© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/09 22. Mai 2009

Richter Garzón läßt nicht locker
USA: Spanische Ermittlungen gegen Ex-Regierungsmitglieder / Daß Bushs „Foltermannschaft“ vor Gericht kommt, ist unwahrscheinlich
Elliot Neaman

Knapp drei Jahre nach seinem unehrenhaften Rücktritt willigte Richard Nixon ein, sich in vier TV-Sendungen den Fragen des britischen Journalisten David Frost zu stellen. 45 Millionen sahen die erste Folge – die höchste Einschaltquote, die jemals für ein Politinterview erreicht wurde. Im dritten Teil, der am 19. Mai 1977 ausgestrahlt wurde, fragte Frost, ob der Präsident legal gehandelt habe. „Nun, wenn der Präsident etwas tut, bedeutet das, daß es nicht illegal ist“, lautete Nixons schockierende Antwort – eine Szene, die Ron Howard als Höhepunkt seines jüngsten Films „Frost/Nixon“ dient.

Hier offenbarte sich die Einschätzung mancher Politiker und Verfassungsrechtler, der zufolge die exekutive Gewalt des US-Präsidenten einzig durch dessen eigene Entscheidungen eingeschränkt wird.  Kürzlich wurde Ex-Außenministerin Condoleezza Rice von Studenten der Universität Stanford gefragt, ob Waterboarding Folter sei. Sie erwiderte: „Der Definition nach verletzte es nicht unsere Verpflichtungen gemäß der Konvention gegen Folter, wenn es vom Präsidenten bewilligt wurde.“ Sind wir plötzlich wieder in der Nixon-Ära angekommen?

George W. Bushs Vizepräsident Dick Cheney war ab 1975 Stabschef des Nixon-Nachfolgers Gerald Ford. Unter dem Eindruck des Watergate-Skandals versuchte der Kongreß die Macht des Weißen Hauses per Gesetz zu beschneiden. Cheney fand, dadurch werde die Autorität des Präsidenten untergraben. In der Folge der Iran/Contra-Affäre (1986) vertrat Cheney als Kongreßabgeordneter in einer „Minderheitsmeinung“ die Position, nicht Präsident Ronald Reagan, sondern der Kongreß habe seine Kompetenzen überschritten, indem er in die außenpolitische Entscheidungsgewalt des Weißen Hauses eingegriffen habe. Cheneys Berater war der Ex-CIA-Jurist David Addington, den Vizepräsident Cheney 2001 zu seinem Rechtsberater, dann zum Stabschef machte. Die Medien schrieben damals vom „mächtigsten Mann, von dem man noch nie etwas gehört hat“.

George W. Bush traf die Entscheidung, Foltermethoden zu bewilligen, nicht alleine. Er verließ sich dabei auf Empfehlungen von Cheney und Addington sowie auf Experten aus dem Justizministerium. Am 16. April 2009 veröffentlichte ebendieses Ministerium vier der Memoranden, die seine Abteilung für Rechtsberatung unter Bush erstellt hatte. Darin wurden ausdrücklich die Verhörmethoden gerechtfertigt, mit denen die CIA nach dem 11. September von Terrorverdächtigen Informationen zu erzwingen versuchte. Diese „Folter-Memoranden“ wurden unter dem Vorbehalt publik gemacht, daß keine CIA-Leute strafrechtlich für Taten belangt werden dürften, die sie auf der Grundlage dieser Papiere begangen hatten.

Doch was ist mit den Juristen, die diese Dokumente verfaßt haben? Voriges Jahr erschien das Buch „Torture Team“ des britischen Völkerrechtlers Philippe Sands, der die Mißhandlungen in Guantánamo, Abu Ghraib und den CIA-Geheimgefängnissen bis zu einem Rumsfeld-Memorandum von 2002 zurückverfolgt. Manches spricht dafür, daß dieses Dokument gegen die UN-Konvention gegen Folter verstößt, die 1994 von den USA unterzeichnet wurde.

Sands behauptet, in den Folgejahren hätten Rechtsexperten des Justizministeriums juristische Argumente zur Umgehung der Anti-Folter-Konvention, der Genfer Konvention und anderer völkerrechtlicher Bestimmungen für den Kriegsfall entworfen. Sands’ Buch war nur eine von zahlreichen Polemiken gegen die Bush-Regierung. Doch im vergangenen Monat gewann es tagespolitische Bedeutung, als der umtriebige spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzón Real ein Ermittlungsverfahren gegen sechs hochrangige Mitarbeiter der Bush-Regierung einleitete, die bei Sands erwähnt werden. Die Frage, die Garzón beantwortet wissen will, lautet, ob sie einen „systematischen Plan zur Folter“ bewilligten oder nicht.

Die „Bush Six“ sind dessen Ex-Justizminister Alberto R. Gonzales, sein Vize Jay Bybee, Ex-Pentagon-Staatssekretär Douglas J. Feith, der frühere Chefjurist des Verteidigungsministeriums William J. Haynes II, John Choon Yoo (Ex-Mitglied der Abteilung für Rechtsberatung) und David Addington. Sands wirft ihnen vor, in Zusammenarbeit mit der Bush-Regierung juristische Deckung für illegale Aktivitäten geschaffen zu haben, anstatt neutrale Rechtsberatung zu leisten. Sollte sich dies vor Gericht beweisen lassen, könnte Angehörigen der Bush-Regierung bis hin zum ehemaligen Präsidenten selber eine Anklage wegen Kriegsverbrechen drohen. Sands führt die Nürnberger Prozesse sowie weitere Militärtribunale etwa gegen deutsche Richter und Juristen Ende der vierziger Jahre als historische Präzedenzfälle an.

Das spanische Ermittlungsverfahren hat in der US-Öffentlichkeit einen erbitterten Zwist entlang parteipolitischer Linien ausgelöst. Bush-Kritiker fühlen sich darin bestätigt, daß der Irak-Krieg illegal und unmoralisch war. Sie verlangen einen Untersuchungsausschuß oder eine „Wahrheitskommission“ nach südafrikanischem Vorbild.

Verteidiger der Bush-Regierung weisen empört darauf hin, daß die „verstärkten Verhörmethoden“ zu wertvollen Informationen geführt und somit geholfen hätten, US-Soldaten das Leben zu retten und womöglich sogar weitere al-Qaida-Angriffe zu vereiteln. Cheney selber fordert die Veröffentlichung aller einschlägigen Dokumente des Justizministeriums und der CIA, um ein Gesamtbild des „Kriegs gegen den Terror“ entstehen zu lassen.

Barack Obama lehnt einen Untersuchungsausschuß im Kongreß ab. Denn dadurch würden alte politische Kämpfe wieder angefacht, die von seinen ehrgeizigen Regierungszielen ablenken könnten. Aus ähnlichen Gründen sprach sich der neue CIA-Chef Leon Panetta gegen eine Freigabe der Dokumente aus.

Wie brenzlig das Thema ist, zeigte sich, als vorige Woche auch eine prominente Demokratin der Mitwisserschaft bezichtigt wurde: Nancy Pelosi mußte sich Vorwürfen von republikanischer Seite stellen, sie sei 2003 von der CIA über Foltermethoden informiert worden und habe damals keine Einwände erhoben. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses geriet sichtlich in Verlegenheit und behauptete, die CIA habe sie belogen.

Sollte Garzón sich entschließen, Haftbefehle gegen die sechs Männer auszustellen, würde ihnen eine Festnahme und Auslieferung drohen, sobald sie die USA verlassen. Obama stünde dann vor dem Dilemma, entweder Gerichtsverfahren gegen die Angeklagten einleiten zu müssen oder mit einer Auslieferungsforderung Spaniens konfrontiert zu werden.

Auch im eigenen Land ist Garzóns Vorgehen umstritten. Die Medien haben den Audiencia Nacional (Obersten Gerichtshof) bereits sarkastisch in „Audiencia Universal“ umgetauft, denn er spielt sich nicht zum ersten Mal als Weltpolizei auf. Garzón hat die linksnationale Baskenpartei Batasuna verboten und Haftbefehl gegen den chilenischen Ex-Präsidenten Augusto Pinochet erlassen. Er hat Ex-Außenminister Henry Kissinger auf eine Beobachtungsliste gesetzt und ein Verfahren wegen Foltervorwürfen in Guantánamo in die Wege geleitet. Darüber hinaus befaßt sich der Madrider Gerichtshof mit israelischen Angriffen auf Gaza, somalischer Piraterie oder der chinesischen Unterdrückungsherrschaft in Tibet. 

Wenn alle Unterzeichner der Uno-Konventionen dem Vorbild Spaniens folgten, wären wohl schwere diplomatische Krisen die Folge. Das geltende Völkerrecht erkennt nach wie vor die nationale Souveränität an. Die großen qualitativen Unterschiede zwischen den Fällen, die der spanische Gerichtshof verfolgt, könnten dazu führen, daß schwere Verstöße gegen das Völkerrecht trivialisiert und triviale Fälle ernster genommen würden, als ihr Status es rechtfertigt. Eine Faustregel sollte lauten, daß Staaten sich nur solcher Fälle annehmen dürfen, die eigene Staatsbürger betreffen oder sich auf diese auswirken.

Ironischerweise begann sich Garzón für die „Bush Six“ überhaupt erst aus Ärger darüber zu interessieren, daß belastende Indizien gegen Terrorverdächtige in Spanien vor Gericht nicht zugelassen wurden, da sie offenbar durch Folter erzwungen worden waren. Juristen, die Rechtfertigungen für Verstöße gegen das Völkerrecht liefern, sollten sich nicht nur darüber im klaren sein, daß ihnen selber Strafverfahren drohen könnten, sondern auch, daß sie damit dem eigentlichen Ziel, der effektiven Bekämpfung des Terrorismus, eher schaden als nützen.

Daß Bushs „Foltermannschaft“ in den USA vor Gericht kommt, ist unwahrscheinlich – es sei denn, Obama wollte eine politische Schlammschlacht über sämtliche Ereignisse seit dem 11. September 2001 heraufbeschwören. Dazu ist er ein viel zu kluger Politiker. Aber vielleicht wird der Warnschuß aus Spanien wenigstens bewirken, daß andere sich in Zukunft zweimal überlegen werden, was sie tun. Und die David Addingtons dieser Welt sollten von einem Urlaub an der Costa Brava bis auf weiteres absehen.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

Foto: George W. Bush (Mitte unten), Donald Rumsfeld (l. u.), Dick Cheney (r. u.), Douglas Feith,  Alberto Gonzales, John Yoo, William Haynes, David Addington (obere Reihe v. l. n. r.): Kriegsverbrecher? so bedaure ich das sehr und entschuldige mich ausdrücklich."

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