© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  21/09 15. Mai 2009

Düstere Zukunftsaussichten
Spanien: Immobilienflaute und Weltwirtschaftskrise lassen die Arbeitslosenzahlen auf über vier Millionen steigen
Michael Ludwig

Juan García Sánchez ist verzweifelt. Soeben hat er an der Demonstration zum 1. Mai teilgenommen, aber Hoffnung wollte nicht so recht aufkommen. Er stellt die rote Fahne in die Ecke des Cafés, bestellt ein Bier und sagt: „Ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll. Wir sitzen in der Scheiße – nicht nur ich, sondern eine Menge anderer Kollegen auch.“ Etwa 500 Anhänger der beiden großen Gewerkschaften des Landes – der UGT und der CCOO – hatten sich in Ibiza-Stadt versammelt, um gegen die immer bedrohlicher werdende Arbeitslosigkeit auf der Iberischen Halbinsel Front zu machen.

Vor dem Hintergrund der fröhlichen Party-Insel mit ihren millionenschweren Yachten im Hafen der Inselhauptstadt, den protzigen Villen, die keine Wünsche offenlassen, und den Diskotheken, die pro Besuch 80 Euro Eintrittsgeld kassieren, gewinnt die Angst ums finanzielle Überleben einen grotesken Zug. Und nirgendwo anders in Europa scheint sich der Spruch, daß dort, wo viel Sonne ist, mitunter auch viel Schatten zu finden sei, derart zu bewahrheiten wie gegenwärtig in Spanien.

Sánchez arbeitete bis zu seiner Entlassung auf dem Bau, in einer Branche, die in den letzten zwölf Monaten abgestürzt ist wie keine andere. Noch vor der weltweiten Finanzkrise ist die Immobilien-Hochkonjunktur in sich zusammengebrochen, und in den großen Touristenzentren an der Mittelmeerküste werden Ferienappartements angeboten wie saures Bier. 700.000 Bauarbeiter haben im letzten Jahr ihre Stelle verloren. Aber das ist bei weitem noch nicht alles – auch die Industrie des Landes verzeichnet einen verheerenden Einbruch bei der Beschäftigung, dort sind im gleichen Zeitraum 413.000 Arbeitsplätze verlorengegangen und im Dienstleistungssektor weitere 180.000. Die absolute Hiobsbotschaft meldete dieser Tage das Nationale Statistik-Institut (INE), wonach allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres weitere 800.000 ihre Stelle verloren, ein absoluter Rekord.

Mit dem bereits vorhandenen Sockel an Arbeitslosigkeit türmte sich die Zahl der Erwerbslosen Ende März auf 4.010.700, was einer Arbeitslosenquote von 17,4 Prozent entspricht – das ist der höchste Stand seit Beginn der Aufzeichnungen vor 33 Jahren. Spanien besitzt damit die höchste Erwerbslosenquote in der EU, deren Mittel derzeit bei etwa neun Prozent liegt. Besonders hart hat es die Provinz Extremadura an der Grenze zu Portugal, das traditionell arme Andalusien, aber auch die tourismusverwöhnten Kanarischen Inseln getroffen. Dort stiegen die Arbeitslosenquoten auf jeweils über 20 Prozent. Sieht man sich die Zahlen genauer an, so stellt man fest, daß es mittlerweile fast 1,1 Millionen Haushalte gibt, in denen alle Familienangehörigen ohne Beschäftigung sind.

In dieses Bild paßt auch, daß die Zahl der arbeitslosen Männer (2,2 Millionen) die der Frauen (1,8 Millionen) überflügelt hat – ein Zeichen dafür, wie existentiell tief die Krise geht. Den über vier Millionen Arbeitslosen standen nur noch 19 Millionen Beschäftigte bei 46 Millionen Einwohnern gegenüber – eine Relation, die den Ökonomen Kopfzerbrechen bereitet. Und so nimmt es nicht weiter wunder, daß EU-Kommissar Joaquín Almunia Amann, in Brüssel für das Ressort Wirtschaft und Währung zuständig, die vorgelegten Zahlen seiner Landsleute als „ausgesprochen besorgniserregend“ bezeichnete.

Das wirtschaftliche Desaster ist eine schallende Ohrfeige für Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero und seine regierenden Sozialisten (PSOE). Als er 2004 die Macht übernahm, lag die Arbeitslosigkeit bei nur zehn Prozent. Lange Zeit gelang es ihm, von der sparsamen Haushaltspolitik seines konservativen Vorgängers José María Aznar López (Volkspartei/PP) zu zehren, die üppigen EU-Zahlungen taten ein übriges, um die Kassen in Madrid zu füllen und so die Verteilung teurer Wahlgeschenke zu ermöglichen. Als die Gelder aus Brüssel wegen der EU-Osterweiterung weniger wurden und die Weltwirtschaftskrise kam, setzte Zapateros Regierung auf das Prinzip Hoffnung. Noch im April fauchte Arbeitsminister Celestino Corbacho Chaves in einer Parlamentsdebatte den PP-Abgeordneten Tomás Burgos an, der es gewagt hatte, sich nach den jüngsten Arbeitslosenzahlen zu erkundigen: „Die einzigen, die Alarmismus erzeugen, die einzigen, die Zweifel schüren, und die einzigen, die sich stets der Wirklichkeit verweigern, sind Sie und Ihre Freunde.“ Einen geradezu peinlichen Auftritt leistete sich die neue zweite Vizeregierungs­chefin sowie Finanz- und Wirtschaftsministerin Elena Salgado Méndez, die am Tag der Bekanntgabe der vier Millionen Arbeitslosen noch erklärte, ihre Regierung habe am Arbeitsmarkt eine „klare“ Trendwende herbeigeführt und ein Abbremsen der Arbeitsplatzvernichtung erreicht.

Unterdessen schießt sich die Opposition auf die Regierung ein. PP-Chef Mariano Rajoy Brey klagte Zapatero und sein Kabinett an, „als einzige Maßnahme gegen das nationale Desaster die öffentlichen Ausgaben zu erhöhen und damit eine Hypothek auf die Zukunft des Landes aufzunehmen“. Dadurch werde die Wirtschaft in eine unmögliche Situation manövriert.

Kritische Stellungnahmen werden aber auch von links abgegeben, vor allem von den Gewerkschaften. Anläßlich einer machtvollen Demonstration zum 1. Mai in der Hauptstadt forderten sie die Regierung auf, unter keinen Umständen den Forderungen des Arbeitgeberverbandes CEOE nachzugeben. Angesichts der sich immer mehr verdüsternden wirtschaftlichen Lage hatte dieser Erleichterungen bei Entlassungen gefordert. Die Unternehmer verlangen, daß Mitarbeitern, die noch nicht länger als zwei Jahre in der Firma arbeiten, nun ohne Angaben von Gründen gekündigt werden kann. Als Abfindung solle dann lediglich das Entgelt von acht Arbeitstagen bezahlt werden; wer länger als zwei Jahre beschäftigt ist, soll den 20fachen Tagessatz erhalten. Die Gewerkschaftsvorsitzenden Cándido Méndez Rodríguez (UGT) und Ignacio Fernández Toxo (CCOO) drohten indes mit einem Generalstreik das ganze Land lahmzulegen, falls die Arbeitgeber sich durchsetzen sollten.

Für Juan García Sánchez, den 35jährigen arbeitslosen Maurer auf Ibiza, ist der Ernstfall der Arbeitslosigkeit vor einem Monat eingetreten. Selbst das Bier, das er in einem ausgesprochen schönen Ambiente zwischen Platanen, alten Häusern mit schmiedeeisernen Balkonen und einem mediterranen Flair zu sich nimmt, scheint ihm angesichts der Zukunft nicht zu schmecken. Als Arbeitsloser mit Ehefrau und zwei Kindern erhält er monatlich etwa 850 Euro zuzüglich einer Sonderzahlung, die seine Firma zu seinen Gunsten auf ein Sperrkonto einzahlen mußte – solange sie noch liquide war.

Doch dieser Betrag wird nicht lange vorhalten. Unglücklicherweise hat er nach seiner Heirat eine Eigentumswohnung auf Pump gekauft, und er weiß nicht, wie lange er die Ratenzahlungen noch leisten kann. Und die Aussichten dürften in absehbarer Zukunft nicht besser werden. Die EU-Kommission schätzt, daß die durchschnittliche Arbeitslosigkeit dieses Jahr 20,5 Prozent betragen wird, was bedeutet, daß sie eventuell die Fünf-Millionen-Grenze überschreiten könnte. Spanien geht höchst unsicheren Zeiten entgegen.

Foto: Arbeitslose in A Coruña/Galicien: EU-Osterweiterung läßt die Brüsseler Gelder spärlicher fließen

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