© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  28/09 03. Juli 2009

Freiheitskampf gegen römische Völkermörder
Christian Pantles interessanter Abriß über die Germanischen Kriege von Drusus über die Varusschlacht bis zum Germanicus-Rachezug
Adolf Frerk

Die Varusschlacht“: So nennt Christian Pantle bescheiden sein über 300 Seiten starkes Buch über die Beziehungen und Konflikte des römischen Reiches mit den Völkern des Nordens, vornehmlich mit den Germanen. Den Kern der Darstellung bilden natürlich die Kriege der Römer mit den „Wilden“ zwischen Rhein und Elbe von 12 v. Chr. bis 16 n. Chr., doch der Autor spannt einen Bogen von der Vernichtung der Kimbern und Teutonen 102/101 v. Chr. bis zum Untergang des weströmischen Reiches 476 n. Chr..

Eingehend stellt Pantle den Zusammenhang zwischen den politischen Verhältnissen im römischen Reich und dessen Außen- und Expansionspolitik dar. Mit dem Untertitel „Der germanische  Freiheitskrieg“ ist bereits das Urteil in der „Kriegsschuldfrage“ gesprochen. Die Aggressoren sind ganz eindeutig die Römer, die Opfer des römischen Imperialismus die Germanen, die sich der Barbarei der Kultivierten erwehren müssen. Da ist die Rede von Gemetzeln, Massenmord, Verbrechen und ungeheurer Dimension, Vernichtungsstrategie und Genozid, ausgeführt von der römischen Mordmaschinerie in der Hand skrupelloser Feldherrn.

Caius Iulius Caesar, jenes edle Monument deutscher klassischer Bildung, wird ganz prosaisch als Völkermörder und Menschenschlächter bezeichnet – was er auch war –, und Germanicus, Adoptivsohn des Kaisers Tiberius, ist wegen des Völkermords an den germanischen Masern im Jahr 14 n. Chr. ein Mann von kaum zu überbietender zynischer Grausamkeit. Natürlich hatten die Menschen der Antike durchweg andere Moralvorstellungen – Mitleid oder Empathie galten als Schwächen –, allerdings gab es schon damals Persönlichkeiten, auch bei den Römern, denen die Ungeheuerlichkeit der römischen Verbrechen bewußt war. Rom eroberte nicht, um fremden Völkern die Segnungen seiner Zivilisation zu bringen, sondern um sie zur Steigerung der eigenen Macht zu versklaven und auszubeuten.

Instrument und Garant dieser Macht ist die römische Armee, deren Organisation, Bewaffnung und Kampfesweise kenntnisreich und anschaulich beschrieben werden. Den vorzüglich bewaffneten und ausgebildeten Berufssoldaten, kommandiert von Feldherrn und Offizieren auf der Höhe der antiken Kriegskunst, sind die germanischen Bauernkrieger mit ihren dürftigen Waffen hoffnungslos unterlegen und daher zur „asymmetrischen Kriegführung“ gezwungen. Gestützt auf das Bild vom schlauen und verschlagenen Germanen bei Velleius Paterculus, räumt Pantle mit dem Klischee des tumb-heroischen Germanen auf – wie auch mit anderen Narreteien amerikanischer Historienepen. „Die antiken Germanen im heutigen Deutschland frönten zwar auch nicht dem Pazifismus“, aber sie begegneten ihren römischen Feinden wohl eher mit einer Mischung von Tapferkeit und Bauernschläue als mit blindem Todesmut.

Ebenso läßt sich Pantle, der häufig, allerdings nicht unkritisch, die antiken Autoren sprechen läßt, keineswegs auf die gängigen Spekulationen und noch weniger auf kühne Theorien ein. Es gibt keine Belege dafür, daß Arminius seine Jugend als Geisel in Rom verbrachte oder daß er perfekt Latein sprach. Die tausend Schiffe der Flotte des Germanicus sind 16 n. Chr. in die Ems und nicht die Weser eingefahren. Die anschließenden Schlachten auf der Ebene namens Idistaviso und am Angrivarierwall waren für die Germanen verlustreich und keine Großtaten der Feldherrnkunst des Arminius. Auch über dessen Motive für den Aufstand gegen Rom, ob idealistische Vaterlands- und Freiheitsliebe oder persönlicher Ehrgeiz, wissen wir wenig und werden nicht mehr wissen.

Die groß angelegten Kampagnen des Germanicus 15/16 n. Chr. waren keine bloßen Rachefeldzüge. Vielmehr mußte Arminius schon nach seinem Sieg über Varus klar sein, daß er eine Schlacht, nicht aber den Krieg gewonnen hatte und daß das Imperium zurückschlagen würde. Erst nach dem blutigen Ringen mit den Armeen des Germanicus erreicht Arminius „tatsächlich sein größenwahnsinnig anmutendes Ziel, die benachbarte Supermacht dauerhaft aus Germanien zu vertreiben“, übrigens ohne es zunächst zu wissen.

Die Sprache des Buches besticht durch Klarheit in Satzbau und Ausdruck. Es macht Spaß, der klugen Argumentation und den einleuchtenden Gedanken des Autors zu folgen. Zuweilen liefert er drastische Schilderungen wie etwa vom Anblick des Schlachtfeldes von Kalkriese nach Ende des Kampfes, hält sich aber wohlgemerkt noch an das Prinzip der klassischen Dämpfung. Vom Journalisten- und Soziologendeutsch finden sich einige Blüten wie Hurrastil à la Hollywood, Frust- und Aggressionsabbau der Legionäre, Popularitätsschub, der große Populist Caesar, Hooligan-Aktion gegen den eigenen Feldherrn, schwerbewaffnete Profikiller usw., doch das Buch gehört schließlich in den Bereich der Populärwissenschaft. Vergnüglich sind gleichwohl der Humor des Autors und sein Sinn für Paradoxa.

Die didaktische Aufbereitung des Stoffes erfreut den Pädagogen: Vielen Kapiteln gehen Zeittafeln voran; es gibt durch Farbe und Satz hervorgehobene biographische Angaben (Steckbriefe) zu den Protagonisten Caesar, Augustus, Varus, Drusus, Tiberius, Marbod, Arminius und Germanicus wie auch zu besonderen Objekten wie dem Caeliusstein, römischen Flußschnellbooten oder den Knochengruben von Kalkriese; dann gut lesbare Karten zu den verschiedenen Feldzügen; instruktive Abbildungen von Modellen, Animationen und antiken Monumenten aus der römischen wie der germanischen Welt sowie den Kampf-szenen und Schlachtfeldfunden. Nicht zu vergessen sind die beiden Exkurse – Huldigung an die antike Literatur –, der eine über die Kriegskunst der Griechen und Römer, der andere über den ungewissen Zusammenhang zwischen den Jenseitsvorstellungen der Germanen und ihrer kriegerischen Tüchtigkeit.

Nützlich bleibt das Werk über das Arminiusjahr hinaus durch die Liste der zitierten antiken Autoren von Appian bis Xenophon, sodann durch ein Verzeichnis von fast sechzig Titeln ausgewählter, weitgehend aktueller Sekundärliteratur und schließlich durch ein vierseitiges Register der Orts- und Personennamen. Wer die Muße zu einer längeren Lektüre nicht hat, dem sei die Reclam-Sammlung antiker Texte zur „Schlacht im Teutoburger Wald Lateinisch/Deutsch–Griechisch/Deutsch“ empfohlen, die außer den Quellentexten in einer Einleitung von knapp 30 Seiten wesentliche Informationen bietet. Man kann das Bändchen aber auch als Einleitung oder Ergänzung zu Größerem lesen.               

Christian Pantle: Die Varusschlacht. Der germanische Freiheitskrieg. Propyläen Verlag, Berlin 2009, broschiert, 256 Seiten, Abbildungen,  16,90 Euro

Walter Lutz (Hrsg.): Varus, Varus! Antike Texte zur Schlacht im Teutoburger Wald. Zweisprachige Ausgabe. Reclam Verlag, Stuttgart 2008, broschiert, 175 Seiten, 4,80 Euro

Info: Der Rezensent bietet deutschlandweit einen kostenlosen Dia-Vortrag zur Varusschlacht an. Anfragen und Klärung näherer Modalitäten bei Adolf Frerk, Rayendonk 24, 47608 Geldern

Fotos: Römische Stützpunkte in Germanien entlang der Lippe und in der Mainregion um die Zeitenwende: Ganze Germanenstämme wurden bei der Eroberung durch Cäsar vernichtet oder vertrieben, Eisenmaske eines römischen Offiziers: Fund bei Kalkriese, Relief mit Römern im Angriff: Mitleid galt als Schwäche

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