© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/09 03. Juli 2009

Superschuldenjahr 2010
Finanzpolitik: Die Rettung von Pleitebanken und anderen Wirtschaftslieblingen bezahlt der Steuerzahler
Bernd-Thomas Ramb

Die für das kommende Jahr von der schwarz-roten Bundesregierung geplante Superneuverschuldung kommt nicht wirklich überraschend. Bereits im Dezember des letzten Jahres standen die Pläne zur selektiven Rettung der staatlichen und privaten Pleitebanken, der Automobilindustrie und anderer Wirtschaftslieblinge fest – von der Beteiligung an der Wiederbelebung der Weltwirtschaft durch deutsche Gelder ganz zu schweigen.

Da bleibt kaum Zeit, sich über die neue Rekordneuverschuldung von 47,6 Milliarden Euro in diesem Jahr aufzuregen; im nächsten wird dieser Betrag fast verdoppelt. Die 86,1 Milliarden Euro neuen Schulden des Bundes bilden allerdings den Höhepunkt der mittelfristigen Finanzplanung. Bis 2013 soll das jährliche Haushaltsdefizit wieder auf 45,9 Milliarden Euro zurückfallen. Der Schmerz wird geringer, wird tröstend versprochen. Vorher ist eben nur um so kräftiger zuzuschlagen.

Wird die Planung der jetzigen Regierung von der kommenden, im September noch zu wählenden klaglos übernommen, hätte nach deren voll abgelaufener Amtszeit der deutsche Schuldenberg (Bund, Länder und Gemeinden) die fantastische Höhe von fast zwei Billionen Euro erreicht. In den kommenden fünf Jahren würden die Staatsschulden nochmals um mehr als ein Fünftel ihres aktuellen Wertes erhöht. Dabei sind die Risiken und Nebenwirkungen der Finanzplanung noch nicht einmal eingerechnet.

Allein die Ausgaben des „ordentlichen“ Haushalts stehen fest. Was daran allerdings noch ordentlich sein soll, hält sich in sprachlichen Grenzen. Jenseits liegen unvorhersehbare Zusatzaufwendungen in den Nebenhaushalten, insbesondere die Zuschüsse zu den Sozialkassen, die zur Zeit noch als Darlehen verbucht werden. Die Hoffnung von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), beispielsweise die Zuschüsse des Bundes zur Arbeitslosenversicherung nochmals aus deren künftigen Überschüssen zurückzuerhalten, ist geradezu rührend.

Ein großes Fragezeichen ist auch bei den eingeplanten Steuereinnahmen zu setzen. Zwar rechnet die Bundesregierung schon jetzt mit Einnahmeausfällen von 152 Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren – die klassische Neigung der Politiker, künftige Steuereinnahmen zu überschätzen, dürfte aber auch bei sinkenden Zahlen vorliegen. Dann wäre die Finanzierungslücke noch größer. So verwundert es nicht, wenn skeptische Staatshaushälter schon jetzt Überlegungen anstellen, wie die Einnahmeseite verstärkt werden könnte. Dazu zählt nicht nur das Lieblingsthema des Bundesfinanzministers, die vermuteten Steuerschlupflöcher zu schließen. Der tatsächlich realisierbare Steuermehrertrag dürfte sich allerdings bescheiden ausnehmen.

Nicht zufällig wird von den im kommenden Bundestagswahlkampf konkurrierenden Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD schon jetzt das Thema Steuererhöhung offen und sogar äußerst kontrovers diskutiert. Insbesondere eine mögliche Erhöhung der Mehrwertsteuersätze wird nahezu dankbar als Streitpunkt aufgenommen.

Das lenkt zum einen von der Beachtung der Schuldenexplosion ab, zum anderen dient es der mentalen Vorbereitung auf eine kommende Steuererhöhung – selbst nach den heftigsten Dementis vor dem Wahltermin.

Das muß dann nicht einmal eine Erhöhung der Mehrwertsteuersätze bedeuten, es reicht die Erhöhung anderer Steuer- oder Zwangsabgabensätze mit dem beschwichtigenden Hinweis, eine Mehrwertsteueranhebung sei so vermieden worden.

Ob und wieweit es nach der Wahl tatsächlich zu Steuererhöhungen kommt, hängt nicht nur von der geplanten Erhöhung der Gesamtverschuldung ab. Allenfalls im Hintergrund wird das wachsende Problem der Neuverschuldung im finanztechnischen Sinne diskutiert. Die angesammelten Altschulden sind keine fest zementierte Bestandsgröße.

Ältere deutsche Staatsanleihen werden zur Auszahlung fällig und müssen dann durch neue ersetzt werden. Die Finanzagentur des Bundes berechnet allein für das 3. Quartal dieses Jahres einen Finanzierungsbedarf von 85 Milliarden Euro. Insgesamt will der Bund im laufenden Jahr 346 Milliarden Euro neue Kredite aufnehmen, davon 300 Milliarden zum Ausgleich von Rückzahlungsverpflichtungen. Wer aber ist noch bereit, sein Barvermögen in Staatsschulden anzulegen?

Die Zusammensetzung der Gläubiger deutscher Staatschulden hat sich in den letzten zehn Jahren, nahezu zeitgleich mit der Einführung des Euro, gravierend verändert. 1999 übernahmen die deutschen Banken noch mehr als die Hälfte der deutschen Staatsschulden, heute sind es nur noch 28 Prozent. In absoluten Zahlen gemessen haben die Banken ihren Bestand an Staatstiteln von 600 Milliarden auf 440 Milliarden Euro reduziert. Auch die privaten Anleger sind vorsichtig geworden. Die Investitionen deutscher Sparer in deutsche Staatsschulden stiegen in diesem Zeitraum zwar von knapp 200 Milliarden auf etwas über 300 Milliarden Euro, ihr Anteil am Schuldenberg bleibt aber mit zirka 20 Prozent nahezu konstant.

Deutschland ist zur Finanzierung seiner Schulden mehr und mehr auf das Ausland angewiesen. Vor knapp zwanzig Jahren besaßen ausländische Investoren deutsche Staatspapiere in einem (aus D-Mark umgerechneten) Wert von lediglich 100 Milliarden Euro. Bis zur Einführung des Euro hatte sich diese Summe vervierfacht und bis heute verachtfacht. Mit 800 Milliarden Euro ist das Ausland heute zur Hälfte an den deutschen Staatsschulden beteiligt. Sollte das internationale Vertrauen in die Kreditwürdigkeit Deutschlands – wie etwa bei Großbritannien oder den USA – schwinden, steht die Finanzagentur vor einem massiven Problem.

Foto: Finanzminister Steinbrück auf Euro-Stapel: Rekordneuverschuldung von 86,1 Milliarden Euro im kommenden Jahr geplant

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