© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/09 01. Mai 2009

Die Zunft der Zocker in Mißkredit gebracht
Michael Kohtes hält die selbstzerstörerische Sucht des Spielers für immerhin ehrbarer als das Gebaren der Akteure im Spekulationskasino der Börsen
Thor Kunkel

Warum verfüttert man sein Leben an die Hyänen des Hasards?– Was ist es, das einen Menschen, der über Verstand und Gemüt verfügt, bis zum Exzeß in die Spielhäuser treibt?“

Michael Kohtes’ exquisites Büchlein „Va Banque“ kommt genau zur rechten Zeit. Im Strudel der Finanzkrise, zu deren Urhebern bislang nur Zombies, lebende Tote und Living Dead Corporations gezählt werden, wird es Zeit, daß jemand auch einmal auf die Spielteufel zeigt. Unsere großen, unter Realitätsverlust leidenden Jongleure der Hochfinanz scheinen – zumindest auf den ersten Blick – eine traurige Abart von Zolas Helden Saccard zu sein. Va Banque – „um die Bank“, um alles oder nichts – ist ein treffender Titel, denn in Zukunft dürften vor allem Banken als wahre Spielhöllen gelten. Doch stimmt das wirklich?

Dem 1959 geborenen Schriftsteller Michael Kohtes geht es eher um das Ausleuchten der Seele des Zockers, dessen Leidenschaft am Roulettetisch entflammt. „Der wahre Spieler möchte nach seinem Tod nicht in den Himmel kommen, sondern ins Casino.“ Kohtes, dessen wunderbare Beobachtungsgabe für riskante Riten sich schon in seinem Buch „Boxen. Eine Faustschrift“ (Suhrkamp, 1999) offenbarte, macht das Lesen über die Spielsüchtigen zur wahren Freude: „Der fortgeschrittene Besucher (eines Casinos) fühlt die Sterne im Nacken und genießt den zittrigen Schauder, wie ihn noch alle Schritte erzeugen, die aus der Vernunft hinausführen. Er betritt das Foyer des Hasards in dem unbedingten Gefühl, in diesem Augenblick von allen Gewißheiten Abschied zu nehmen.“

Poetischer und prägnanter wurde wohl selten über die Psyche der Spieler und Casinofreunde geschrieben. Doch Kohtes bringt es auch auf den Punkt, wenn er schreibt: „Niemand würde behaupten, es ginge am Roulette- oder Kartentisch um Leben und Tod. Es geht natürlich um mehr.“ Womit das „Heiligste, was die Menschen kennen“ gemeint ist, die magische Substanz auf der unser kapitalistisches Weltbild beruht: das Geld. Diesem heimlichen Gott ist jeder Spieltempel geweiht als ein Ort, wo man ihn öffentlich anbeten darf. Denn Geld stört hier nie, ist immer willkommen und gebärdet sich vor den Augen des Luckaholics mal als gütiger, mal zerstörerischer Dämon: „Der gravitätische Ernst, mit dem die Gemeinde ihre Spielkulte abhält, ist dem Bewußtsein geschuldet, daß man in diesen heiligen Hallen bös auf den Hund kommen und also leicht in den Hades hinabsteigen kann.“ Kapriziöse Radierungen aus dem 18. Jahrhundert, der „eigentlichen Heimat des Glücksspielers“, Bilder, die oft zum Schmunzeln einladen, komplimentieren Kohtes’ eloquente Exkurse über die Geschichte des Glücksspiels, das einem zuletzt wie ein dunkler Spiegel der menschlichen Seele und ihrer von Zivilisation übertünchten Abgründe erscheint.

„Wer solchermaßen dem Irrwitz seiner Verlustpartien trotzt und mit ungebrochener Leidenschaft auf dem Tableau sein Glück riskiert, spielt die Bedingungen der menschlichen Existenz durch. Rätselhaft und unberechenbar wie die kreisende Roulettekugel ist der Lauf der Dinge, den wir so lange herauszufordern versuchen, bis unsere Einsätze aufgezehrt sind – und der Tod allem Spiel ein Ende setzt.“ Angesichts solcher Sätze ist es kein Wunder, daß man bei der Lektüre des Essays fast unablässig an die gegenwärtige Misere des Finanzwesens denkt, an unsere modernen „Kavaliere des gehobenen Schwindels“, Bankrotteure in Nadelstreifen, die leichtfertig Vermögen und Altersvorsorge von Millionen Menschen  verspielten und deren Bittgänge zu Vater Staat, um noch ein allerletztes Mal Kredit aufzunehmen, einen ebenso beschämenden wie bitteren Beigeschmack haben. Auch die Rechtfertigungen von Top-Managern erinnern an die Besserungsschwüre und Abbitten verkrachter Spielernaturen, die noch immer so tun, als gäbe es zu ihrem „System“ keine Alternative.

Während Kohtes den redlich arbeitenden Bürger des 18. und 19. Jahrhunderts noch zu Recht als Antipoden des Spielers bezeichnet, weist er am Präzedenzfall des Pariser Börsenmagnaten Jules-Isaac Mirès auf eine beunruhigende Verzwitterung hin: Mirès löste in den 1860er Jahren einen katastrophalen Börsensturz aus, wobei er „mit geschickten Werbefeldzügen, und dubiosen, ja, illegalen Spekulationsabschlüssen“ seine Aktien in fabelhafte Höhe trieb – bis zu jenem Moment eben, als die „Blase“ platzte und Mirès’ Aktionäre und Gläubiger alles verloren. Den Unterschied zur „ehrbaren Roulettebank“, wo sich der Dauerkunde in der Regel auf eigene Rechnung ruiniert, sieht Kohtes darin, „daß beim internationalen Finanz-Roulette mit dem Vermögen anderer Leute gespielt wird. Schon aus diesen Gründen verteidigen wir den echten Spieler, den Casinofreund alter Schule, gegen seine häufig mit ihm verwechselten Bastarde, jene Zockernaturen und Zinsjäger, für die das Spiel an sich lediglich ein Instrument im Dienst der Bereicherung ist.“

Michael Kohtes’ Buch ist nicht nur ein äußerst amüsantes und geistreiches Buch gegen den Zeitgeist, sondern auch Trostpflaster für Millionen Kleinanleger, die gerade lernen, Verlierer zu sein!

Michael Kohtes: Va banque. Über Glücksspieler und Spielerglück. Transit Buchverlag, Berlin 2009, gebunden, 112 Seiten, 14,80 Euro

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