© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/09 19. Juni 2009

Konkursverwalter eines kaputten Systems
Die geteilte Bilanz der Treuhandanstalt zur Privatisierung der „volkseigenen“ Betriebe und Liegenschaften der DDR
Dirk Wolff-Simon

Für die einen war sie eine Erfolgsgeschichte, für die anderen deindustrialisierte sie ganze Landstriche und führte zu Millionen Arbeitslosen – die Treuhandanstalt (THA). Unter dem Namen „Treuhandanstalt“ arbeitete vom 1. März 1990 bis zum 31. Dezember 1994 eine staatliche Behörde zunächst der DDR, vom 3. Oktober 1990 an der Bundesrepublik Deutschland, deren Aufgabe die Verwaltung und Verwertung des früheren „volkseigenen Vermögens“ in Gestalt von Wirtschaftsbetrieben und Liegenschaften war. Der von ihr verwaltete Treuhandbesitz umfaßte Ende 1990 etwa 8.810 Gesellschaften und Vermögensobjekte, darunter rund 8.500 Unternehmen mit 45.000 Betriebsstätten und etwa vier Millionen Arbeitnehmern. Spekulierten die politisch Verantwortlichen zunächst darauf, daß durch die Privatisierungsverkäufe etwa 600 Milliarden Mark in den Bundeshaushalt fließen würden, hinterließ die Treuhandanstalt bei ihrer Auflösung einen Schuldenberg von umgerechnet 104,5 Milliarden Euro.

Mit dem Inkrafttreten des Treuhandgesetzes zum 1. Juli 1990 begann sich die Arbeit der THA neu auszurichten. Für die Rechtsvorgängerin, die noch von der SED/PDS-Regierung unter Hans Modrow eingerichtet wurde, stand zunächst die Rückübertragung der etwa 112.000 kleingewerblichen Unternehmen, die 1972 unter Zwang verstaatlicht worden waren, an ihre Alteigentümer im Vordergrund. Im zweiten Halbjahr 1990 begann die THA damit, die verbleibenden Volkseigenen Betriebe hinsichtlich ihrer Sanierungsfähigkeit zu bewerten.

Dabei stand die THA vor zwei gewaltigen Herausforderungen. Einerseits mußten rasch qualifizierte Mitarbeiter für den eigenen Verwaltungsapparat gefunden werden, andererseits wurden fast 17.000 qualifizierte Manager für die zu besetzenden Aufsichtsräte, Vorstände und Geschäftsführungen in den Treuhandunternehmen gesucht. Parallel dazu waren die betriebswirtschaftlichen Konsequenzen aus dem Währungsschnitt zum 1. Juli 1990 zu bewältigen. Mit einer Produktivität von 22,7 Prozent und Lohnstückkosten von 174 Prozent gemessen am westdeutschen Niveau stand nun die mitteldeutsche Wirtschaft dem hochentwickelten Wirtschaftsraum der Bundesrepublik ohne Wechselkurspuffer gegenüber und war zudem auf fast allen Märkten der internationalen Konkurrenz ausgesetzt.

Die sich aus dieser parallelen Aufgabenstellung ergebenden Turbulenzen wirkten sich bis weit in das Jahr 1991 aus. Unter ihrem Präsidenten Detlev Karsten Rohwedder und seiner Nachfolgerin Birgit Breuel setzte der organisatorische Aufbau der THA ein. Gleichzeitig begann die Professionalisierung des Personals, wobei massiv auf die temporäre Rekrutierung von Beratern aus westdeutschen Consulting-Gesellschaften zurückgegriffen wurde. Die Zielsetzung der THA sah vor, die Staatswirtschaft zu privatisieren, die Unternehmen zu sanieren, also wettbewerbsfähig zu machen, notfalls aber stillzulegen.

Wie läßt sich die Bilanz ihrer Arbeit bewerten? Ihrer originären Aufgabe konnte die THA und in ihrer Nachfolge die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS) kaum gerecht werden. Die Strategie, der Privatisierung gegenüber allen anderen Aufgaben den Vorrang zu geben, entstammte der ordnungspolitischen Grundhaltung der Bundesregierung, die wiederum gestützt wurde von den marktliberalen Kräften aus Wissenschaft und Wirtschaft, deren Ziel es war, die DDR von der Planwirtschaft ohne Umwege radikal in die Marktwirtschaft zu überführen.

Es bestand keine Klarheit in der Frage, ob die Privatisierung der Sanierung voranzugehen hatte oder umgekehrt. Dies führte in konkreten Fällen zur Konfusion. Mangels eines industriepolitischen Konzepts mußten die halbherzigen Sanierungsansätze in ihrer Vielzahl wirkungslos verpuffen. Die Möglichkeit der Rückübereignung an nach dem Krieg enteignete Alteigentümer wurde durch politische Vorgaben der Regierung Helmut Kohl verhindert. Im Zweifel ging die Stillegung bzw. Zerschlagung vor Privatisierung.

Korrekturen erfolgten erst im zweiten Halbjahr 1992. Gemessen an den noch im THA-Besitz befindlichen Objekten (4.824) stellte sich eine vorübergehende Abschwächung des Privatisierungstempos ein. Nunmehr begann man damit, „industrielle Kerne“ zu erhalten. Beispiele waren unter anderem das brandenburgische EKO Stahl und die Chemieindustrie in Sachsen-Anhalt (Leuna-Werke, Buna-Werke und Chemie Wolfen). Des weiteren wurden in einer „Management KG“ jene neunzig mittelgroße Industrieunternehmen konzentriert, die über eine „Ansanierung“ in die Privatisierung überführt werden sollten.

Im wesentlichen sind zwei Kardinalfehler zu benennen: Aus naiver Überschätzung der Leistungskraft der ehemaligen DDR-Wirtschaft verließ sich die Politik auf die von ihr entfesselten Marktkräfte, ohne ein wirklich durchdachtes und lenkendes Steuerungskonzept zu haben. Dabei unterschätzte man zugleich, daß das Hauptmotiv der Investitionsversprechen ausländischer und vor allem westdeutscher Unternehmer war, sich vornehmlich Absatzmöglichkeiten zu sichern. Bereits frühzeitig zeichnete sich ab, daß sowohl der Markt der neuen Bundesländer als auch die traditionellen Ostmärkte ohne größere Zusatzinvestitionen allein aus den Überkapazitäten der westlichen Unternehmen versorgt werden konnten. Investitionen fanden daher dann vor allem dort statt, wo regionale Marktnähe ein wichtiger Standortfaktor war.

Es ist anzunehmen, daß bei einem geordneten Strukturwandel ein erhebliches Potential an Erfahrungen in den Unternehmen hätte anknüpfen können, womit die Ausbildung von Wachstumszentren und damit die Entstehung eigenständiger dynamischer Prozesse forciert worden wäre. Durch eine nachhaltige Sanierungsarbeit hätte sich die Aufrechterhaltung noch bestehender industrieller Netzwerke sowie der Ausbau vorhandener Technologie- und Forschungsabteilungen als äußerst erfolgversprechende Anziehungspunkte für Kapital und damit für unternehmerische Neuansiedlungen realisieren lassen. Dieses hätte keineswegs den Ausschluß der Instrumente der Marktliberalisierung und der Privatisierung bedeutet. Notwendig wäre jedoch ein marktwirtschaftliches Gesamtkonzept gewesen, in dem diverse Abfederungsmöglichkeiten für die mitteldeutschen Betriebe zumindest eine Chance zur Neuorientierung eröffnet hätten.

Doch dazu fehlte sowohl die visionäre politische Kraft als auch die politische Bereitschaft, strukturelle Veränderungen in den westdeutschen Bundesländern zu akzeptieren. So kam der Treuhandanstalt nolens volens die Rolle einer Verkaufsagentur zu. Mit ihr wurde zweifellos eine Chance zur strukturellen Neuausrichtung der deutschen Wirtschaft im gewachsenen Gesamtstaat vertan. Aus der späteren Legendenbildung bildete sich der Sumpf, aus dem die Bannerträger des Sozialismus heute noch schöpfen und ihre Argumente für ein neues, größeres sozialistisches Experimentierfeld ableiten. Aller Kritik zum Trotz trug die Treuhandanstalt jedoch zweifellos zur Neutralisierung eines nicht unbeträchtlichen politischen Krisenpotentials bei.

Foto: Belegschaftsmitglieder der thüringischen Maxhütte Unterwellenborn GmbH forderten von den Verantwortlichen der Treuhand verbindliche Aussagen zum Stahl-Standort Unterwellenborn, 19. Dezember 1990: Überschätzung der Leistungskraft der DDR-Wirtschaft

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