© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  24/09 05. Juni 2009

Die chinesische Lösung
Internetzensur: Wikipedia sperrt Scientology-Autoren von der Mitarbeit aus
Thorsten Thaler

Es ist einer jener Sündenfälle, die für sich genommen unscheinbar sein mögen, in ihrer Konsequenz aber nicht zu unterschätzen sind. Zum ersten Mal hat jetzt die Internet-Enzyklopädie Wikipedia entschieden, eine ganze Nutzergruppe kollektiv von ihren Seiten zu verbannen und von einer aktiven Teilnahme an der Plattform auszusperren. Betroffen sind Mitglieder von Scientology, die in Zukunft weder Artikel verfassen noch bearbeiten dürfen. Dazu werden jene IP-Adressen, die der Sekte zuzuordnen sind, von einem Zugang zur Wikipedia-Seite blockiert. Grund: Nach Ansicht einer Schiedskommission der englischsprachigen Wikipedia haben Autoren im Interesse von Scientology mehrfach Texte verändert.

Potzblitz! Seit Jahr und Tag stehen die Betreiber von Wikipedia in der Kritik, weil es möglich ist, Texte einseitig zu verändern und Beiträge in eine bestimmte Richtung zu färben. Denn grundsätzlich definiert sich die Online-Enzyklopädie als offenes und freies Angebot zur kollektiven Wissenssammlung und -vermittlung. „In der Wikipedia arbeiten Autoren mit unterschiedlichstem politischem, religiösem und weltanschaulichem Hintergrund mit, als offene Enzyklopädie schließt sie niemanden wegen seiner Anschauungen aus“, heißt es in den Grundsätzen des Portals.

Damit ist jetzt offenbar Schluß. Ab sofort gilt bei Wikipedia die chinesische Lösung im Umgang mit Andersdenkenden. Heute sind es (vermeintliche) Scientologen, morgen ist es eine andere mißliebige Gruppe. Da mag es nur ein schwacher Trost sein, daß die Ausschlußmaßnahme angesichts der Möglichkeiten zur Verschleierung von IP-Adressen wohl nicht besonders effektiv sein wird. Gefährlich ist der totalitäre Geist, der so etwas ausbrütet.
 

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