© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/09 26. Juni 2009

Twittern aus Teheran
Zweierlei Revolutionen: Nicht alles, was Internetportale über die Lage im Iran berichten, hat mit Journalismus zu tun
Andreas Wild

Twitter – der Ho-Chi-Min-Pfad des elektronischen Zeitalters“, jubelte der Bonner Generalanzeiger dieser Tage bei Betrachtung der Vorgänge in Teheran. Die Medienwelt ist allerorten begeistert. Überall liest oder hört man dasselbe: Sowohl die Selbstverständigung der demonstrierenden Oppositionellen untereinander wie auch verläßliche Informationen über das, was im Iran passiert, würden einzig durch Internetportale wie Twitter, Facebook, Flickr garantiert, nicht zu vergessen Youtube. Medienrevolution und politische Revolution gingen Hand in Hand.

Soll man sich darüber freuen? Gewiß, die neuartigen Portale sind dem zensierenden Eingriff jeweils regierender Instanzen sehr viel weniger ausgeliefert als offiziell zugelassene oder akkreditierte Zeitungen, Fernsehteams, Auslandskorrespondenten. Die Gleichheit der Info-Waffen zwischen Regierung und Opposition wird durch Twitter & Co. halbwegs hergestellt. So etwas erfreut jeden gerecht Denkenden. Ob er aber auch wirklich besser informiert wird als früher, steht auf einem anderen Blatt.

 Beileibe nicht alles, was man – gerade bei revolutionären, die Gemüter aufwühlenden Vorgängen – erfährt, ist ja Information im genauen Sinne des Wortes. Das meiste ist sogar das pure Gegenteil, ist Desinformation oder Kampfgeschrei, Befehlsausgabe für die eigenen Leute, bewußtes In-die Irre-Führen des Gegners, zynisches Für-sich-gut-Wetter-Machen für die ausländischen Beobachter. Twitter & Co. verstärken alle diesen negativen Tendenzen des modernen Informationsbetriebs, und zwar in horrender Weise. Sie sind, darf man ohne weiteres formulieren, der Tod jedes gediegenen Journalismus.

Faktisch nichts, was aus diesen Kanälen kommt, läßt sich überprüfen, kaum einer der Lieferanten spielt mit offenen Karten. Sie tun oft so, als operierten sie tapfer in vorderster Teheraner Frontlinie, und in Wirklichkeit sitzen sie gemütlich in Hongkong oder Singapur und setzen das in Anschläge um, was ihnen ein Geheimdienst eingeblasen hat.

Vielleicht ist Twitter nicht die Wiederherstellung jenes Ho-Chi-Min-Pfads, auf dem einst die Mordgesellen marschierten. Ausgemachter Schwindel ist es allemal.

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