© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/09 19. Juni 2009

Meldungen

Salonfähiger Revisionist zum irischen Hungertod

FRANKFURT/M. Wie beiläufig berührt der britische Historiker Donald Sassoon in einem Beitrag über die Entschuldigungsrituale der „Erinnerungskultur“ ein brisantes Thema (Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 5/09). Unter Politikern, die sich im Namen ihrer Nation seit Jahren für alles und jedes entschuldigen, sei auch 1997 der heute schon fast vergessene Premierminister Tony Blair aufgefallen, der sich zu der Verantwortung der britischen Regierung für den Hungertod von einer Million Iren im fernen Jahr 1840 bekannt habe. Nicht nur deutsche, linke wie rechte Kritiker des „perfiden Albion“ pflegen mit dem Hinweis auf dieses Massensterben den angelsächsischen Missionarismus der Menschenrechte und der Demokratie zu parieren. Armin Mohler verweilte gern bei diesem „Genozid“, den auch DDR-Historiker nicht vergaßen. Unbegründeterweise, wie Sassoon unter Hinweis jüngere Forschung zur Ära des „Manchesterkapitalismus“ glaubt. Auch Blair könnte sich demnach ungerechtfertigt bei den Iren entschuldigt haben. Denn zum Thema „Hungertod 1840“ scheine der „historische Revisionismus“ endlich einmal „salonfähig“ zu werden. „Eine neue Generation irischer Historiker“ habe die tradierte Schuldzuweisung an die Engländer erschüttert: Vermutlich hätte die von den orthodox-liberalen Regeln des Laisser-faire beherrschte Londoner Regierung auch auf eine Hungersnot im Norden Englands ebenso gleichgültig reagiert.

 

Zweierlei Heimatliebe: Ökologe und Artamane

ROSTOCK. Mecklenburg war 1906 wieder einmal spät dran. Als überall in deutschen Landen die Geschichts- und Heimatvereine seit langem in schönster Blüte standen, erblickte in einem Schweriner Hotel der Heimatbund Mecklenburg das Gaslicht dieser Welt. Reno Stutz zeichnete die Vereinsgeschichte bis 1945 in groben Zügen nach. Gewichtet seine Retrospektive, die auch den benachbarten „Heimatbund Pommern“ einbezieht, die Vereinsaktivitäten richtig, dann scheinen die Mecklenburger die Erhaltung der Natur und nicht die Formierung eines historisch fundierten Landesbewußtseins beabsichtigt haben. Einen ähnlichen, aber keineswegs ökologisch motivierten Pragmatismus legte die von Stefan Brauckmann porträtierte „Artamanenbewegung in Mecklenburg“ an den Tag. Deren Naturliebe sei nur Nebenaspekt ihrer völkisch-nationalistischen, anti-modernen Gesellschaftsutopie gewesen. Diese „bündischen Siedler“ in rückständigen Gefilden hätten als „Vorfeldorganisation“ des Nationalsozialismus fungiert. Daß der spätere Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß von 1928 bis 1934 zu den Artamanen zählte, will Brauckmann nicht für zufällig halten (Zeitgeschichte regional. Mitteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern, 2/08).

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