© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/09 12. Juni 2009

Ihr Sendungsbewußtsein bleibt unerschütterlich
Der „Spiegel“-Journalist Jan Fleischhauer analysiert zynisch, aber fundiert das linke Milieu in Deutschland
Frank Liebermann

Abrechnungen mit den Linken gibt es mittlerweile wie Sand am Meer. So beschäftigte sich Roland Baader mit dem Thema, warum die Intellektuellen – und das sind ja bekanntlich immer die Linken – die Welt zu Tode denken, Gunnar Sohn zeigte in „Die Öko-Pharisäer“ auf, wie es mit der Ökologiebewegung tatsächlich bestellt ist, Gerhard Henschel machte sich in „Das Blöken der Lämmer“ über den linken Kitsch lustig. Eine Vielzahl anderer prominenter Autoren ist mittlerweile auch auf diesen Zug aufgesprungen. Es scheint inzwischen schon fast so, daß sich mit Kritik am herrschenden linken Zeitgeist durchaus Auflage machen läßt.

Neu hinzugekommen ist nun der Autor Jan Fleischhauer. Der 1962 geborene Hamburger ist seit 1989 Journalist beim Spiegel und daher einer konservativen Grundhaltung eher unverdächtig. Was hat ihn aber zum Konservativen werden lassen? Sein Buch „Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ geworden ist“ ist keines der üblichen Renegatenwerke, die regelmäßig vor den Buchmessen auftauchen. Vielmehr beschreibt Fleischhauer fröhlich eine Jugend, die von einem besonders nervigen Elternhaus geprägt wurde. Coca Cola gab es dort nicht, Walt-Disney-Filme galten als imperialistisch und Früchte durften nur aus politisch korrekten Ländern kommen. Die Mutter wachte streng darüber, daß alles seine sozialdemokratische Ordnung hat. Und obwohl man in einem noblen Hamburger Vorort wohnte, galt der Begriff Konservativer als Schimpfwort in seiner Familie, in der schon seit Menschengedenken SPD gewählt wurde.

Um auch etwas für das Gute in der Welt zu tun, wird der junge Fleischhauer Anhänger der Black Panthers. Blöderweise interessiert sich dafür niemand. In dem Hamburger Stadtteil fehlt es für eine wirksame Bewegung vor allem am Wichtigsten: den unterdrückten Schwarzen. Erst mit zunehmendem Alter stellt der Autor „die Verbeamtung“ von Ideen fest und zeigt auf, wie die Linke zum „Juste milieu“ werden konnte, welches heute an Universitäten, im Kulturbetrieb, den Medien und an Schulen den Ton angibt. Fleischhauer ist niemand, der einen radikalen Wandel ins konservative Lager vollzieht. Vielmehr entdeckt er die Lust am Nachdenken und stellt eine Vielzahl von linken Tabus in Frage.

Fleischhauers Buch unterscheidet sich wohltuend von anderen Werken, die nur an der linken Ästhetik kratzen und sich über Wollpullis, AKW-Buttons und unrasierte Frauenbeine lustig machen. Vielmehr widerlegt er eine falsche Politik mit aktuellen Studien, Zahlen und Fakten. Hier zeigt sich der gelernte Journalist, der durch präzise Recherchen Zusammenhänge aufzeigen kann. Er beschreibt die Konsequenzen von Fehlentwicklungen in den Bereichen Bildung, Strafvollzug oder beim Ausländerzuzug, die eher auf Illusionen und einem verqueren Weltbild basieren, anstatt die Berührung mit der Realität zu suchen. Die vielen Beispiele sind lustig; allerdings bleibt einem das Lachen des öfteren im Halse stecken – vor allem dann, wenn man bedenkt, daß dieser ganze Irrsinn vom deutschen Steuerzahler berappt wird.

Aber warum kann sich dann ein konservatives Milieu nicht erfolgreich als Gegenbewegung etablieren? Die Antwort ist einfach. Die Linke ist differenziert. Zwar unterscheiden sich die Weltbilder von der radikalemanzipatorischen Frauenbeauftragten, dem evangelischen Pfarrer, der gegen Atomkraft wettert, und dem Gewerkschaftsfunktionär, der für bessere Arbeitsbedingungen kämpft, aber alle verbindet eine große Gemeinsamkeit: Alle Linken haben ein unerschütterliches Sendungsbewußtsein.

Weder der Zusammenbruch des Warschauer Pakts,  das Scheitern des Denunziantenstaates der SED mit der Wiedervereinigung 1990 oder historische massenmordende Schreckgestalten wie Stalin, Pol Pot oder Mao haben es geschafft, dieses zu ändern. Der Linke weiß, was gut ist, seine gesellschaftliche Vision ist richtig. Daher reicht es auch, in Diskussionen über die Wirtschaftspolitik mal schnell „Ackermann, Ackermann“ zu schreien, schon verstummen die anderen.

Fleischhauers Themen sind nicht neu und wurden schon in allen möglichen anderen Büchern verarbeitet. Das Versagen der Schulen, die wirtschaftspolitische Inkompetenz, bürokratischer Wahnsinn und so weiter haben Meinrad Miegel, Hans-Werner Sinn, Arnulf Baring und die anderen üblichen Verdächtigen thematisiert und offengelegt. Obwohl vieles schon anderswo nachzulesen war, ist das Buch originell und flott geschrieben.

Fleischhauer schreibt boshaft, zynisch und gleichzeitig sachlich fundiert. Innovativ ist das Buch mit seinem Anspruch. Es ermutigt die Menschen, sich dem Zeitgeist entgegenzustellen. Die selbsternannte Elite hat jahrzehntelang Mist gebaut. Die Fehlentwicklungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sind offensichtlich. Es ist höchste Zeit, sich dagegen  zu
wehren.

Jan Fleischhauer: Unter Linken. Von einem, der aus Versehen konservativ wurde. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009, gebunden, 352 Seiten. 16,90 Euro

Foto:  „Lichterkette gegen Rechtsradikalismus und Gewalt“ am 25. Dezember 1992 vor dem Brandenburger Tor, in den Neunzigern gern initiiertes Ritual der politischen Linken zur Bekundung eigener moralischer Überlegenheit: Jahrzehntelang Mist gebaut

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