© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/09 15. Mai 2009

Pro
Populismus ist die Waffe der Entmündigten
Michael Paulwitz

Wo Macht ausgeübt wird, ist die Oligarchie nicht weit. Teilhabe an der Macht schweißt zusammen und macht abhängig von jenen, denen man sie verdankt. Formal sind das die Bürger, die Wähler, aber die sind ja oft so unberechenbar. Starke Parteiapparate, die möglichst alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen, bieten dagegen eine Rückversicherung: Sie lassen keinen fallen, der dazugehört und mitspielt. Sie neigen dazu, ein Oligopol der Macht zu bilden, eine sich selbst genügende politische Klasse. Den lästigen Souverän braucht man nur noch zur turnusmäßigen Bestätigung der jeweiligen Machtanteile.

Auf leisen Sohlen schleicht sich die geheime Kabinettspolitik absolutistischer Zeiten wieder in die europäische Politik ein. Die Mechanismen der EU haben dazu beigetragen, die guten demokratischen Sitten in Europa gründlich zu verderben. Der Brüsseler Basar der Gremien, Gipfel und Beratungsrunden bietet rechtfertigungsunwilligen Politikern eine Fülle verlockender Gelegenheiten, um Einfälle, die bei offener sachlicher Debatte einen Sturm der Entrüstung auslösen würden, unter ihresgleichen in Korridoren und Lobbys und geschlossenen Besprechungsräumen geschmeidig auszuhandeln und durchzudrücken – nachträglicher Einspruch zwecklos. Gut ist, was den Technokraten und Funktionären der Macht nützt.

Die legitime Reaktion auf die Entmündigung der Bürger und die kalte Enteignung ihrer verfassungsmäßigen Rechte heißt Populismus. Nicht der anbiedernde Populismus der Scheinwohltaten und kurzlebigen Wahlversprechen nach Umfragelage, sondern der Populismus der Volkstribunen, die eine Sache konsequent auch gegen Widerstände vertreten können, die sich weder von Regierungsgewaltigen noch von Parteiapparaten oder Lobbyisten vereinnahmen lassen und die dem Volk nicht aufs Maul schauen, um ihm nach dem Mund zu reden, sondern um nicht zu vergessen, wessen Interessen sie zu vertreten haben.

Persönlichkeiten, denen man solche Eigenschaften zuschreiben kann, haben auch die immer noch so bezeichneten Volksparteien schon hervorgebracht. Daß sie heute nicht mehr nachwachsen oder aber, wenn doch, unverzüglich ausgestoßen werden, zeugt von der lähmenden Übermacht der Parteiapparate und der Funktionäre an ihren Spitzen, denen diese Dominanz Wert und Aufgabe genug und ihr Erhalt durch geschmeidige Machtverwaltung das oberste Ziel ist.

Macht nichts, wenn den Demokraten der Demos, das Volk, in dessen Namen und Auftrag sie herrschen, davonläuft: Der Parteienstaat funktioniert auch dann noch, wenn immer weniger Menschen wählen gehen. Der Populist, der dem populus, dem Volk also wiederum, von dem bekanntlich alle Staatsgewalt ausgeht, zu mehr Einfluß und Mitsprache bei politischen Entscheidungen und Prozessen verhelfen will, mag aus dieser Perspektive als Störenfried und Klassenfeind erscheinen. Tatsächlich aber ist sein Angriff auf die Vorherrschaft der Parteiapparate und den Standesdünkel der politischen Klasse ein Rückruf zum Wesenskern der demokratischen und republikanischen Staatsform.

Macht braucht Kontrolle. Je intensiver ein Politiker seine Entscheidungen und sich selbst zur Wahl stellen muß, desto besser muß er die Interessen der Bürger, seiner Wähler, erkunden und vertreten. Sie sind schließlich seine Auftraggeber, und nicht die Parteisekretäre.

Direkte Demokratie ist ein wirksames Korrektiv zur Machtanmaßung der Parteiapparate. Daß das Niveau der Politik sinkt, wenn das Volk mehr mitredet, ist ein gern gepflegter Mythos. Schlimmer als die Intrigenspiele rund um die Bundesversammlung könnte auch eine Direktwahl des Bundespräsidenten kaum werden. Und wer sich seiner Argumente sicher ist, hat auch keine Angst davor, ein Plebiszit könnte von „sachfremden“ Emotionen überlagert werden.

Aber die Dinge sind doch inzwischen so komplex, daß die einfachen Wähler die Tragweite gar nicht richtig beurteilen können? Das müssen wir uns von Leuten, denen das Verfassungsgericht regelmäßig schlampige Gesetze um die Ohren haut, nicht sagen lassen. Vielleicht hätten Bundestagsabgeordnete den Lissabon-Vertrag mal selbst gelesen, bevor sie ihn beschließen, wenn sie ihn bei einer Volksabstimmung hätten vertreten müssen. Dann müßten sie sich jetzt nicht vorrechnen lassen, was sie alles übersehen haben.

Das Mißtrauen der politischen Klasse gegenüber den Bürgern, in Deutschland gern mit der immer ferneren „jüngsten Vergangenheit“ begründet, ist ein vordemokratisches, obrigkeitsstaatliches Relikt. Vielmehr müssen die Bürger ihren Politikern auf die Finger sehen, ob sie die ihnen zeitweise übertragene Macht zum Besten des Gemeinwesens ausüben. Seien wir endlich Demokraten: Wir sind das Volk.

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