© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/09 22. Mai 2009

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Ansehensverlust
Karl Heinzen

Um das Ansehen der Demokratie ist es in unserem Land, wenn man einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung Glauben schenken möchte, alles andere als schlecht bestellt. 77 Prozent der Bürger halten sie schlichtweg für die beste denkbare Staatsform. Auch jener Minderheit von elf Prozent, die sich etwas Besseres vorstellen kann, dürfte in der Regel keine Schreckensherrschaft als Alternative vor Augen stehen. Sie hat vermutlich bloß zum Ausdruck bringen wollen, daß unsere vor dem Hintergrund übler historischer Erfahrungen mit dem deutschen Volk nicht ganz lupenrein konstruierte Demokratie eigentlich noch demokratischer zu werden verdient. Zwölf Prozent der Befragten schließlich machten von ihrem durch die Verfassung garantierten Grundrecht Gebrauch, keine Meinung haben zu müssen.

Die breite Zustimmung zu den Prinzipien der Demokratie schirmt jedoch die Demokraten, die sie mit Leben erfüllen, nicht vor Unmut ab. So sind 45 Prozent der Menschen eher enttäuscht darüber, wie die Demokratie hierzulande tatsächlich funktioniert. Schon nahezu traditionell ist die Miesepeterei im einstigen Beitrittsgebiet: Etwa 60 Prozent der dort immer noch Siedelnden sind als demokratieverdrossen einzuschätzen. Beruhigend ist jedoch, daß diese Stimmung auf mittlere Sicht nur für Kommunal- und Landtagswahlen von Belang sein wird. Aufgrund der demographischen Entwicklung werden die „neuen Bundesländer“ für die politische Willensbildung im Bundesgebiet insgesamt mehr und mehr belanglos.

Alarmierender ist da schon das Meinungsbild der Migranten, deren Gewicht auch an den Wahlurnen stetig und rasant wächst und die ja nicht zuletzt deshalb in unserem Land ihre persönliche Zukunft suchten, weil dessen Werteordnung ihnen als überzeugend erschien. Der Bertelsmann-Umfrage zufolge weicht ihre anfängliche Euphorie jedoch einer tiefen Skepsis, je länger sie hier leben.

Nicht überraschend ist, daß die Überzeugungskraft der Demokratie abnimmt, je niedriger das Bildungsniveau und somit der soziale Status ist. Hier sollte man es sich aber nicht zu einfach machen und etwa behaupten, daß Akademiker einfach mehr Zeit investierten, um sich mit Fragen unseres Gemeinwesens auseinanderzusetzen, als beispielsweise Hauptschulabsolventen. Die Erfahrung zeigt, daß dies keineswegs der Fall sein muß. Plausibler ist, daß die Unter- und Mittelschichten den Charakter unserer Demokratie im Alltag anders erleben als die Eliten: Wem immer sie auch zur Mehrheit verhelfen, er ist nicht ihren Interessen verpflichtet.

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