© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/09 19. Juni 2009

Grünes Erwachen
Frankreich: Bei der Europawahl punkteten nicht nur linke, sondern auch konservative Ökologen / Ende des Fortschrittsglaubens?
Volker König

Bei der Europawahl erfuhr die politische Landschaft in Frankreich einen tiefen Umbruch. Die bürgerliche UMP von Präsident Nicolas Sarkozy erhielt lediglich 27,8 Prozent der Stimmen. Doch die oppositionellen Sozialisten (PS) konnten davon nicht profitieren, sie erlebten das größte Debakel ihrer Geschichte: Mit 16,5 Prozent landeten sie nur knapp vor dem Grünen-Bündnis Europe Ècologie mit 16,3 Prozent. In Paris wurden die Grünen mit 27,5 Prozent fast stärkste Partei.

Architekt dieses Erfolgs ist das Enfant terrible der französischen Alternativen, Daniel Cohn-Bendit. Zum Erfolg trug aber auch sein breites Bündnis bei (die dreigeteilt angetretene zerstrittene Linke wäre zusammen auf 12,1 Prozent gekommen), zu dem José Bové gehörte, ein populärer Bauernführer, der wegen Aktionen gegen McDonald’s-Filialen und Genmais gerichtsnotorisch ist.

Aber nicht nur die linken Grünen triumphierten. Auch die konservativen Ökologen konnten am 7. Juni einen Achtungserfolg feiern: Die Alliance des Ècologistes Indépendants (AEI), ein Wahlbündnis aus Unabhängigen Ökologen (Mouvement Écologistes Indépendants/MEI), der Partei „Generation Ècologie“ (GE) sowie weiterer Gruppierungen, erreichte 3,6 Prozent. Das MEI ist eine 1994 gegründete wertkonservative Partei um den früheren grünen Spitzenpolitiker Antoine Waechter. Bei der GE handelt es sich um die bürgerliche Öko-Partei von Brice Lalonde, der in der Ära Mitterrand mit der PS koalierte und es zum Umweltminister brachte. MEI und GE hatten zwar bei Kommunalwahlen bereits Listenverbindungen gebildet, waren bei nationalen und Europawahlen bislang aber stets in Konkurrenz getreten. Fast 630.000 Franzosen wählten die AEI. Als Hochburgen erwiesen sich jene Gebiete, in denen die MEI traditionell stark war: In vielen Gemeinden des Elsaß waren es deutlich über fünf Prozent – obwohl gerade dort die Wahlbeteiligung entgegen dem Trend nicht sank, sondern sogar stieg.

Rechnet man das 4,6-Prozent-Ergebnis der euro-kritischen Libertas-Liste hinzu (hinter der sich das rechtskonservative, aber auch agrarisch-ökologisch ausgerichtete MPF des Adligen Philippe de Villiers sowie die Jäger- und Bauernpartei CPNT verbirgt), dann kommt das mehr oder weniger umweltbewegte Wählerspektrum in Frankreich auf fast 25 Prozent. In jenem Land, das jahrelang dem Fortschrittsglauben, der unkritischen Atom- und Technologiegläubigkeit und dem Spott über das dem Deutschen entlehnte Wort „le waldsterben“ verfallen schien, kommt ein solches Resultat einer regelrechten Sensation gleich.

Daß die Grünen von Europa Écologie und der AEI nicht miteinander können, hat tiefe Ursachen. Sie sind inhaltlicher, aber auch menschlicher Natur. Denn zwischen dem urbanen, kosmopolitischen Daniel Cohn-Bendit und dem „brav-biederen Biologen aus dem Elsaß“, wie Medien Antoine Waechter gern bezeichnen, liegen in Habitus und Anspruch Welten.

Waechter hat in der französischen Umweltbewegung ein ähnliches Schicksal erlitten wie Herbert Gruhl in Deutschland: Beide fungierten anfangs als Leitfiguren der neu entstandenen grünen Partei, beide wurden aber auch als Vertreter einer wertkonservativen ökologischen Haltung von linken Kräften bald wieder verdrängt. Der 1993 verstorbene CDU-Umweltexperte und Erfolgsautor („Ein Planet wird geplündert“) Herbert Gruhl, ein sächsischer Bauernsohn, zog sich nach seinen parteipolitischen Enttäuschungen bei Grünen und ÖDP zuletzt ganz aus der Politik zurück.

Auch der 1949 in Mülhausen geborene Waechter entstammt dem bürgerlichen Milieu seiner elsässischen Heimat. Bereits als Jugendlicher begeisterte er sich für den Naturschutz. Unter seinen Mitstreitern machte bald das an die Asterix-Comics angelehnte Bild die Runde, er sei „als kleiner Junge in den Umwelt-Zauberkessel gefallen“. Der „geistige Terrorismus der Generalversammlungen der 68er“ hingegen widerte ihn an. Was er über die deutschen Grünen äußerte, galt auch für seine eigene Partei: „Ihr Denken ist völlig verschmutzt von alten Ideologien.“ Waechter hingegen erklärte in stoischer Ausdauer, daß die alten Weltbilder und die Rechts-Links-Kluft für ihn passé seien. Worum es gehe, sei die Frage, ob man einem anthropozentrischen Weltbild und der weiteren Ausplünderung der Erde anhänge oder aber die Natur bewahren wolle.

Mit dieser wertkonservativen Haltung schaffte Waechter sich bei den Grünen nicht nur Freunde. Obwohl er 1988 als grüner Präsidentschaftskandidat mit 3,8 Prozent respektabel abschnitt und 1989 seine Partei bei der Europawahl mit 10,5 Prozent zum Erfolg führte, wurde er 1993 auf dem Parteitag in Lil­le vom linken Flügel gestürzt. Seinerzeit zählte auch der „Kommunarde“ Cohn-Bendit zu Waechters Gegnern. Da entbehrt es nicht einer gewissen Ironie der Geschichte, wenn ausgerechnet Cohn-Bendit nach dem jüngsten Europawahl­erfolg auf Spiegel-online erklärte, nach der Bundestagswahl habe es sich mit Rot-Grün „ausgeträumt“, man müsse ganz pragmatisch nach der Macht greifen – notfalls auch in einer schwarz-grünen Konstellation.

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