© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/09 01. Mai 2009

Obama paßt in keine politische Kategorie
USA: In seinen ersten hundert Tagen hat der Präsident Geschick, Taktik und rhetorisches Talent bewiesen / Kongreß bremst seine Pläne
Elliot Neaman

Am Anfang schuf Barack Obama die neue Demokratische Partei. Und Amerika war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe. Und Obama sprach: „Es werde Licht!“ Am ersten Tag unterzeichnete er einen Erlaß, Guantánamo und die CIA-Geheimgefängnisse zu schließen. Am zweiten Tag sorgte er dafür, daß vier Millionen unversicherte Kinder einen Krankenversicherungsschutz bekamen. Am dritten Tag verabschiedete der Kongreß ein riesiges Konjunkturpaket und einen Plan, um die Banken von ihrem Leid zu erlösen. Am vierten Tag sandte er 17.000 weitere Soldaten aus, die gefallenen Engel in Afghanistan zu bekämpfen und den Krieg im Irak zu beenden. Er tötete alle Piraten auf den sieben Weltmeeren. Am fünften Tag hob er die Einschränkungen für die Verwendung staatlicher Gelder in der Stammzellenforschung auf. Am sechsten Tag fuhr er übers Wasser, um sich seinen Jüngern in Europa, der Türkei und Lateinamerika zu zeigen. Und in Prag sprach er, diese Welt soll atomwaffenfrei sein. Und Obama sah alles an, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut. Und also ruhte Obama am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er machte, in seinem ökologischen Gemüsegarten mit seinem Portugiesischen Wasserhund Bo an seiner Seite.

Schon während des Wahlkampfs trug Obama den Heiligenschein des Erlösers – zur Freude seiner Anhänger und zur Entrüstung seiner Gegner. Genauso wie die Liberalen einen hysterischen Haß auf George W. Bush empfanden, versteigt sich die demoralisierte konservative Rechte heute zu irrwitzigen Tiraden gegen seinen Nachfolger. Der Versuch, ihn als Sozialisten zu verunglimpfen, mußte scheitern zu einer Zeit, da die Amerikaner tatsächlich von ihrer Regierung erwarten, daß sie ihre wirtschaftliche Sicherheit gewährleistet – also griff man auf die Allzweckwaffe zurück, ihn als „Faschisten“ zu beschimpfen.

Am 15. April, dem Tag, an dem in den USA die Steuernachzahlungsfrist ausläuft, strömten wütende Demonstranten überall im Land zu vermeintlich spontanen Kundgebungen – die nach der „Boston Tea Party“ von 1773 als „Teeparties“ bezeichnet wurden –, um gegen Rettungspakete für Banken und Konzerne sowie gegen das steigende Haushaltsdefizit zu protestieren. Dabei handelte es sich um „Kunstrasen“-Ereignisse, also inszenierte Graswurzelproteste, die in Wirklichkeit von konservativen Aktionskomitees organisiert und finanziert und vom (neo-)konservativen Sender Fox News unterstützt wurden.

Die ersten hundert Tage nach dem Amtsantritt gelten auch in den USA als Schonfrist, als honeymoon period (Flitterwochen), in deren Verlauf der neue Präsident bemüht ist, sich zu beweisen, indem er möglichst viele seiner Wahlversprechen in die Wirklichkeit umsetzt. Obamas Rhetorik klingt so hochtrabend wie eh und je. Dabei läßt ein Rückblick auf die vergangenen drei Monate ahnen, wie konsensfähig er das Land auch weiterhin regieren wird – und wie unberechenbar er dennoch sein kann. Derselbe Pragmatismus bestimmt auch Stil und Tonart seiner Regierung, die sich stark von der kompromißlosen Art seines Vorgängers unterscheiden.

Die größten Probleme bereitet ihm der Kongreß, wo Mitglieder seiner Partei in der Mehrheit sind, doch deren Interessen stimmen nicht unbedingt mit denen des Präsidenten überein. Eine seiner ersten großen Schlachten focht er gegen die fragwürdigen Agrarsubventionen. So bedeutungslos diese Frage erscheinen mag, wirft sie doch ein grelles Schlaglicht auf die Probleme, mit denen sich die neue Regierung wird auseinandersetzen müssen. Obama mußte den Versuch, die Staatshilfen um eine Milliarde US-Dollar pro Jahr zu kürzen, angesichts heftiger Gegenwehr seitens der Vertreter aus Agrarstaaten bald aufgeben. Ebenso sah er davon ab, sich in der Frage der Erneuerung des 2004 ausgelaufenen Verbots von Angriffswaffen gegen den Kongreß zu stellen – dabei stößt der Plan, Kalaschnikows (AK-47) von den Straßen zu verbannen, durchaus auf Sympathien. Doch mit der Befürwortung von Waffenverboten kann man in der US-Politik nicht punkten – das haben Obamas Demokraten längst begriffen.

Selbstverständlich standen die ersten hundert Tage seiner Präsidentschaft ganz im Zeichen der Wirtschaftskrise. Die beste Nachricht lautete, daß die schlechten Nachrichten sich wenigstens nicht mehr ganz so schnell verschlimmern wie noch vor wenigen Wochen. Doch die Arbeitslosigkeit steigt weiter, die Auftragslage der Firmen fällt ins Bodenlose, und viele Banken horten Bargeld, um Berge von faulen Schulden begleichen zu können. Sobald Obama überhaupt eine Chance hat, sich um seine Wahlversprechen zu kümmern – Gesundheitsfürsorge, alternative Energien, Steuerreform, Einwanderung –, wird sich erweisen, inwieweit er in der Lage ist, sich gegen die Machthaber im Kongreß, die Interessengruppen und Lobbyisten durchzusetzen.

Auf Obamas Habenseite steht, daß es ihm gelungen ist, dem skeptischen Kongreß ein zweites Rettungspaket in Höhe von 300 Milliarden Dollar abzutrotzen. Zudem hat er die Verabschiedung eines Gesetzes erreicht, das mehr Lohngleichheit für Frauen schafft. Er hat die staatlich finanzierte Krankenversicherung für Kinder erweitert, einschließlich der Kinder illegaler Einwanderer. Und Mitte Februar konnte er gegen starken Widerstand ein 787-Milliarden-Dollar Konjunkturpaket auf den Weg bringen.

Wie Bill Clinton im ersten Jahr seiner Amtszeit hat Obama signalisiert, eine allgemeine Gesundheitsfürsorge für alle US-Bürger einführen zu wollen. Dabei wird er es wieder mit denselben Gegnern zu tun bekommen: Krankenhäusern, Ärzten, Versicherungskonzernen und Lobbyisten mit starken Verbündeten im Kongreß. Sollte es tatsächlich zur Einführung einer Krankenversicherung für alle kommen, wird das Konzept mit Sicherheit die Hoffnungen des linken Flügels enttäuschen, da die Versicherungskonzerne beim Gesetzgebungsprozeß mit am Tisch sitzen.

Obamas ehrgeiziger Plan, daß sich „die Art und Weise, wie wir in Washington die Geschäfte führen, ändern muß, um unsere Wirtschaft auf ein solides Fundament zu stellen“, wird sehr schwer zu verwirklichen sein. Dem Präsidenten schwebt eine stärker regulierte Wirtschaft mit strengen Umweltschutzvorschriften vor, in der die Amerikaner mehr sparen und weniger verbrauchen. Sollte diese Vision Wirklichkeit werden, würde tatsächlich eine neue, andersartige Welt heraufziehen. Die US-Wirtschaft basierte auf grenzenlosem Wachstum zu Lasten des sozialen Gleichgewichts wie der Umwelt. Diesen Trend umzukehren, käme dem plötzlichen Kurswechsel eines Riesentankers gleich. So wird die jüngste Entscheidung der Umweltbehörde (EPA) zur Regulierung der CO2-Emissionen einen gigantischen Streit mit der US-Industrie vom Zaun brechen.

Andererseits hat Obama mit seiner Forderung, zu den Werten harter Arbeit und der Investition in die Produktion von Lebensnotwendigkeiten anstelle von Finanzspekulationen zurückzukehren, einen konservativen Ton angeschlagen, der bei vielen gut ankommen dürfte. Er zitierte sogar das Neue Testament: Die USA dürften ihre Wirtschaft nicht länger auf Sand, sondern müßten sie auf Felsen bauen. Hier zeigt sich seine Gabe, die Forderung nach umgehenden gesellschaftlichen Veränderungen in eine bodenständige Sprache zu verpacken. In der Außenpolitik traf Obama früh einige sehr kühne Entscheidungen – das gilt für die Schließung von Guantánamo und den CIA-Geheimgefängnissen ebenso wie für die Freigabe von Dokumenten, in denen Foltermethoden aufgeführt sind, die eindeutig gegen die von den USA unterzeichneten Menschenrechtsabkommen verstoßen. Mit seiner Öffnung gegenüber Kuba löste Obama ein weiteres Wahlversprechen ein. Doch bleibt das Embargo bis auf weiteres in Kraft, denn der Kongreß mauert.

Die Gesprächsbereitschaft, die Oba­ma und Außenministerin Hillary Clinton signalisiert haben, um einen Schlußstrich unter die arrogante Politik der letzten Jahre zu setzen, ist im Ausland auf offene Ohren gestoßen. Freilich stellt sich die Frage, ob Amerikas Feinde diese Zurschaustellung von soft power als Schwäche oder als Stärke verstehen werden. Dem Iran hat Oba­ma nun den geforderten Respekt erwiesen. Aber was werden die USA im Gegenzug bekommen? Wird der Iran dadurch nicht vielmehr in seinem Wunsch bestärkt, seine Rolle als regionale Supermacht auszuweiten? Seine Unterstützung für die Hisbollah und die Hamas wird er bestimmt nicht zurückfahren, von seinem Atomprogramm ganz zu schweigen. Nordkorea will seine nuklearen Ambitionen ebenfalls nicht aufgeben.

Die Konservativen sagen daher eine Neuauflage der Carter-Jahre voraus, als ein idealistischer, unerfahrener Präsident einen Zickzack-Kurs zwischen humanitären Initiativen und hastigen Härte-Gesten fuhr. Schaut man sich jedoch an, was derzeit im Irak und Afghanistan geschieht, erweist sich auch hier, daß Obama sich nicht so leicht mit einem Etikett versehen läßt. Vielmehr ist von ihm eine vorsichtige, pragmatisch, ziel­orientierte Außenpolitik zu erwarten, die gerade risikobereit genug scheint, um Ergebnisse hervorzubringen. So hat er den Einsatz verdoppelt, den die Neocons mit ihren Plänen für eine Truppenaufstockung („surge“) aufboten. Obama will sich in Afghanistan nun am nation-building im großen Stil versuchen.

In den ersten hundert Tagen seiner Amtszeit hat Obama nicht nur Geschick, Taktik und rhetorisches Talent bewiesen, sondern auch gezeigt, daß er in keine herkömmliche politische Kategorie paßt. Deswegen verfehlen die Angriffe der Rechten ihr Ziel, und deswegen wird die Linke ihre unumschränkte Bewunderung überdenken müssen. Oba­ma kann aus der Bibel zitieren und im nächsten Augenblick Kurznachrichten auf seinem Blackberry tippen. Wenn das klingt, als wolle er es allen recht machen, verfolgt er vielmehr die Strategie des Apostels Paulus, „auf daß ich ihrer viele gewinne. ... Ich bin jedermann allerlei geworden, auf daß ich allenthalben ja etliche selig mache.“ Bislang scheint es ihm gelungen. Aber sein technokratischer Ehrgeiz, für jedes Problem eine Lösung aufbieten zu wollen, sollte Konservativen zu denken geben, nach deren Auffassung gerade die drängendsten gesellschaftlichen Probleme viel zu komplex sind, um sich von noch so klugen Experten lösen zu lassen.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

Foto:  US-Präsident Obama: Außen- und innenpolitischen Zickzack-Kurs mit passenden Bibelzitaten garniert

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen