© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/09 05. Juni 2009

CD: Pop
Potpourri
Georg Ginster

Mit dissonantem Synthie-Getöse packt Depeche Mode den Hörer beim Ohr und zerrt ihn hinein in den ersten Track des zwölften Studioalbums in nunmehr annähernd dreißig Jahren Bandgeschichte. Dieses dramaturgische Späßchen ist nicht neu, man könnte sogar sagen, es ist abgenutzt. Wer Manierismen dieser Art nötig hat, so würde man bei jeder nicht ganz so etablierten Band argwöhnen, der will wohl eigentlich verbergen, daß es um die Originalität seiner Musik nicht sonderlich gut bestellt ist.

Einen Grund, Depeche Mode von diesem Verdacht auszunehmen, gibt es nicht. Denn so kurz das Intro auch ist und sowenig es die folgenden 13 Songs vorzeichnet, so aufschlußreich ist es für die Arroganz, die die gesamte CD zum Ausdruck bringt. Mit „Sounds of the Universe” (Mute Records) scheint Depeche Mode, dies deutet bereits der Titel an, zu wähnen, in den lichten Höhenlagen der Bandkarriere angekommen zu sein, in denen man sich weder um das Werk noch um dessen Wirkung auf das Publikum Gedanken machen möchte, da die Geschäftsidee doch schließlich als ein Selbstläufer betrachtet werden darf. Ökonomisch mag diese Rechnung noch aufgehen, da die Anhänglichkeit der traditionellen Hörer nicht von heute auf morgen zu erschüttern ist. Künstlerisch ist sie aber bereits jetzt als Fehlkalkulation zu bilanzieren.

In der Vergangenheit verstand es Depeche Mode immer wieder aufs neue, den Eindruck zu erwecken, ungeachtet aller klinischen Professionalität den eigenen Stil kongruent und inspiriert stets ein klein wenig fortzuentwickeln. Diese Illusion kann oder möchte man nicht mehr aufrechterhalten. „Sounds of the Universe“ kommt daher wie eine Session, in der sich die Musiker schweigend gegenüberstehen und in ihrer Verblüffung schließlich dazu übergehen, rechnergestützt Soundelemente aus Hits der Vergangenheit neu zu kombinieren.

Folgerichtig bietet die neue CD nichts, was man auf den elf bisherigen Alben nicht schon einmal irgendwie gehört hätte, ein unfreiwilliges Potpourri aus allzu bemühten Gesten, abgedroschenen Metaphern, dümmlich-koketten Anspielungen auf vermeintliche Grenzerfahrungen, unsäglichen Schüttelreimen, einfältigen Fahrstuhlmelodien und Überraschungseffekten, die niemanden mehr überraschen können. Depeche Mode hat auf diese Weise die eigene Entzauberung selbst in die Hand genommen. Hielt sich einst hartnäckig das Gerücht, die Band hätte irgend etwas zu sagen, so ist heute nicht mehr von der Hand zu weisen, daß es sich doch wohl eher um eine abgebrühte Spielart des Easy Listening handelt.

Der Versuchung, den emotionalen Bedarf mit dem Instrumentarium der Verbraucherstatistik konstruierter idealtypischer Konsumenten durch industrielle Musikproduktion zu decken, entgeht Fever Ray schon qua der vergleichsweise geringen und disparaten Hörerschar. Die Grenzen, die der Einwirkung des Künstlers auf die Welt dadurch gesetzt sind, daß es sich seiner Kontrolle entzieht, wer sich seiner Botschaften in welcher Auslegung bemächtigt, werden dabei auf der gleichnamigen Erstlings-CD (Motor Records) hingenommen und zugleich unterlaufen.

Das Soloprojekt von Karin Dreijer Anderson, die ansonsten der rätselhaften Experimental-Combo The Knife die Stimme leiht, serviert gespenstische Klangszenarien, an denen sich der Hörer fasziniert und vergeblich abarbeiten kann. Der erste Eindruck, hier würde man wieder einmal Ohrenzeuge der Bemühungen einer Künstlerin, okkulten Anwandlungen folgend die Hexe in sich zu entdecken, wird bei präziserer Wahrnehmung alsbald erschüttert. Die Magie ist konstruiert, und man wittert das surrealistische Spiel mit dem Unbewußten, das hier mit einem getrieben wird. 

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