© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/09 03. Juli 2009

Ein Warenhauskatalog ohne Profil
Bundestagswahl: Die Union will es mit ihrem Wahlprogramm vielen recht machen, doch für Konservative hält es bittere Pillen bereit
Paul Rosen

Was CDU und CSU ihren tatsächlichen und potentiellen Wählern anbieten, liest sich wie ein Warenhauskatalog, in dem für jeden etwas enthalten ist: „Wir werden Nachteile für Feuerwehren ... durch die Umstellung auf die Fahrzeugklassen des EU-Führerscheins so schnell wie möglich beseitigen“, heißt es unter anderem in dem am Sonntag beschlossenen gemeinsamen Wahlprogramm der Unionsparteien. Der Leser wird auf den 62 Seiten mit Details bombardiert. In diesem Klein-Klein verlieren sich große Aussagen, die aber ohnehin niemanden mehr überraschen, wie etwa das pflichthafte Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft.

Den Steuerstreit hatten diverse Unionspolitiker kurz vor der Annahme des Programms noch auf die Spitze getrieben. Die Ministerpräsidenten Günther Oettinger (Baden-Württemberg) und Wolfgang Böhmer (Sachsen-Anhalt) predigten plötzlich Steuererhöhungen, obwohl im Wahlprogramm Steuersenkungen versprochen werden. Die Debatte, die sogar zu einem „Machtwort“ von CDU-Chefin Angela Merkel führte, begann gut eine Woche vor dem Programmbeschluß mit offenbar gezielt gestreuten Meldungen von Wirtschaftswissenschaftlern, angesichts einer Neuverschuldung von rund 90 Milliarden Euro im nächsten Jahr gehe es nicht mehr ohne eine Anhebung der Mehrwertsteuer. Ein Schelm, wer denkt, die SPD-Zentrale strecke hinter diesen Meldungen. Mehrere Unionspolitiker bissen an. Oettingers Hinweis, man könne den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von  derzeit 7,5 auf neun Prozent erhöhen, war der erste Gipfel. Böhmer sattelte noch drauf, indem er eine höhere Belastung der Reichen forderte.

Damit waren in der Debatte zwei Dinge passiert: Von der höchsten Neuverschuldung aller Zeiten, die auf das Konto des SPD-Finanzministers Peer Steinbrück geht, war keine Rede mehr. Und die eigentliche Botschaft der Unionsparteien, die Steuersenkung, wurde keine 100 Tage vor der Wahl zum Rohrkrepierer.

Dabei sind die steuerpolitischen Vorstellungen der Union recht vernünftig. Sie fordert eine „Abflachung des Mittelstandsbauches“. Dabei handelt es sich um das Problem, das inzwischen selbst Kleinverdiener von jedem Euro Lohnerhöhung nur 50 Cent netto rausbekommen. Zur Mehrwertsteuer heißt es nur recht verschwommen: „Wir wollen eine strukturelle Überprüfung der Vorschriften zur Mehrwertsteuerbelastung mit dem Ziel, nicht mehr zeitgemäße und für die Bürger nicht nachvollziehbare Belastungswirkungen zu korrigieren und insbesondere die europäische Wettbewerbssituation bestimmter Bereiche zu berücksichtigen.“ Dieser verworrene Satz kann – außer einer Steuersenkung – alles bedeuten.

Im nächsten Jahr wird die Union, wenn sie wieder die Regierung stellt, schnell merken, daß sie ihr Ziel der Haushaltskonsolidierung nicht erreichen  kann, wenn sie keine Steuern erhöht. Die Mehrwertsteuer bietet sich an. Sie muß aber nicht der Favorit sein. Man muß den verkehrspolitischen Teil des Programms lesen und kann feststellen, daß die Union einer Maut für Pkw keine klare Absage erteilt. Es heißt nur ganz allgemein: „Leistungsfähige Infrastrukturen brauchen moderne Finanzierungsinstrumente.“ Dazu muß man wissen, daß der Bund berechtigt ist, völlig neue Abgaben im Verkehrsbereich einzuführen. Die Milliarden liegen im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße.

Was die Union sonst noch bietet, ist das bekannte Hinterherlaufen hinter dem Zeitgeist, dem aber gelegentlich die Stirn geboten wird, indem ein eingeschränktes Bekenntnis zur Atomenergie zu lesen ist. Die Einschränkung besteht darin, daß die Union neue Atomkraftwerke ablehnt. Der Klimawandel wird politisch korrekt anerkannt, der Aufbau „grüner“ Wirtschaftsstrukturen weist erstaunliche Parallelen zum Grünen-Programm auf. Klimapolitik muß laut Union darin bestehen, die durchschnittliche Erwärmung auf maximal zwei Grad Celsius zu begrenzen. Warum man nicht gleich für stabile Temperaturen eintritt, bleibt das Geheimnis von Merkel und Co. Wie Renten- und Sozialsysteme gesichert werden sollen, geht nicht klar aus dem Programm hervor. Es ist zu lesen, daß man sich des demographischen Wandels bewußt sei.

Und wie steht es nun um die Familie, die Keimzelle des Staates, aus der schon seit Jahrzehnten nicht mehr genug Kinder kommen? „Wir respektieren die Entscheidungen von Menschen, in vielfältigen Formen des Zusammenlebens ihren Lebensentwurf zu verwirklichen. Das gilt für die Ehe und für nichteheliche Lebensgemeinschaften von Frauen und Männern ebenso wie für gleichgeschlechtliche Partnerschaften.“ Damit bleibt die Union weit hinter dem Grundgesetz zurück, das den besonderen Schutz von Ehe und Familie vorschreibt. In diesem Kapitel findet sich auch ein Griff in die DDR-Mottenkiste. Kinder sollen das letzte Jahr vor der Einschulung in einem Kindergarten verbringen müssen. Das geht sogar noch über die Vorschulpflicht in der DDR hinaus.

Zwei große Themenkomplexe behandelt die Union stiefmütterlich: Das Demokratiedefizit der EU und die Bevormundung der Europäer durch Brüsseler Räte und Kommissare werden erst gar nicht angesprochen. Und von der Tendenz, das Internet zu zensieren, den Datenschutz zu reduzieren und Sammlungen von Daten anzulegen, die selbst einen Erich Mielke hätten neidisch werden lassen, ist keine Rede. Dabei geht es hier um Grundfesten des demokratischen Staates, die zunehmend porös werden.

Foto: Merkel bei der Vorstellung des Programms: Stiefmütterlich

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