© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/09 05. Juni 2009

Sturm auf Europa
Ungebremste illegale Einwanderung stellt die EU vor enorme Herausforderungen
Michael Paulwitz

Alt und schwach, aber wohlhabend – so wirkt Europa auf die Hungrigen dieser Welt. Sie rütteln an den Toren der müden Festung, von Ceuta und Melil­la, den spanischen Exklaven auf afrikanischem Boden, über Lampedusa und Malta und die thrakischen Grenzflüsse bis in die Waldgebirge, die Polen von der Ukraine und Weißrußland trennen. Doch die Besatzung der belagerten Festung ist sich nicht einig, wie mit der Herausforderung umzugehen ist.

Unaufhörlich schwillt der Strom der illegalen Einwanderer an. 140.000 wurden im Jahr 2007 aufgegriffen, 175.000 im Jahr 2008, für 2009 erwartet die EU-Agentur Frontex einen weiteren Anstieg. Die Aufgegriffenen sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Moderne Grenzüberwachungstechnik wird nur punktuell eingesetzt, in den Staaten, die die Außengrenzen kontrollieren, steht sie oft nicht zur Verfügung. Meist fehlt auch der Wille. Eine kleine und stiefmütterlich ausgestattete EU-Behörde kann diesen Mangel nicht wettmachen.

Sind es vier Millionen illegale Einwanderer, die sich derzeit auf dem Territorium der 27 EU-Mitgliedstaaten aufhalten, sind es acht? Niemand scheint das genau zu wissen. Mancher skrupellose Geschäftsmann in Süditalien oder Spanien verdient gut an der Beschäftigung illegaler Einwanderer; die gesellschaftlichen Folgekosten tragen ja andere. Für die unmittelbar Betroffenen in den Städten und Vororten dagegen bedeutet illegale Einwanderung statt Bereicherung weit häufiger Unruhe und Bedrängnis.

In Griechenland explodierte der aufgestaute Unmut kürzlich in regelrechten Straßenschlachten zwischen Bürgern und Einwanderern und zwischen Illegalen und der Polizei. Jeder zweite aufgegriffene Illegale wird im Land der Hellenen gefaßt, die Dunkelziffer nicht mitgerechnet. Mindestens 400.000 Illegale halten sich in Griechenland auf, schätzt die Polizei. In Athen besetzen sie leerstehende Neubauten, nehmen ganze Straßenzüge ein, Touristen bleiben weg, die Einheimischen fühlen sich vertrieben. Die Auseinandersetzungen sind ein Vorgeschmack künftiger Verteilungskämpfe. Doch die Regierung resigniert und ruft nach der EU, sie solle ihr die Last der Illegalen abnehmen.

Anders Italien. Zwischen Kapitulation oder entschlossener Abwehr setzt Rom auf die zweite Lösung. Illegaler Aufenthalt als Straftatbestand, Abschiebelager, Legalisierung von Bürgerwehren – das sind deutliche Signale, die im Volk ankommen. Italiens Marine drängt Flüchtlingsschiffe von den eigenen Küsten nach Libyen ab, statt wie die erfolglosen Frontex-Patrouillen nur Schleuserboote magisch anzulocken und die Illegalen an Bord zu nehmen.

Ministerpräsident Berlusconi hat die Gesetzesverschärfungen mit der Vertrauensfrage durchgesetzt. Italiens Lega-Nord-Innenminister Roberto Maroni legt sich als treibende Kraft dieses Kurses mit Multikulturalisten und Einwanderungslobbyisten sowohl im eigenen Land als auch in den internationalen Organisationen an. Das erfordert Mut und Standfestigkeit – Eigenschaften, die die meisten europäischen Regierungen nicht aufbringen. Schon gar nicht die Institutionen und Abteilungen der wuchernden Eurokratie, die oft genug von Einwanderungslobbyisten und -ideologen dominiert werden, die sich wohldotiert und ungestört von demokratischer Kontrolle ihren multikulturellen Tagträumen hingeben.

Da werden Papiere verbreitet, die in plattestem Ökonomismus utopische Einwanderungszahlen aus demographischen Gründen postulieren, so als wären die europäischen Völker ausgebrannte Regimenter, die man beliebig mit Rekruten von überallher auffüllen müßte; da richtet man in Nordafrika „Beratungsbüros“ ein, die illegale Einwanderer eher ermuntern als von ihrem Vorhaben abbringen dürften; da winkt das Europäische Parlament eine Asylrichtlinie durch, die Asylbewerber vom Fleck weg mit quasi-staatsbürgerlichen Rechten ausstatten will. Viel Energie verwendet man auf die „Blue Card“ zur Anwerbung „Hochqualifizierter, doch die wenigen Beschlüsse zum Umgang mit illegaler Migration verharren im Allgemeinen und Unverbindlichen.

Was die EU tut oder läßt, hängt freilich wesentlich von der Haltung ihrer größten und einflußreichsten Mitgliedstaaten ab. Doch während aus Italien, Frankreich und Skandinavien ermutigende Ansätze kommen, fällt das größte und wirtschaftsstärkste EU-Mitglied, Deutschland, als Impulsgeber praktisch aus.

An der politischen Spitze herrscht ängstliches Schweigen und Abwarten. Das Wehklagen der üblichen Verdächtigen über die strikten Maßnahmen von Franzosen oder Italienern ist aus Deutschland lauter zu vernehmen als eine dringend benötigte Unterstützung der Bundesregierung für einen entschlossenen Kurs. Eine politische Klasse ohne nationales Identitäts- und Interessenbewußtsein vermag unter dem Druck der lautstarken Lobbyisten deren Begehrlichkeiten allenfalls hinhaltenden Widerstand entgegenzusetzen.

Illegale Einwanderung ist zweifellos ein europäisches Problem und verlangt europäisches Handeln. Doch ohne nationale Maßnahmen, die den eigenen Interessenrahme abstecken, geht es nicht. Berlin darf sich nicht hinter europäischen Konsensrunden und Alibi-Agenturen oder der Drittstaatenregelung verstecken, es muß selbst das Heft in die Hand nehmen. Im nationalen Rahmen heißt das: Wiedereinführung scharfer Grenzkontrollen und Streichung der Einwanderungsanreize im Sozialsystem. Auf europäischer Ebene lautet die Aufgabe, Regierungen wie die italienische zu unterstützen, die in der Einwanderungsfrage eine klare Haltung einnehmen, und in konzertierter Aktion einer restriktiven Einwanderungspolitik in Europa zum Durchbruch zu verhelfen. Und nicht zuletzt verlangt der Kampf gegen die Hydra der Einwanderungs- und Multikulturalismuslobby, daß ihren Behörden und Agenturen, die vom Geld der europäischen Steuerzahler ausgehalten werden, der Geldhahn abgedreht wird. Viel zu tun – die Alternative hieße indes Selbstaufgabe.

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