© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/09 22. Mai 2009

Nationale Läuterung
Prozeß gegen John Demjanjuk in München: Eher peinlich und beschämend
Günter Bertram

Ob der 89jährige John Demjanjuk vor dem Münchener Schwurgericht stehen wird, hängt davon ab, ob man ihn für verhandlungsfähig erklärt.

„Letzter großer Prozeß gegen Nazi-Kriegsverbrecher!?“ – so die Schlagzeilen. Das öffentliche Drängen scheint gut begründet: Geht es doch um Sobibor, ein Todeslager im besetzen Polen, in dem 1942 / 1943 weit über hunderttausend dorthin verfrachteter Juden durch Giftgas ermordet worden sind.

Die Anklagebehörde hat guten Grund anzunehmen, daß der Beschuldigte dort Dienst geleistet, also geholfen hat, die Mordmaschinerie in Gang zu halten. Ist der Ruf nach Strafe und Vergeltung nicht berechtigt? Wendet man das Augenmerk dem Beschuldigten zu, um dessen persönliche Tatverantwortung es im Strafverfahren letztlich geht, wird man dennoch nachdenklich: Demjanjuk war 1942 als zweiundzwanzigjähriger ukrainischer Sowjetsoldat in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und hatte sich – wie die Ermittler annehmen – vor dem drohenden Verhungern und Verrecken dadurch gerettet, daß er sich der deutschen SS als „Hilfswilliger“ zur Verfügung stellte wie viele andere „Fremdvölkische“ –  Esten, Letten, Litauer, Polen etwa –, die dann nach dem Ort ihrer speziellen Ausbildung Trawniki genannt wurden. Nach einem Vermerk in seinem Dienstausweis war Demjanjuk im März 1943 nach Sobibor abkommandiert worden.

Was er dort getan hat, hält auch die Staatsanwaltschaft für im einzelnen unaufklärbar. Es wird sich aber um Dienste der Art gehandelt haben, die in früheren Sobibor-Verfahren geschildert worden waren: Sobibor hatte die Justiz nämlich schon  beschäftigt, auch das Schwurgericht Hagen, das 1965 an 137 Tagen über diese satanische Vernichtungsmaschinerie und ihre Bedienungsmannschaften akribisch Beweis erhoben hatte. Danach war es seinerzeit die Rolle der Trawniki, unter deutschem SS-Kommando Lager und Opfer zu bewachen, die Judenkolonnen bis an die Rampen zu eskortierten, befohlene Liquidierungen und andere schaurige Dienste zu verrichten.

Trawnikis waren das letzte (genauer: vorletzte; dann folgten noch jüdische Arbeitskommandos) ausführende Organ der satanisch konstruierten, von der SS gesteuerten Mordmaschine. Das war rechtlich „Beihilfe zum Mord“. Diese Gehilfen sind indessen von der deutschen Justiz niemals belangt worden – aus Nachlässigkeit nicht. Denn trotz des kriminellen Gewichts des objektiven Tatgeschehen war schließlich nach der persönlichen Situation der Trawniki zu fragen, die sich dem Mordkommando der SS kaum hätten entziehen können, ohne das eigene Leben zu riskieren. Sie waren für die SS „der letzte Dreck“ – oder der vorletzte. So wurde die persönliche Schuld – trotz der grauenhaften „Haupttat“ der SS – zutreffend als gering eingestuft. Deshalb sind Trawniki-Verfahren noch nie verhandelt, sondern eingestellt worden.

Was man jetzt in München plant, ist – wie der mit den deutschen NS-Verfahren intim vertraute Amsterdamer Professor Christiaan F. Rüter bemerkt – „ein Prozeß gegen den kleinsten der kleinen Fische“.

Daß der Prozeß dennoch stattfinden soll, hat zwei Gründe: Demjanjuk war früher verdächtigt worden, „Iwan der Schreckliche“ zu sein, ein berüchtigter Trawniki, der sich im Vernichtungslager Treblinka (also nicht in Sobibor) durch sadistische, exzessive Grausamkeiten hervorgetan hatte. Deshalb hatten die USA ihn ausgebürgert und 1986 an Israel ausgeliefert, wo er zwei Jahre später als „Ivan Demjanjuk“ zum Tode verurteilt wurde.

 Vor der Vollstreckung tauchten Dokumente auf, die bewiesen, daß ein anderer (inzwischen Verstorbener) der berüchtigte Iwan D. gewesen war. Der Oberste Israelische Gerichtshof kassierte 1993 das falsche Urteil, so daß Demjanjuk nach langer Haft in die USA zurückkehren konnte. Aber der „Geruch“ Iwans des Schrecklichen – so Rüters – muß am Beschuldigten so haften geblieben sein, daß diffuse öffentliche Wünsche dahin drängen, den „Freispruch eines KZ-Schergen“ nun doch noch korrigiert zu sehen.

Der tiefere Grund ist unser politisches Klima, das gebieterisch verlangt, jeden Anlaß zu ergreifen, Prozesse solcher Art zum Beweis nationaler Läuterung vor aller Welt zu zelebrieren – im konkreten Fall peinlich und beschämend. Denn hier soll ein Greis zu Demonstrationszwecken, nicht seiner persönlichen Schuld wegen, vor ein deutsches Gericht gestellt werden, der als junger Sowjetsoldat gefangengenommen worden war, von den Deutschen in ihre SS-Hilfstruppe gepreßt, als Trawniki deformiert und in Sobibor als Handlanger mißbraucht worden war, und der deshalb später zu Unrecht in der israelischen Todeszelle gesessen hatte.

Vermutlich wird und soll in München nie ein Urteil gefällt werden, weil es auf die große Aufführung ankommt, nicht auf einen Spruch, der dann begründet werden müßte. Irgendwann, wenn die Öffentlichkeit der ewigen Verlesungstermine müde geworden sein wird, läßt sich das Verfahren wegen Verhandlungsunfähigkeit des Greises leise einstellen. Ein Ruhmesblatt der Justiz und ein anständiger Abschluß deutscher NS-Verfahren wäre das nicht.

 

Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg.

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