© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  26/09 19. Juni 2009

Eine Serie von Generalmajor a. D. Gerd Schultze-Rhonhof / Teil 3
Die wirtschaftliche Existenz war ständig gefährdet
Sowohl die Freie Stadt Danzig als auch Ostpreußen litten zwischen 1921 und 1939 unter der durch Versailles geschaffenen Insellage

Die Streitigkeiten zwischen der Freien Stadt Danzig und der Republik Polen nahmen bis zum Kriegsbeginn 1939 kein Ende. Allein bis 1933 mußte sich der Rat des Völkerbunds in Genf 106mal mit Streitfällen zwischen Polen und dem Freistaat befassen. Sie gipfelten im Sommer 1939 im sogenannten Zollinspektorenstreit, der schon im August fast zur Kriegseröffnung durch die Polen führte.

Als Begründung für die Abtrennung der Hafenstadt Danzig vom Deutschen Reich hatte den Siegern das Versprechen des US-Präsidenten Woodrow Wilson gedient, Polen solle nach dem Kriege einen ungehinderten Zugang zum Meer und daher einen Ostseehafen bekommen. So waren Polens Hafenrechte in Danzig mit Artikel 104 des Versailler Vertrags und in der Folge mit dem Pariser Vertrag vom 9. November 1929 dementsprechend festgeschrieben worden. Der erste Hohe Kommissar des Völkerbunds in Danzig, Sir Richard Haking, hatte Polen 1921, als er die Ausdehnung des Hafens in der Stadt festzulegen hatte, mit seiner Entscheidung im Namen des Völkerbunds schriftlich mitgeteilt, daß mit den zugestandenen Rechten auch Pflichten einhergingen. Er schrieb:  „Dem Polen zugestandenen Recht, jederzeit und unter allen Umständen Waren über Danzig ein- und auszuführen, steht die Verpflichtung gegenüber, den Hafen jederzeit voll auszunutzen, unabhängig davon, ob Polen sich in Zukunft auch andere Häfen an der Ostsee bauen sollte.“ Damit sollte die wirtschaftliche Zukunft des Danziger Hafens sichergestellt werden.

Tatsächlich legte Polen sich bis 1928 einen neuen, künstlichen Hafen beim Fischerdorf Gdingen 20 Kilometer nördlich von Danzig an und zog Staatsbetriebe und zivile Handelsfirmen durch außergewöhnlich umfangreiche Steuervergünstigungen mit bis zu 25 Jahren Laufzeit nach Kräften aus dem Danziger Hafen ab. Danzigs alter Hafen erlebte von 1926 bis 1932 zwar noch einen Boom. Ab 1932 aber brachen die Im- und Exporte dort auf fast die Hälfte des Vorjahrs ein, und Danzig war dann bis Kriegsbeginn nie mehr voll ausgelastet. Polen hatte nun offensichtlich keinen Bedarf mehr an einem Umschlagplatz in Danzig. Damit war der von den Siegermächten vorgegebene Grund für die Abtrennung Danzigs vom Reich entfallen. Die Sieger gaben den Freistaat Danzig trotzdem nicht aus eigener Entscheidung zurück an Deutschland. Auch Polen wollte, nachdem es den Hafen nicht mehr brauchte und entgegen seinen Pflichten nicht mehr auslastete, nicht auf seine Rechte in der Freien Stadt verzichtet. Vielmehr erklärte die polnische Regierung, die Rückkehr Danzigs in den Staatsverband des Deutschen Reichs sei für sie ein Kriegsgrund.

Ein weiteres Problem, das sich 1939 als Grund zum Krieg erwies, war der deutsche Wunsch nach exterritorialen Verkehrswegen vom Reichsgebiet in das seit 1921 abgetrennte Ostpreußen, die sogenannte Korridorfrage. Dieser deutsche Wunsch kam nicht von ungefähr. Ostpreußen war nach zwei Verträgen durch acht Eisenbahnverbindungen über nun polnisches Gebiet mit Pommern und mit Schlesien verbunden. Nach den Verträgen waren die Transitgebühren in Zloty zu bezahlen, was zunächst keine Schwierigkeit bereitete. Während und nach der Weltwirtschaftskrise nahm Deutschland im Außenhandel jedoch nicht mehr genug Zloty ein. Um die Gebühren zu entrichten, überwiesen die deutschen Behörden die an Zloty fehlenden Beträge monatlich in Reichsmark. Doch Polen sah darin einen Vertragsbruch, was es streng nach dem Vertragstext auch war, und schloß zur Strafe ab 1936 eine Eisenbahnverbindung nach der anderen. 67 Prozent der Eisenbahntransporte jedoch dienten der Energieversorgung Ostpreußens. Sie fuhren Kohle aus Oberschlesien für Industrie, Gewerbe, den Hausbrand und die Stromerzeugung in die abgeschnittene Provinz. Die Kohle war zu jener Zeit der Energieträger, den heute Erdöl und Erdgas darstellen.

Schließlich drohte die polnische Seite damit, bei weiterhin unvollständigen Zloty-Zahlungen auch die letzten Strecken zwischen Ostpreußen und dem Reichsgebiet zu schließen. Damit wäre Ostpreußen von seiner Energieversorgung abgeschnitten und dem wirtschaftlichen Ruin preisgegeben worden wie zwei Jahrzehnte später beinahe die Stadt Berlin während der sowjetischen Blockade. So kam im Reichswirtschaftsministerium die Idee auf, mit der polnischen Regierung statt über Zloty-Zahlungen über exterritoriale Verkehrsverbindungen von Pommern nach Ostpreußen in deutscher Hoheit und Regie zu sprechen. Bei den Verhandlungen, die die deutsche Seite im Oktober 1938 zur Lösung des Problems eröffnete, traf dieser deutsche Wunsch nach anfänglicher polnischer Bereitschaft bald auf den unüberwindlichen Widerstand der Polen.

Fortsetzung in der nächsten JF

Foto: Hafenanlage in Gdingen 1929: Beim kleinen kaschubischen Fischerdorf schuf Polen in den zwanziger Jahren einen großen Handels- und Kriegshafen, der dem Handelsplatz Danzig zur existenzgefährdenden Konkurrenz werden sollte

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