© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/09 05. Juni 2009

Frisch gepresst

Befreiung? Ihrer so fragenden Studie fügt Silke Satjukow den Untertitel „Die Ostdeutschen und 1945“ hinzu (Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2009, gebunden, 288 Seiten, Abbildungen, 29 Euro). Für eine Zeithistorikerin ein arger, anachronistischer Schnitzer. Denn 1945, und mindestens bis 1990, lag Ostdeutschland geographisch, politisch und völkerrechtlich jenseits von Oder und Neiße. Frau Satjukow meint also Mitteldeutschland, die spätere „Zone“, das Arbeiter- und Bauernparadies der DDR. Und zu einem Kernelement der SED-Ideologie, dem Mythos der „Befreiung“ Deutschlands durch dessen angeblich größten Freund, die Rote Armee, liefert die Autorin einen sich bis in die Agonie des Honecker-Regimes erstreckenden wichtigen analytischen Beitrag. Der verschwenderisch ausgebreitete Reichtum ihrer Quellen vermittelt eine ungemein anschauliche Vorstellung von den Sturzbächen der Propagandaphrasen, die, einsetzend in der Vorschulerziehung, auf den armen DDR-Bürger jahrzehntelang in Sachen „Waffenbrüderschaft aus Klassenbrüderschaft“ niedergingen. Das „Befreiungs-Narrativ“, eine Lüge, nichts weiter, aber Jung und Alt gnadenlos eingelöffelt mit einer Orwellschen Konsequenz, die schließlich auch zu schönen Erfolgen bei der Massenverdummung führte. Nach 1989 war damit keineswegs Schluß, wie sich am Fortleben des „Narrativs“ in der „politischen Bildung“ der Berliner Republik ablesen läßt.

Vor 1989. Zwanzig Jahre nach dem Jubeljahr 1989 regnen die zu diesem Anlaß produzierten Bücher auf den Leser herab. Wer immer irgendwo und irgendwann „dabei“ war, fühlt sich gedrängt, dies der Nachwelt zu überliefern. So auch Erhard Stackl, Wiener Journalist, lange außenpolitischer Redakteur des Profil und seit 1993 „in leitender Position“ beim Standard. Für Profil war Stackl 1979/80 in Warschau und erlebte die Anfänge der polnischen Abnabelung von Moskau mit. Stackl sprach mit vielen Akteuren, auch mit einem mißtrauischen Lech Wałęsa, und er weiß die Um- und Aufbruchstimmung dieser Zeit anschaulich zu vermitteln. Weniger geglückt sind historische Exkursionen, etwa wenn er „die Todeslager Chelmno und Auschwitz-Birkenau“ in die – so seine gleich doppelt kuriose Wendung – „Deutschland angeschlossenen Ostgebiete“ verlegt. Stackl konfrontiert sodann die polnische Situation mit den politischen Entwicklung, die er in seinen südamerikanischen „Operationsgebieten“ kennenlernte, mit der „Demokratisierung“ Chiles und, bewirkt durch die Niederlage im Falkland-Krieg 1982, in Argentinien. Für das Jahr des Mauerfalls und anderer Grenzöffnungen bleiben am Ende nur wenige Seiten (1989. Sturz der Diktaturen, Czernin Verlag, Wien 2009, gebunden, 303 Seiten, 21,90 Euro).

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