© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/09 22. Mai 2009

„Wir müssen uns in keiner Weise entschuldigen“
Australien: Regierung kündigt Aufrüstungsprogramm als Gegengewicht zur wachsenden militärischen und wirtschaftlichen Macht Chinas an
Erhard Haubold

Die Supermacht USA verliert an Einfluß in Asien. Die dominierende Kraft der nächsten Jahrzehnte ist China, das seine militärischen Absichten in der Region offenlegen sollte. Pekings Anstrengungen gehen weit über das hinaus, was zur nationalen Verteidigung etwa gegenüber Taiwan notwendig ist. Das sind die Kernaussagen des neuen Weißbuchs zur Verteidigung Australiens. Es detailliert das umfassendste Rüstungsprogramm in der Geschichte des Fünfen Kontinents.

Mit umgerechnet knapp 53 Milliarden Euro will Canberra seine Streitkräfte in den nächsten zwanzig Jahren auf eine schwierige strategische Situation im asiatisch-pazifischen Raum vorbereiten. Unter anderem sollen hundert Kampfflugzeuge (Joint Strike Fighters), zwölf U-Boote, acht Fregatten sowie erstmals Mittelstreckenraketen (cruise missiles) angeschafft werden, die auf den Kriegsschiffen installiert werden sollen.

Das Weißbuch hat nicht nur kritische Kommentare in China hervorgerufen, sondern in Australien all jene überrascht, die eine derart deutliche Sprache am allerwenigsten von Premierminister Kevin Rudd erwartet hätten. Der Chef der eher linken Labour Party ist ein ausgewiesener China-Kenner, der fließend Mandarin spricht, als Diplomat in Peking gedient und sich schon als Student (unter anderem in Taiwan) mit dem Reich der Mitte befaßt hat. Seine Abschlußarbeit an der Universität beschäftigte sich mit dem chinesischen Dissidenten Wei Jing­sheng. Und bei seinem ersten offiziellen Besuch in Peking sprach er offen Themen wie Tibet und Menschenrechte an. Der Sydney Morning Herald nennt Rudd einen „Bewunderer Chinas und einen nüchternen Realisten“, dem immer auch die „dunkleren Seiten“ der neuen Großmacht bewußt gewesen seien.

Es sei „sonnenklar“, daß es eine signifikante militärische Aufrüstung im ganzen asiatisch-pazifischen Raum gibt, verkündete Kevin Rudd im April auf einem Kriegsschiff im Hafen von Sydney, wo er das Weißbuch der Öffentlichkeit präsentierte. Es umfaßt 140 Seiten und sagt, daß China in Asien zur eindeutig stärksten Militärmacht aufsteige. Geschwindigkeit und Umfang dieses Wachstums könnten besorgte Reaktionen bei den anderen Anrainerstaaten auslösen. Australien geht davon aus, daß China mit wachsender wirtschaftlicher Macht versuchen wird, sowohl militärisch wie ökonomisch in der asiatisch-pazifischen Region mehr Einfluß zu gewinnen. Es bestehe eine „kleine, aber besorgniserregende Möglichkeit wachsender Konfrontation“ in den nächsten 20 Jahren. Die Situation ist heikel: China ist in australischen Augen nicht nur die größte potentielle Bedrohung, sondern zugleich einer der wichtigsten Abnehmer für die Rohstoffe wie Eisenerz und Kohle, sowie ein Investor, der gerade sein Engagement in den Grundstoffindustrien verstärken will.

Entsprechend heftig waren die Kommentare zur neuen Verteidigungspolitik in China. Australien verspiele seine Rolle als „Brücke“ zwischen Peking und Washington. Von einer „dummen, verrückten und gefährlichen“ Politik sprach Vizeadmiral Yang Yi, Ex-Chef des Nationalen Instituts für Strategische Studien in Peking. Das Weißbuch werde den Rüstungswettlauf in der Region befördern – eine Einschätzung, die auch Rory Medcalf vom Lowy Institute in Sydney teilt: Länder wie Japan, Südkorea und Vietnam könnten sich ermutigt fühlen, ihre Streitkräfte zu stärken. „Australien wird zum Trendsetter in der Region“, warnte der indische Analytiker Raja Mohan im Indian Express. „Kevin Rudd wendet sich gegen China“, kritisierte Shi Yinhong von der Peking-Universität. Seine Verteidigungsstrategie sei nahe an der „schlimmsten Bedrohungsanalyse“, die gegenüber einem souveränen Staat ausgesprochen werden könne.

Der Professor erinnerte dabei an die „gelbe Gefahr“, ein Trauma, das die australische Bevölkerung in der Tat jahrzehntelang beschäftigt hat und das innenpolitisch ausgenutzt wurde. Was tun, wenn die „chinesischen Horden“ mit Tausenden von kleinen Booten sich in Richtung Australien in Bewegung setzen, etwa vom nächsten Nachbarn Indonesien aus? So lautete die Frage, die einst zur „White Australia Policy“ führte, die heute aber allenfalls noch der älteren Generation präsent ist.

Vor allen unter den Labour-Premiers Bob Hawke und Paul Keating hat sich Australien in den neunziger Jahren seinen asiatischen Nachbarn zugewandt und seine Einwanderungspolitik derart liberalisiert, daß man in manchen Stadtteilen Sydneys den Eindruck hat, in China, Vietnam oder Indien gelandet zu sein.

Australiens Problem war und ist, daß hier eine relativ kleine Bevölkerung von rund 20 Millionen Menschen, noch dazu in den Großstädten an der Küste konzentriert, die Verteidigung eines riesigen Kontinents mit Tausenden Kilometern Küstenlinie organisieren und finanzieren muß. Noch im Zweiten Weltkrieg verließ man sich auf das alte „Mutterland“ Großbritannien – um nach dem japanischen Sieg in Singapur unsanft geweckt zu werden. Japanische Bomben auf Darwin, japanische U-Boote im Hafen von Sydney und japanische Grausamkeiten in den Gefangenenlagern auf der Malaiischen Halbinsel haben sich tief in das kollektive Gedächtnis der Australier gegraben, die vorher nie von außen angegriffen worden waren. Der Anzus-Pakt von 1951 (mit Amerika und Neuseeland) war gegen die japanische Gefahr gerichtet. Das Anzuk-Abkommen von 1971 war Teil einer Strategie der Vorwärtsverteidigung, die auch heute noch Gültigkeit hat. Gefahren will man schon im Vorfeld begegnen, im Indischen Ozean oder im Pazifik.

Es gilt, neben Amerika, China und Indien zu bestehen. Neben der Sicherung der eigenen Grenzen und der Rohstoffvorkommen geht es um den Schutz der offshore gelegenen Erdöl- und Erdgasfelder, die Abwehr von Terror und Piraterie. Dazu kommt nicht zuletzt die Sicherung der Seewege nach Europa und Fernost. Dafür „müssen wir uns in keiner Weise entschuldigen“, so Rudd, der Amerika nach wie vor als wichtigsten Partner sieht – aber aus der Geschichte auch gelernt hat, daß man sich nie auf nur einen Verbündeten verlassen soll: Denn die Welt erlebe derzeit den „Anfang vom Ende“ der amerikanischen Dominanz, so Verteidigungsminister Joel Fitzgibbon.

Die Studie „Defending Australia in the Asia Pacific century: Force 2030“ steht im Internet: www.apo.org.au/sites/default/files/defence_white_paper_2009.pdf

Foto:  Premier Kevin Rudd: Warnung vor wachsender Konfrontation

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