© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/09 26. Juni 2009

„Strategische Mehrheit rechts der Mitte“
Kann die Bundesrepublik von Österreich lernen? Warum kommt es nicht auch hier zur Bildung eines Dritten Lagers?
Moritz Schwarz

Herr Professor Höbelt, das Ringen um den dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf wirft die Frage auf: Ist das Dritte Lager in Österreich nun gesellschaftlich akzeptiert oder nicht?

Höbelt: Um es dem Bundesdeutschen zu veranschaulichen: Die FPÖ ist eben das, was herauskommt, wenn Graf Lambsdorff mit Franz Schönhuber ein politisches Kind zeugen würde: ein Januskopf aus einer alten etablierten Partei wie der FDP und einer Protestpartei wie den Republikanern. Inzwischen ist die FPÖ aber zudem auch aufgrund ihrer Größe und ihres politischen Gewichts an sich etabliert, selbst wenn der Protestwähleranteil zunimmt. Daran ändert auch das Gezeter der Linken nichts, das niemanden wirklich aufregt. 

Warum strahlt diese Situation nicht politisch in die Bundesrepublik aus?

Höbelt: Eine gute Frage, denn derzeit sind die Verhältnisse in der Bundesrepublik aus europäischer Sicht eine politische Anomalie: Denn sie ist der einzige größere EU-Staat ohne eine Mitte-Rechts-Mehrheit. Überall sonst in Europa ist die Strategie des „Getrennt marschieren, vereint schlagen!“ zwischen Mitte-Rechts-Parteien und Rechtsparteien erfolgreich.

Existiert in der Bundesrepublik die soziologische Basis für ein Drittes Lager gar nicht, oder gelingt es hier diesem Milieu nur nicht, eine Partei auszubilden?

Höbelt: Reste davon gibt es noch, und die sind – es wird Sie vielleicht überraschen – vornehmlich an die FDP gebunden. Die ist in manch katholischen Regionen bis heute eine eher bürgerlich konservative Partei, die noch altliberale Grundsätze vertritt. Aber das ist kein Massenphänomen, sondern das sind letzte Inseln der alten bundesdeutschen Elitenstruktur. Tatsächlich hat die CDU/CSU diese Milieus in den fünfziger/sechziger Jahren weitgehend aufgesaut. Daher war die Union lange Zeit auch weit rechts von der ÖVP oder anderen europäischen Christdemokraten angesiedelt. Und so gibt es keine Tradition einer nationalliberalen Partei rechts von der Union mehr, anders als in Österreich oder Italien, wo die Christdemokraten eher Mitte-Links waren. Das jetzt nachzuholen, wo sich CDU/CSU nach links entwickelt und unter Merkel erstmals die ÖVP links überholt haben dürften, scheint mir nicht so einfach möglich. Denn um eine Partei aus der Taufe zu heben, bedarf es ganz enormer Startenergie, die kaum jemand investieren wird in einer Zeit, wo es ein Gemeinplatz ist, daß die wahren Entscheidungen ohnehin anderswo fallen. 

Könnte es in Zukunft über gemeinsame Listen bei der Europawahl vielleicht zu einer politischen Befruchtung eines Dritten Lagers in der Bundesrepublik kommen?

Höbelt: Jörg Haider hat auf dem Höhepunkt seines Erfolgs einmal mit dieser Idee gespielt. Ob es geklappt hätte, wer weiß das schon. Der neue FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hat dafür nicht das Format. Außerdem ist die Europawahl nicht mehr die fröhliche Protestwahl – man erinnere sich an die Schönhuber-Erfolge –, die sie in den achtziger Jahren mal war. Inzwischen ist sie von der allgemeinen Apathie eingeholt worden. Die Zeiten, in denen die Bürger bei Europawahlen – die ja eine Art „Schönheitswettbewerb“ sind, wie die US-Amerikaner das nennen – den Etablierten gefahrlos mal ein bißchen Angst einjagen, sind vorbei. Inzwischen gehen gerade die Euroskeptiker da gar nicht mehr hin, sondern – zumindest in Mitteleuropa – gerade eher die politisch korrekten Wähler, die sich noch moralisch verpflichtet fühlen, diese Wahlen ernst zu nehmen.

Die politische Widererstehung des Dritten Lagers in Österreich geschah aus Protest gegen die Verkrustung der Etablierten. Warum entzündet sich daran nicht auch im restlichen Deutschland eine starke konservative Kraft?

Höbelt: Das Thema, das mittlerweile dominiert, ist weniger der Filz der Etablierten als die Wirtschaftskrise. Diese hat in den dreißiger Jahren im Deutschen Reich zu einer Umwälzung geführt. Seitdem ist unter den Bundesdeutschen die Fehlinterpretation verbreitet, aus Wirtschaftskrisen ergebe sich automatisch eine Schwächung der Etablierten und eine Stärkung der Ränder. Aber auch in England, Frankreich oder Italien gab es damals diese Krise und dennoch keine große Umwälzung. Denn tatsächlich halten sich die Leute in der Regel gerade in Zeiten der Krise an die Etablierten. Das Problem der Weimarer Republik war der Umstand, daß es aufgrund der Zerrüttungen seit 1918 zu wenig Etablierte gab, an die man sich hätte halten können. Tatsächlich wählen die Leute dann Protestparteien, wenn es ihnen gutgeht und sie sich fragen: „Wozu brauchen wir eigentlich diese parasitäre politische Klasse?“ In Zeiten der Not heißt es dagegen: „Keine Experimente!“

Ist überhaupt vorstellbar, daß sich ein solches Milieu in der Bundesrepublik noch einmal entwickelt, oder sind Rechtsparteien hier nur noch als flüchtiges Protestphänomen denkbar?

Höbelt: So ganz von alleine? Schwer vorstellbar. Obwohl es sehr vernünftig von der CDU/CSU wäre, die Gründung einer koalitionsfähigen Rechtspartei zu begünstigen, um eine strategische Mehrheit rechts der Mitte anzusiedeln. Denn wenn die Union sich nicht irgendwann um eine Alternative zur Resignation vieler Wähler und zu den üblichen Protestparteien kümmert, dann sieht sie sich einer strategischen Mehrheit der Linken gegenüber, die, wenn all die momentanen Eifersüchteleien um Lafontaine und Co. einmal abgeklungen sind, natürlich zusammenfinden werden. Die Union hofft, es im Herbst noch einmal mit Schwarz-Gelb allein zu schaffen, doch die Antwort darauf wird Rot-Rot sein. Spätestens dann muß die CDU sich dringend etwas überlegen.

 

Prof. Dr.Lothar Höbelt, der Historiker an der Universität Wien, Jahrgang 1956, veröffentlichte mehrere Bücher zur Geschichte des Dritten Lagers: „Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs“ (Oldenburg, 1993), „Von der vierten Partei zur dritten Kraft. Die Geschichte des VdU“ (Stocker Verlag, 1999).

 

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