© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/09 26. Juni 2009

Wo liegt Europa?
Verbindliche Wirklichkeit: Die Außengrenzen der EU
Marcus Bauer

Von einem Diskurs um einen möglichen EU-Beitritt der Türkei wäre eigentlich zu erwarten, daß das Urteil ausschließlich von dem Befund abhängt, ob die Türkei als ein europäisches Land anzusehen ist. Anstatt jedoch unterschiedliche, je nachdem weitere oder engere Definitionen Europas gegenüberzustellen, geht die Debatte mehr darum, inwiefern es angebracht und noch zeitgemäß ist, die EU an ein Konzept europäischer Identität zu binden, ja ob „Europa“ als historisch-kulturelle Entität überhaupt belastbar abgezirkelt werden kann.

Damit wird die Diskussion um die Außengrenzen der EU unterschwellig zu einem viel grundsätzlicheren Vergleich über die kognitive Zulässigkeit und natürlich politische Korrektheit konzeptioneller Grenzziehungen insgesamt: Welches ist der Status solcher Konzeptionen wie „Europa“, „christliches Abendland“ oder „Okzident“ – ein Abbild geschichtlicher Realität, ein auf empirischen Gegebenheiten gegründetes Gedankending oder nur ein ideologisches Konstrukt, das der „Repression“ und „Ausgrenzung“ dient, indem es etwas als prägend und verbindlich suggeriert, das es „in echt“ gar nicht gibt?

Zwar läßt sich Europa anhand diverser Gemeinsamkeiten – indogermanische Sprachen, ein bestimmter Phänotyp der Bevölkerung, Christentum, Geographie, die gemeinsame Geschichte – umschreiben. Prägnante Zweideutigkeiten und Grenzfälle aber bleiben, wie etwa europäische Völker außerhalb der indogermanischen Sprachfamilie, christliche Völker jenseits des geographischen Europa oder europäische Nationen ohne nennenswerte gemeinsame Geschichte.

Folglich, so die islamophilen EU-Entgrenzer, könne auch nicht exakt festgemacht werden, was Europa eigentlich sei. Was aber nicht unzweideutig definierbar ist, ist auch nicht wirklich, und was nicht wirklich ist, kann wiederum keine konzeptionelle Vorgabe liefern, um ein-, ab- oder auszugrenzen. Konservative Vorbehalte, daß nur solche Länder einem europäischen Staatenbund angehören sollten, die einer „gefühlten“ Plausibilität nach auch eine europäische Identität aufweisen, gelten als Ausdruck eines rechten „Irrationalismus“.

Bemerkenswert ist, daß ausgerechnet eine libertär-hedonistische Linke, für die doch Offenheit, Unverbindlichkeit und Konturlosigkeit Kategorien der „Befreiung“ sind, in solchen Fällen für sich in Anspruch nimmt, höchsten Qualitätsmaßstäben kompromißloser definitorischer Stringenz verpflichtet zu sein. Tatsächlich wird aber gerade hierdurch der intellektuelle Aufwand entlastend minimiert, da nicht viel dazu gehört, in einem Bereich, in dem Grenzen per se fließend sind, Zweifelsfälle aufzuspüren, die von einer Konzeption nicht vollständig erfaßt werden – um eine solche dann, weil angeblich „zu verschwommen“, für ungültig, „Europa“, „Abendland“, „Okzident“ oder „Nation“ für unwirklich und unverbindlich zu erklären. Lediglich die vermeintliche Nähe dieses rein destruierenden Ansatzes zum Falsifizierungsprinzip wissenschaftlicher Theoriebildung ist es, was linker Entgrenzungs- und Entstrukturierungsideologie noch einen akademischen Anstrich verleiht und in der Diskussion um Grenzen und Identitäten das gängige Vorurteil stützt, „links“ habe etwas mit „Rationalität“ zu tun.

Im Gegensatz zu diesem komfortablen Schein-Rationalismus, der einfach nur beiseite wischt, ist es konstruktiver, wenn auch mühsamer, den „gefühlten“ überindividuellen Wirklichkeiten der Nation, Europas, des Abendlandes oder der Christenheit auf den Grund zu gehen, indem man die bestimmenden Profilmerkmale herausarbeitet, übereinanderlegt und schließlich „schauend“ zu einem Idealtypus verdichtet, anhand dessen jeweils abgewogen werden kann, wie sich die Teile in das Gesamtbild fügen, wie mehr oder weniger „typisch“ sie sind, was noch dazugehört und was, da es nicht ins Bild paßt, definitiv nicht mehr.

Europa im Sinne einer vom Christentum geprägten Gemeinschaft weißer Völker indogermanischen Idioms, die sich in einer feingliedrigen Geographie eingerichtet haben und eine Schicksalsgemeinschaft bilden, ist eine verbindliche, abgrenzbare Wirklichkeit – trotz aller Übergänge und Unschärfen. Denn auch unscharfe Gestalten sind immer noch Gestalten, fließende Grenzen immer noch Grenzen. Und die Türkei liegt abseits davon. Denn sie paßt summa summarum nicht recht ins Bild.

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