© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  27/09 26. Juni 2009

Der Siegeszug des „Balkanbeat“: Partystimmung mit schalem Beigeschmack
Naives Spiel mit Symbolen
Claus-M. Wolfschlag

Als reaktionär wurden oft gerade von linker Seite Menschen bewertet, die angeblich „rückwärtsgewandt“ seien und einmal erreichte gesellschaftliche und zivilisatorische Fortschritte negierten. Würde man die deutsche Popkultur der Gegenwart an diesem Kriterium messen, so käme man zu dem Ergebnis, daß der Reaktionär hierzulande sehr beliebt ist. Seit einiger Zeit nämlich kehren Symbole des vor 20 Jahren untergegangenen Sowjet-Kommunismus wieder, ostalgische Schein­idyllen werden vor allem in der jungen Kunstschickeria kichernd bemüht und konsumiert. Für 14,90 Euro etwa kann man das schicke T-Shirt mit DDR-Signet im „Ossiladen“ erwerben. Für schlappe 9 Euro schon gibt es die „Pionierlager“-Übernachtung  in der orange-braunen Mustertapetenwelt des Berliner DDR-Design-Hotels Ostel.

In der Partyszene hat sich diese Tendenz „rückwärtsgewandter“ Ostblock-Verklärung primär in der Balkanbeat-Szene etabliert. „Balkanbeat“ firmiert auch unter den Namen Gypsy Groove, Jugo-Punk oder Karpaten-Ska. Es ist die Neuentdeckung traditioneller Musik aus Ost- und Südosteuropa und deren Verbindung mit modernen Rock- oder Elektroniksounds. Polka, Klezmer, Zigeunermusik, aber auch Punk, Rap  Techno und „Oriental-Pop“ gehen ein energetisch geladenes Gemisch ein, das sich aufgrund seiner schnellen Rhythmik vorzüglich für die Revolutionierung der Tanzkultur eignete. Vor Jahren noch undenkbar, gelten heute etwa moldawische Rockbands wie Zdob Si Zdub als Konzertrenner: eine Renaissance, die der behäbigen deutschen Volksmusik bislang verwehrt blieb.

Maßgebliche Protagonisten der Szene waren in Wien der mazedonische DJ Ahilea mit seinen „SchliwoBeatz“-Nächten, in Berlin der 1967 geborene russische Schriftsteller Wladimir Kaminer mit seiner „Russendisko“ und in Frankfurt am Main der 1968 geborene DJ Shantel, bürgerlich Stefan Hantel. Während Kaminer 2000 seine erste CD veröffentlichte, hatte Shantel 2001 auf einer Reise in die Heimatstadt seiner Großeltern, Czernowitz, ein Erweckungserlebnis und gründete daraufhin den erfolgreichen Bucovina-Club.

So weit, so gut – bedenklich allerdings ist die seitdem festzustellende forcierte Sorglosigkeit mit Symbolen des untergegangenen Sowjetreichs.

So posiert Shantel auf seiner Netzseite mit einem Jackenaufnäher, der das Wappen der einstigen Volksrepublik Rumänien zeigt. Ein neuer Balkanbeat-Sampler von Shantels Label essay recordings heißt zudem „Rotfront. Emigrantski Raggamuffin“ und startet mit den Einleitungsworten: „Hissen Sie Ihre ganz persönliche Flagge auf dem neuen deutschen Reichstag. Berlin erleben und erobern. So get up and move your feet to the Rotfront beat.“

Ein guter Balkanbeat-DJ läßt sich auch schon mal keck mit einer Ausgabe der Tageszeitung Prawda in der Hand ablichten, ohne die Rolle dieses Propagandaorgans für das einstige Regime auch nur anzudeuten. Und in Frankfurt am Main eröffnete in diesem Jahr ein neuer Hinterhofclub mit dem Namen „Dora Brilliant“. Brilliant war eine 1907 gestorbene jüdisch-russische Sozialrevolutionärin, deren „Wille, im Terror zu arbeiten“ (Boris Sawinkow) 1904 zu ihrer Beteiligung an der Ermordung des russischen Innenministers von Plehwe führte. Auch dies offenbar heute kein Grund, sich den Party-Spaß verderben zu lassen.

Die Balkanbeat-Szene spielt mit zugespitzten Bildern von vorindustriellen Landgemeinschaften, zurückgebliebenen tanzenden Käuzen und lustigen kommunistischen Apparatschiks.

Alles nur ein gedankenloser Spaß oder auch teils Kalkül von politisch handelnden Verharmlosern? Manch einem, dessen Leben seinerzeit wegen kleiner Freiheitsausbrüche brutal zerstört wurde, dürfte sich heute jedenfalls der Magen umdrehen, wenn er eine satte Wohlstands- und Partygesellschaft mit-ansehen müßte, die sich wodkatrunken als letzten Nervenkitzel das gänzlich unkritische Spiel mit den unmittelbaren Symbolen einstiger Unterdrückung leisten zu können meint.

Manch einer könnte etwa von den Repressionen gegenüber jugendlichen Rockmusikern in der ehemaligen DDR berichten. Doch interessierte das die brünette Tanzmaus mit Shantels „Disko Partizani“-Stern oder den Jungen mit dem Honecker-Spaßhemd überhaupt, wenn sie davon erfahren würden?

Foto: DJ Shantel und sein erfolgreicher Bucovina-Club: Die Szene spielt mit zugespitzten Bildern  

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