© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/09 22. Mai 2009

Stoppt die Deutschen!
Schweiz: Wegen der Weltwirtschaftskrise soll die Zuwanderung aus der EU beschränkt werden / Bei Asylanten und deren Familiennachzug bleibt alles wie gehabt
Frank Liebermann

Als Deutscher in der Schweiz zu leben, ist nicht immer leicht. Mal sind die „Schwaben“ unbeliebt, weil sie die Löhne im Bau- und Gastronomiegewerbe drücken, ein anderes Mal, weil sie mehr verdienen, etwa an Universitäten, in der Medizin oder als Ingenieure. Richtig können es die neuen Zuwanderer nur machen, wenn sie bei der Fußballweltmeisterschaft oder wie jüngst beim Eishockey verlieren. Dann weicht die Abneigung gnädigem Spott.

Seit einigen Wochen leidet das Verhältnis noch mehr. Die globale Wirtschaftskrise hinterläßt auch in der wohlhabenden Finanzhochburg ihre Spuren. Bislang hatte die Eidgenossenschaft fast Vollbeschäftigung, die Erwerbslosenquote lag bei zwei Prozent, und die Wirtschaft wuchs. Mittlerweile ist die Anzahl der Arbeitssuchenden auf 3,5 Prozent angestiegen, was zu einer merklichen Beunruhigung in der Schweizer Politik führt. Verglichen mit dem Vorjahr ist das eine Zunahme um 35 Prozent.

Vor allem die Anzahl der arbeitslosen Ausländer stieg überproportional. Mit 1,6 Millionen Menschen im Jahr 2008 hatte die Schweiz eine Ausländerquote von 21 Prozent. Davon machen die Italiener die größte Gruppe aus (290.000), auf Platz zwei kommen schon die Deutschen (214.000), gefolgt von Portugiesen (188.000) und Serben (186.000). Im Raum Zürich stellen die Deutschen die größte Ausländergruppe dar. Und mit 82 Prozent Zunahme haben sie den größten Zuwachs unter den Arbeitslosen zu verzeichnen. Dabei sind die stärksten Berufsgruppen (Gastronomie und Bau) besonders betroffen, aber auch der Anteil der Bankangestellten nimmt zu.

Vorige Woche hat sich die Regierung mit einem befristeten Zuwanderungsstopp für Arbeitskräfte aus der EU befaßt. Zu einem Entscheid konnte sich der Bundesrat noch nicht durchringen. Die Angst vor dem politischen Signal gegenüber dem Rest der Welt ist groß. Einzig die restriktive Übergangsregelung für Bürger aus den neuen EU-Staaten wurde bis 2011 verlängert.

Möglich machen soll diese Maßnahme die sogenannte Ventilklausel. Die Schutzklausel erlaubt der Schweiz für einen befristeten Zeitraum einseitig und ohne die Gefahr von Sanktionen einzugehen, Kontingente für die Einwanderung einzuführen. Voraussetzung dafür ist, daß die Zahl der ausgestellten Bewilligungen in einem bestimmten Jahr um mindestens zehn Prozent über dem Schnitt der vorangegangenen drei Jahre liegt. Aus dieser Situation versucht die rechtsbürgerliche Schweizerische Volkspartei (SVP) Kapital zu schlagen. Die Deutschen sind Gegenstand polemischer Kampagnen, besonders seit Finanzminister Peer Steinbrück Attacken gegen Steueroasen (JF 16/09) reitet.

Unabhängig, ob der Entscheid kommt oder nicht, die Anwendung der Ventilklausel hat vor allem einen Ablenkungseffekt: Sie dient der Beruhigung der Wahlbevölkerung. Der Nutzen geht hingegen gegen Null. Der Grund ist einfach. Ausländer, die bereits in der Schweiz leben, können bleiben und sind von der Ventilklausel nicht betroffen. Da sie ihre Beiträge in das Schweizer Sozialsystem gezahlt haben, bekommen sie ihre Arbeitslosenunterstützung vom Schweizer Staat ausbezahlt, selbst wenn sie nach Deutschland zurückkehren. Die Zahl der Neuzuzüge aus der EU hat sich aber seit der Wirtschaftskrise drastisch vermindert, da aus Deutschland vor allem Akademiker und gut ausgebildete Handwerker und Dienstleister kommen. Ohne Arbeitsplatz zieht es diese aber nicht in die Schweiz, da das deutsche Sozialsystem immer noch weniger restriktiv ist als das Schweizer. Des weiteren läßt sich die Zuwanderung durch die Schutzklausel nur um zirka fünf Prozent begrenzen. Die Wirkung wäre also eher gering und ein rein innenpolitisches Signal. Eine Verbesserung der Situation wäre nicht zu erwarten.

Völlig vergessen wird auch ein anderer Effekt. Der Zuzug von Nicht-EU-Bürgern ist von der Ventilklausel nicht betroffen. Da dieser in der Regel über Asylanträge oder Familiennachzug erfolgt, wird sich am Zuzug in die Sozialsysteme wohl nichts ändern. Insofern ist auch nicht weiter verwunderlich, daß viele Kritiker bemängeln, der Bundesrat versuche von diesbezüglicher Untätigkeit durch neue Maßnahmen abzulenken.

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