© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/09 12. Juni 2009

Kindesentzug
Zerbrochene Liebe: Der Film „Der entsorgte Vater“ dokumentiert Abgründe
Ellen Kositza

Vor Jahren kursierte das Diktum einer Ulla Schmidt: „Familie ist, wenn alle aus einem gemeinsamen Kühlschrank essen.“ Damals, 1998, sorgte diese profane Definition von Familie noch für hitzige Diskussionen. Heute kann fast jeder aus seinem privaten Umfeld von einem Vielerlei an Mutter-Vater-Kind-Variationen berichten: Hier die Alleinerziehende, dort die Lesben mit Anhang oder das sogenannte Patchwork aus Mann und Frau mit x Kindern aus drei, vier Ehen.

Daß es dabei passabel zugehen kann – keine Frage. Eine Trennung trotz Kind gilt nicht mehr als Makel. „Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“ – die flotte Volksweisheit hat sich im familiären Bereich durchgesetzt.  Weithin gilt, daß Kinder unter einer sauberen Scheidung weniger litten als unter einer mit Mühe aufrechtgehaltenen, aber zerrütteten Ehe.

Wie häufig „saubere Scheidungen“ sind oder in welchem Maße Kinder unter welcher Konstellation leiden – darüber gibt es naturgemäß keine Zahlen, über die gescheiterten „wilden Ehen“ schon gar nicht. 2007 standen in der Bundesrepublik rund 370.000 Eheschließungen etwa 190.000 Scheidungen gegenüber. Mitbetroffen sind Jahr für Jahr an die 150.000 Kinder. Über 90 Prozent von ihnen werden den Müttern „zugesprochen“. In seinem eben in den Kinos anlaufenden Dokumentarfilm „Der entsorgte Vater“ sagt Regisseur Douglas Wolfsperger, daß 40 Prozent dieser Kinder nach einem Jahr keinen Kontakt mehr zu ihren Vätern haben. Eine Zahl, die schwierig zu verifizieren sein dürfte. Das Bundesamt für Statistik fragt dergleichen nicht ab.

Und wer kümmert sich um diesen Vaterverlust? Zu wenige, meint Wolfsperger. Daß er sich nun des Themas annimmt, beruht darauf, daß der 51jährige Geschiedene selbst unter Kindesentzug leidet; ihm wird nach einem jahrelangen Rosenkrieg mit der Mutter der Kontakt zu seiner eigenen Tochter verwehrt. Wie ihm geht es vier weiteren Männern, deren Schicksal er porträtiert. Hinter allen liegt eine zerbrochene Liebe, allen wird der Kontakt zu ihren Kindern von der Mutter, flankiert durch Ämter, Gerichte und Sozialmanager, verwehrt. Alle kämpfen um ihr Recht, Vater bleiben zu dürfen – und sei es alle vierzehn Tage auf Besuch.

Die Mütter kämpfen mit harten Bandagen erfolgreich dagegen – warum, erfahren wir nicht. Das geht so weit, daß Kinder gegen den Vater aufgehetzt werden – daß, um gegen den verhaßten „Ex“ punkten zu können, Mißbrauchsvorwürfe erhoben werden. Zuletzt hatte sogar die renommierte Rechtspsychologin Elisabeth Müller-Luckmann in der Zeitschrift Emma berichtet, daß falsche Mißbrauchsanschuldigungen gegenüber Scheidungsvätern ein beliebtes Manipulationsmittel seien.

Wie, fragt man sich, wie kann man nur solche Mütter begreifen, die ihrem Kind den Vater vorenthalten?

Nun spricht natürlich einiges – wenn nicht das meiste! – dafür, diese Frage so zu beurteilen, wie es Franzjörg Krieg im Film nahelegt. Er ist einer der „verwaisten Väter“ und Gründer der Aktion „Väteraufbruch für Kinder“. Ein Kind habe nicht nur 50 Prozent der Gene von seinem Vater. Auch die Identität leide, wenn ein Teil der Herkunft dem Kind entzogen würde. Aus solchem Mangel resultierten früher oder später Krankheiten, psychische oder, in Form einer Somatisierung, auch körperliche.

Das ist wohl wahr. Eine durch Tod vaterlose Kindheit (wo der Vater wenigstens in Erzählungen der Mutter weiterlebt) ist nicht vergleichbar. Wenn der Vater verschwiegen oder als Unmensch dargestellt wird, beginnt die kindliche Identität zu hinken. Andererseits, Wolfsperger sagt es selbst, ist dieser Film, sind diese Väterschicksale subjektive Erzählungen aus je einer Sicht. Man darf in diesen fünf Fällen davon ausgehen, daß die betreffenden Mütter den Teufel getan hätten, ebenfalls vor die Kamera zu treten. Es sind allem Anschein nach herzlose, egozentrische Frauen.

Oder? Eine andere Möglichkeit darf man wenigstens gedanklich konstruieren: die vom Vater, der die Mutter in den anstrengenden Tagen und Nächten der ersten Jahre oft allein ließ. Der Affären hatte. Der sich später bei den Unterhaltszahlungen herausredete. Der die Kinder allenfalls ins Kino und zum Schnellimbiß mitnahm. Der Übernachtungen – die die Mutter mal für ein Wochenende entlastet hätten – ausschloß, weil er bei seiner neuen Freundin wohnte. Die Mutter, die dann entschiede: Nein, besser gar kein Vater als dieser Zustand, der eine Qual für mich und eine Zumutung ist für die Kleinen – hätte sie nicht unser Verständnis?

Wie Hallodris wirken die fünf Filmmänner mit ihren Schicksalen nicht. Von Fremdgängen und Unterhaltsstreitigkeiten ist keine Rede – vielleicht, weil’s in den zerrütteten „Beziehungen“ nicht zur Debatte stand, vielleicht, weil’s im Film nicht zur Debatte gestellt wird.

Wolfsberger läßt auch eine Frau zu Wort kommen, die mutwillig zwei Kinder ohne Kontakt zu deren Vätern großzieht. Welche Abgründe! Einmal, als der Sorgerechtsstreit schon am Eskalieren war, habe Vater Nummer eins im Rahmen einer heftigen Auseinandersetzung das Kind grob vom Hintersitz des Autos auf den Vordersitz gezogen. Dann hat er sie – die Frau – auch geschlagen. Nicht immer mal, sondern in dieser einen Situation. Man hört und sieht diese Frau erzählen, man kennt diesen Jargon aus angelernter „Selbstbestimmtheit“, Empörung und „Wut im Bauch“ und ahnt ihr – nun ja, ihr furioses Potential. Da wird schon klar: Ihr Bauch, ihr Kind gehören ihr und niemanden sonst! Mehr als einen Erzeuger, sagt sie, habe sie in einem Vater nie gesehen.

Ein bedrückender Film – am traurigsten wohl für diejenigen, die solche Händel am wenigsten zu verantworten haben: die Halbwaisen, die Kinder.

Foto: Regisseur Douglas Wolfsperger: Neun von zehn Scheidungskindern werden der Mutter zugesprochen

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