© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/09 01. Mai 2009

Wenn es plötzlich keine Täter mehr gibt
Vergangenheitsbewältigung: Eine Potsdamer Diskussion zeigt, wie weit die Bemühungen fortgeschritten sind, das DDR-Regime in mildes Licht zu tauchen
Ekkehard Schultz

Die Aufarbeitung der Vergangenheit wird in Deutschland häufig als notwendige Voraussetzung für die gesellschaftliche Aussöhnung betrachtet. Andererseits stehen jedoch Aufarbeitung und Versöhnung nicht selten in einem ausgesprochenen Spannungsverhältnis. So haben nicht wenige Diktatur-Opfer das Gefühl, daß die Bemühungen um Aussöhnung letztlich über ihre Köpfe hinweg vorgenommen werden. Andere beklagen, daß die historische Aufarbeitung zu wenig auf ihre persönlichen Erlebnisse Bezug nimmt oder gar zu diesen im direkten Widerspruch steht. Deswegen konnte in der vergangenen Woche bei der Podiumsdiskussion zum Thema „Aufarbeitung und Versöhnung – paßt das zusammen?“ in der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung in Potsdam mit einer lebhaften Debatte gerechnet werden.

Der bei der Behörde der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes tätige Historiker Helmut Müller-Enbergs sorgte mit der These, daß eine Aussöhnung längst erfolgt sei, aber die Aufarbeitung erst beginnen müsse, für erstaunte Reaktionen. Nach seiner Auffassung hat sich die Geschichtswissenschaft bei der Täterforschung im kommunistischen Regime nahezu ausschließlich auf die Inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit beschränkt. Damit basiere sie aber auf einer Legende, welche die tatsächlich Verantwortlichen – die SED sowie die hauptamtlichen Mitarbeiter des MfS – unmittelbar nach dem Verlust ihrer Macht strickten, sagte Müller-Enbergs. Allerdings sei dieser Prozeß  kaum noch rückgängig zu machen, zumal dazu der politische Wille fehle und die Integration der einstigen SED-Kader in die Gesellschaft bereits gut gelungen sei.

Der Theologe Ralf Wüstenberg wies hingegen darauf hin, daß die Aufarbeitung nicht zwangsläufig im Widerspruch zur Versöhnungsabsicht stehen müsse. Dies hätten die Arbeit der Wahrheitskommissionen in Südafrika gezeigt. Der zentrale Bestandteil sei in diesen Kommissionen das direkte Gespräch zwischen Opfern und Tätern gewesen. Die unmittelbare Konfrontation mit unterschiedlichen Sichtweisen, die auf die Hinterfragung des einzelnen Handelns abzielte, habe die wechselseitige Versöhnungsbereitschaft deutlich erhöht. In Deutschland seien hingegen solche Versuche schnell gescheitert, da der historischen und juristischen Aufarbeitung gegenüber der individuellen Aufarbeitung der Vorrang eingeräumt worden sei. Dennoch sei die gesellschaftliche Aussöhnung weitestgehend geglückt.  

Dagegen sah der Psychologe Michael Froese die Integration vieler Mitteldeutscher in das neue System als weitestgehend gescheitert an. Dies liege in erster Linie daran, daß sich 1990 „keine  gleichberechtigten Partner vereinigt“ hätten. Das Gefühl der beruflichen und wirtschaftlichen Benachteiligung sowie das Unverständnis im Westen für die besondere Situation in der ehemaligen DDR hätten zu einer allgemeinen Verbitterung geführt. Das daraus resultierende „Verbitterungssyndrom“ blockiere die ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

Um diese Situation zu mildern, könne die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, wie sie jüngst von Franz Müntefering vorgeschlagen wurde, einen Schritt in die richtige Richtung darstellen. Den Opfern der SED-Diktatur warf Froese hingegen vor, „oft verbohrt“ zu sein, anstatt ihre Wunden verheilen zu lassen.

Noch härter ging mit den Opfern des kommunistischen Systems der Militärhistoriker Jürgen Angelow ins Gericht. Die von den Opfern und einigen politischen Vertretern bis heute praktizierte Unterscheidung zwischen „Anständigen“ und „Unanständigen“ sei unhaltbar geworden. Zudem gelte es weit stärker als bislang zu differenzieren: Die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft habe nach 1945 dem Willen der Bevölkerung entsprochen. Ebenso habe der überwiegende Teil der Bevölkerung in der DDR bis 1989 in ihrem System eine tatsächliche Alternative zur Bundesrepublik gesehen. Daher sei es ratsam, diese „ostdeutsche Perspektive“ in Zukunft „gegenüber der westdeutschen Perspektive stärker als bislang zu gewichten“, um das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen den Deutschen zu stärken. Generell empfahl Angelow zudem, den Begriff des „Täters“ in der kommunistischen Diktatur durch die Bezeichnung „Verstrickter“ zu mildern.

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