ nenne. Diese dementierte, aber die Kampagne ihrer Partei bestätigte den Vorwurf. Und so fiel auch das Wahlergebnis aus: Während in den Ost-Bezirken, also dem Gebiet der ehemaligen Hauptstadt der DDR, zwischen 71 und 79 Prozent mit Nein stimmten, war die Toleranz für Religion im Westteil deutlich größer. Hier votierten 60 bis 70 Prozent für eine freie Wahl der Schüler.

Und so wird immer deutlicher, daß der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der von einem „eindeutigen Votum“ sprach, seine Machtbasis in von 40 Jahren SED-Regime vergifteten Köpfen in Ost-Berlin hat. Schon beim gescheiterten Volksentscheid über den Erhalt des innerstädtischen Flughafen Tempelhof im vergangenen Jahr hatte sich die politische Spaltung der Stadt demonstriert. Die West-Berliner haben politisch keine Lobby mehr.

Entlarvenderweise hatten die Religionsgegner aus SPD und Linkspartei auch den zur DDR passenden Slogan „Nein zum Wahlzwang“ plakatiert; eine Parole für die Unmündigen. Um so bizarrer wirkte, daß Carola Bluhm den Ethik-Unterricht mit der Aufklärung begründete. Zur Erinnerung: Immanuel Kant deklarierte, „Aufklärung ist die Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“. 

Um den Schülern die Möglichkeit zu nehmen, zwischen Ethik und Religion als Wahlpflichtfächern entscheiden zu können, trickste Wowereit nicht nur beim Termin, den er partout nicht auf das Datum der Europawahl legen wollte, weil er eine höhere Mobilisierung fürchtete. Er warb auch rechtswidrig mit Steuergeldern für ein Nein beim Volksentscheid. Das stoppte drei Tage vor dem Urnengang das Oberverwal-tungsgericht. Die „Chancengleichheit“ der Initiative Pro Reli, die den Volksentscheid erkämpft hatte, werde dadurch verletzt, erkannten die Richter.

 Das ganze Dilemma zwischen Ost und West manifestiert sich in der Person des CDU-Partei- und Fraktionschefs Frank Henkel. Im Ostteil der Stadt aufgewachsen, reiste er mit seinen Eltern als Jugendlicher nach West-Berlin aus.

Henkel war in der DDR zum Religionsunterricht gegangen – nicht in der Schule, sondern in der Gemeinde: „Die Jungs auf dem Bolzplatz riefen mir hinterher: Na gehste wieder zu deinem Gott, beten?“ Das sei eine „schlimme Erfahrung der Ausgrenzung“ gewesen. Wer religiös gewesen sei, habe „keinen Zugang zu höherer Bildung, also Abi­tur oder Studium“ erhalten. Die SPD koaliere mit einer Partei, die aus ihrer Historie heraus „kirchenfeindlich ist“.

Das Ergebnis bestätigte Henkel und strafte die Hoffnungen des katholischen Bischofs, Kardinal Georg Sterzinsky, Lügen: „Selbst Eltern, die ihre Kinder nicht zum Religionsunterricht schicken werden, sind überzeugt, daß es eine Wahl zwischen Ethik und Religion geben muß.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartete das wohl auch. Die aus der DDR stammende Pfarrerstochter äußerte ausnahmsweise einmal eine Meinung: Zwei Tage vor der Abstimmung schlug sie sich auf die Seite der Initiative Pro Reli. Ihr Rivale um das Kanzleramt, Außenminister Frank-Walter Steinmeier von der SPD, hatte das schon deutlich früher getan. In Berlin verloren nun beide.     

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