© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  20/09 08. Mai 2009

„Polizisten zur Steinigung freigegeben“
Gewalt am 1. Mai I: Nach den schwersten Krawallen seit Jahren wächst in Berlin die Kritik an den verantwortlichen Politikern
Christian Dorn

Die gewalttätigen Übergriffe von Linksextremisten waren zum diesjährigen 1. Mai in Berlin so exzessiv wie lange nicht mehr. Daß es soweit kam, ist nicht verwunderlich. Denn der für die Krawalle verantwortliche „Schwarze Block“ hatte ein Jubiläum zu begehen, als er unter dem Motto „Kapitalismus ist Krieg und Krise“ aufmarschierte. Schließlich gilt es aus Sicht von sogenannten „Antifaschisten“ und „Autonomen“ dieses Jahr nicht 20 Jahre Mauerfall zu feiern, sondern den 1. Mai 1989: Während damals in Ost-Berlin 700.000 Menschen zur „Kampfdemonstration“ angetreten waren, erlebte West-Berlin laut Berliner Morgenpost die „schwersten Krawalle seit Kriegsende“. Die Bilanz wies seinerzeit 335 verletzte Polizisten aus, 30 in Brand gesteckte Autos, 12 geplünderte und 40 beschädigte Geschäfte. Angegriffen wurden auch 15 Spielsalons und Sexshops, sechs Banken, zwei Tankstellen, drei Gaststätten und neun Wohnungen.

Zwanzig Jahre danach liest sich die Bilanz ebenfalls erschreckend. Demnach wurden 440 Polizisten verletzt, etwa viermal so viele wie im Vorjahr. Hatten im Jahr 1989 noch 1.600 Polizisten den rund 2.000 militanten Demonstranten gegenübergestanden, waren diesmal 5.800 Beamte im Einsatz. Zu kämpfen hatten sie mit einem 5.000-köpfigen Demonstrationszug, von dem etwa 2.000 Teilnehmer die Polizei mit Flaschen, Steinen und Molotowcocktails angriffen. Etwa 500 militante Jugendliche kamen noch hinzu, als die linken Gewalttäter im „Myfest“ untertauchten  und von dort aus weiter die Polizei angriffen – zumeist aus dem Hinterhalt.

Der Berliner Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Bodo Pfalzgraf, machte hierfür den rot-roten Senat verantwortlich. „Die Politik“, so äußerte der Gewerkschafter, habe „durch ihren Einfluß auf die Einsatzkonzeption die Hundertschaften zur Steinigung freigeben.“ Mit den Autonomen vom Schwarzen Block, so Pfalzgraf weiter, schließe man keine Kompromisse, die gehörten „in die Zelle“.

Letztlich vermeldete die Polizei 289 Festnahmen. Von den jetzt in Gewahrsam Genommenen sitzen 17 in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft erließ 44 Haftbefehle, davon vier wegen versuchten Mordes. So waren Polizisten und auch eine Passantin mit brennenden Flüssigkeiten übergossen und mit Brandsätzen beworfen worden.

Wer genau sich hinter dem vermummten Block verbirgt, versuchte zwischenzeitlich die Süddeutsche Zeitung zu ergründen. Sie läßt jemanden zu Wort kommen, der „lange Zeit in der Berliner Antifa organisiert war“. Nach dessen Angaben bestand der Demozug aus drei Gruppen: Neben der Antifa hätten „unpolitische Jugendliche mit Migrationshintergrund randaliert“. Die „dritte Säule“ bildeten radikale Linksintellektuelle, die in ihrem bürgerlichen Leben „Mediziner oder Firmeninhaber“ seien, so wie auch der Auskunft Gebende selber.

Die Mimikry jedoch beschränkte sich in der Mainacht nicht nur auf die Teilnehmer des Schwarzen Blocks. Auf der Festmeile des „Myfestes“, der Oranienstraße, tummelten sich tagsüber bis zu 35.000 Menschen. Viele blieben bis in die Nacht – und machten, wie es schien, die Polizei zeitweise zu ihrem Spielball.

Ständig flogen von hinten Flaschen auf die Polizisten. Drehten sich diese um, sahen sie augenscheinlich friedliche Festbesucher, die sie schlecht festnehmen konnten. Auch waren für die vollbehelmten Polizisten nicht die Beleidigungen und verbalen Drohungen zu hören, die ihnen zahllose Festbesucher im Vorübergehen hinterriefen. Als wäre es ein Safaritrip, auf dem gefährliche Tiere zu besichtigen sind, machten junge Leute permanent Bilder von den vorbeihurtenden Polizei-Kohorten. Diese wiederum hatten kaum Zeit, die ebenso idiotischen wie bezeichnenden T-Shirt-Aufschriften zu studieren: etwa „Nazis nehmen unsere Arbeitsplätze weg!“ oder der in Fraktur gesetzte Spruch „Gott hat fertig“.

Am Ende der Oranienstraße, an dem durch Rio Reisers Protestsong legendär gewordenen Mariannenplatz, war gegen Mitternacht dann wieder alles friedlich. Lediglich von einer Bühne hämmerten türkische Techno-Beats und veranlaßten die um ihre Nachtruhe gebrachten Vögel im angrenzenden Park zu vielstimmigem Protest-Gezwitscher. Anders als in dem Reiser-Song war der Platz nicht blau, denn „so viele Bullen“ waren gar nicht da. Lediglich ein halbes Dutzend schwarz gekleidete Zivilbeamte beobachtete die Szenerie von einer Bushaltestelle aus.

Daß hier diesmal keine Autos in Flammen aufgingen, kann dennoch kaum als Erfolg der Polizei betrachtet werden. Schließlich hatte diese kurzerhand vor dem 1. Mai an drei „Brennpunkten“ der Stadt Parkverbote ausgesprochen. Es handelte sich exakt um jene Straßenzüge, die in der jüngsten Vergangenheit wiederholt in den Polizeiberichten auftauchten, weil hier immer wieder Autos in Flammen aufgingen, wofür augenscheinlich die linksextremistische Szene verantwortlich zeichnet.

So scheint es, als hinterlasse der blind- lings geführte Kampf „gegen Rechts“ am Ende – im wahrsten Wortsinn – nur noch „rechtsfreie Räume“. Persönlich zu spüren bekam dies ausgerechnet Innensenator Ehrhart Körting (SPD), als er am Abend des 28. April mit dem Kolumnisten des Boulevard-Blatts B.Z., Gunnar Schupelius, in dem Friedrichshainer Lokal „Euphoria“ zusammenkam, um über die dort Mitte März verübten Buttersäure-Attentate zu sprechen. „Wie Pilze aus dem Boden schossen“ daraufhin schwarz gekleidete Figuren, die Körting beobachteten, berichtet Schupelius. Als die Wirte Körting bestätigten, daß die Täter von damals so ähnlich ausgesehen hätten wie die vor der Tür, geriet der Innensenator in Panik. Schupelius: „Ich sah, daß er ganz offenbar Angst hatte.“ Später versuchte er seine Flucht vor den Autonomen abzustreiten.

 Nicht besser ist auch das Erscheinungsbild von Polizeipräsident Dieter Glietsch, der von dem „alternativlosen“ Konzept der „ausgestreckten Hand“ sprach. Übriggeblieben sind indes Pressebilder, die eine andere Sprache sprechen: jugendliche Chaoten, die mit ausgestrecktem Arm den Finger zeigen oder mit weitem Arm zum Wurf ausholen. Der innenpolitische Sprecher der Berliner CDU-Fraktion, Robbin Juhnke, hat dem Berliner Senat mittlerweile mangelnde Abgrenzung zum Linksextremismus vorgeworfen. Der JUNGEN FREIHEIT sagte er, das Kuschen des Rechtsstaates, der sich vor linksradikalen Gewalttätern abducke wie das Kaninchen vor der Schlange, sei nicht hinnehmbar.

Foto: Demonstranten werfen Flaschen und Steine auf Polizisten: Konzept der „ausgestreckten Hand“

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