© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/09 01. Mai 2009

In den Mühlen der innerparteilichen Justiz
Hessen: Die vier SPD-Abgeordneten, die 2008 die Wahl Andrea Ypsilantis zur Ministerpräsidentin verhindert haben, kämpfen immer noch gegen ihre Entrechtung
Tobias Westphal

Die Mühlen der innerparteilichen Justiz mahlen zwar nicht langsam, aber ausgerechnet zum falschen Zeitpunkt, und das gefällt vielen in der SPD wegen der anstehenden Wahlen in diesem Jahr überhaupt nicht. Denn teilweise könnten die Parteiordnungsverfahren gegen die sogenannten Abweichler der hessischen SPD in die zweite Runde gehen.

Am 3. November vergangenen Jahres verweigerten die vier sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten  Carmen Everts, Dagmar Metzger, Silke Tesch und Jürgen Walter aus unterschiedlichen Motiven Andrea Ypsilanti die Gefolgschaft und erklärten, diese nicht zur Ministerpräsidentin einer von der Linken tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung wählen zu wollen.

Zahlreiche Ortsvereine, Unterbezirke und sonstige Parteiinstitutionen der hessischen SPD hatten danach den Rauswurf der vier Landtagsabgeordneten gefordert, im Fall des ehemaligen stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Jürgen Walter strengten nicht weniger als 16 Parteigliederungen ein Parteiverfahren an. Die Verfahren werden für jeden Abweichler einzeln geführt und verlaufen äußerst unterschiedlich.

Dagmar Metzger hatte – im Gegensatz zu Tesch, Everts und Walter – schon im März erklärt, daß sie keine hessische Regierung mit Beteiligung oder Duldung durch die Linke unterstütze; deswegen wurde gegen sie kein Parteiverfahren eingeleitet.

Die mittlerweile arbeitslose Silke Tesch einigte sich gütlich mit dem hessischen SPD-Bezirk Nord. Sie akzeptierte den Kompromiß der Schiedskommission und somit die sanfteste Sanktion: die ihr erteilte Rüge. Durch die Schiedskommission im Unterbezirk Marburg-Biedenkopf wurde Silke Tesch bestätigt, sie habe bei ihrer Entscheidung gegen die Spitzenkandidatin Ypsilanti als Abgeordnete unter dem Schutz des Grundgesetzes und der hessischen Verfassung gestanden. Jedoch hätte sie aus innerparteilicher Solidarität heraus ihre Entscheidung früher öffentlich machen sollen als nur einen Tag vor der entscheidenden Abstimmung im Landtag. Dafür erhalte sie eine Rüge, und das Parteiordnungsverfahren werde damit beendet. Den dortigen Jungsozialisten ist diese Strafe jedoch viel zu milde. Der Schiedsspruch sei ein „Freifahrtschein für alle und alles“, sagte Juso-Bezirkschef Pascal Barthel.

Auch Jürgen Walter und Carmen Everts wären bereit, innerhalb ihrer Schiedsgerichtverfahren einer Rüge zuzustimmen. Das wäre wohl auch den SPD-Parteispitzen im Land und im Bund am liebsten. Diese hätten die Verfahren gegen die drei Abweichler mit Blick auch auf die Bundestagswahl gerne schnell vom Tisch. Im SPD-Bezirk Hessen Süd wollte man aber von Anfang an die ehemaligen Landespolitiker Everts und Walter nicht mit einer Rüge davonkommen lassen. Dort ist die Verärgerung immer noch groß. Noch im Dezember hatte sich die Bundestagskandidatin Ulli Nissen auf einem Parteitag bei Frankfurt gewünscht, daß Carmen Everts „die Beine abfaulen“ sollten, und dafür starken Beifall der anwesenden Delegierten erhalten.

Anders als Silke Tesch sollen Jürgen Walter und Carmen Everts einen Fehler eingestehen, was beide jedoch ablehnen. Ex-SPD-Vize Jürgen Walter hat in seinem erstinstanzlichen Urteil der Schiedskommission des Unterbezirks Wetterau seine Strafe schon erhalten; ihm wurden seine Mitgliedsrechte für zwei Jahre weitgehend aberkannt. Lediglich in seinem Ortsverein darf er noch an Abstimmungen teilnehmen. Walter hat gegen das Urteil Einspruch eingelegt, darüber muß jedoch erst noch verhandelt werden. Nun setzte er seiner Partei eine Frist: Bis zum 29. April sei er bereit, eine einfache Rüge zu akzeptieren. Ansonsten werde er seinen eingelegten Einspruch fristgemäß schriftlich begründen. Schon vor der Verhandlung sagte  Walter, er werde keine Sanktionen hinnehmen und gegebenenfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Auch im Verfahren gegen Carmen Everts kommt ihr Rechtsanwalt, Mathias Metzger aus Darmstadt – Ehemann der „Abweichlerin“ Dagmar Metzger –, zu dem Schluß, eine gütliche Einigung sei „nicht in Sicht“. Everts sagte nach ihrer Verhandlung: „Ich sollte mich praktisch in den Staub werfen, und auf dieser Basis gibt es für mich keine Grundlage. Ich habe immer nachdrücklich betont, daß die Freiheit des Mandates für mich ein ganz wesentlicher Punkt ist.“ Das Urteil gegen Carmen Everts wird schriftlich zugestellt werden.      

Foto:  SPD-Abweichler Metzger, Everts, Tesch, Walter (v.l.n.r.)

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