© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  22/09 22. Mai 2009

Fingerzeige eines höheren Lebens
Nachruf: Zum Tod des Philosophen Manfred Riedel
Harald Seubert

Am Tag nach seinem 73. Geburtstag ist der Philosoph Manfred Riedel in Erlangen gestorben. Er war unter den Philosophen seiner Generation eine Ausnahmeerscheinung. Zuerst Schüler von Ernst Bloch in Leipzig, verließ er die DDR in den frühen sechziger Jahren und beendete seine Studien bei Karl Löwith und Hans-Georg Gadamer in Heidelberg.

Ausgehend von der Promotionsschrift legte er in frühen Jahren eine Reihe bedeutender Untersuchungen über Hegel vor. Gegen den beginnenden Linksmarxismus vermochte er die alteuropäischen aristotelischen Wurzeln Hegelschen Denkens freizulegen. Folgerichtig galt seine Habilitationsschrift Begriff und Sache der bürgerlichen Gesellschaft. Eine Reihe grundlegender begriffsgeschichtlicher Untersuchungen hat Riedel im Laufe der Zeit dazu publiziert.

Es folgten lange Jahre der Lehrtätigkeit als Ordinarius in Erlangen zwischen 1971 und 1993. Riedel gab der Fränkischen Universität ein unverkennbares philosophisches Gesicht. Von Hegel ging der Blick weit zurück zu den Anfängen griechischen Denkens und voraus zu Heidegger und Nietzsche. Die spekulative Bedeutung hörender (akroamatischer) Philosophie hat Riedel erstmals von Grund auf entwickelt. Von 1993 bis zu seiner Emeritierung 2004 wirkte er als Ordinarius für Praktische Philosophie im vollen aristotelischen Sinne des Wortes an der Martin Luther-Universität Halle-Wittenberg nahe seinem Herkunftsort.

Die Liebe des in Etzoldshain nahe Zeitz Geborenen gehörte lebenslang dem Alten Reich, diesem „vergessenen Land“ und seinen Spuren in der Gegenwart. Gegen alle Tendenzen widmete er sein persönlichstes Buch 1990 der „Zeitkehre“, Erinnerung und Vorklang in ein geeintes Deutschland, wie es so nicht Realität werden sollte. Großen, tief musikalischen Studien zu Dichtung und Philosophie, vor allem zu Stefan George und dem „Geheimen Deutschland“ widmete er die Arbeit seiner letzten Jahre (JF 12/07). Als er in Deutschland lange schon nicht mehr lehrte, las er in Neapel, der ihm seit Aufenthalten mit Löwith vertrauten Stadt im Süden, wo sich Christentum, Rom und griechische Antike berühren.

 Manfred Riedel war ein großartiger Doktorvater und philosophischer Lehrer. Seine Vorlesungen und Seminare, vor allem aber das Gespräch mit ihm eröffneten, worum es ihm vor allem ging: Fingerzeige eines höheren, schöneren Lebens. Seine Philosophie war unabhängig vom Zeitgeist; nicht polemisch, sondern eirenisch von Natur, ließ sie die Banalität der späten Moderne hinter sich. Sein Vermächtnis bleibt.

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