© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  29/09 10. Juli 2009

Den nächsten Crash verhindern
Wirtschaftspolitik: Wir haben keine Krise des Kapitalismus, sondern eine des angelsächsischen Finanzsystems
Klaus Peter Krause

Was passiert, wenn der Crash kommt?“ fragte 2002 der Gründer und Leiter des Mittelstandsinstituts Niedersachsen, Eberhard Hamer, in seinem gleichnamigen Buch (JF 51/02). Die wachsende Verschuldung und die unkontrollierte Ausdehnung der Geldmenge (vor allem des Dollar) sowie der gigantische Handel mit Derivate-Papieren müßten angesichts der Globalisierung unweigerlich zu einer globalen Krise führen: „Die Annahme, nach der Erfahrung von 1929 hätten wir alle gelernt, die Wiederholung solch einer Entwicklung künftig zu verhindern, traf für die Generation, die die Depression noch miterlebt und die Lehren daraus beherzigt hat, zu“, sagte Hamer der JF (45/03). „Die heutige Generation, die immer nur die Sicherheit der Märkte kennengelernt hat, muß offenbar erst ihre eigenen Erfahrungen machen.“

Doch ausgerechnet die rot-grüne Bundesregierung erlaubte auf Druck der USA den Derivatehandel wieder. „Der Crash kommt“ hieß das Buch des Wormser Ökonomen Max Otte, in dem dieser noch rechtzeitig das Platzen der Finanzblasen und die Krise der auf Pump aufgebauten US-Volkswirtschaft vorausgesagt hat. Doch nur wenige Medien haben das Buch damals beachtet (JF 41/06). Anderthalb Jahre später zählte es zu den bestverkauften Wirtschaftstiteln – doch da waren Ottes düstere Prognosen längst Realität geworden.

Fehler des Systems – nicht individuelles Fehlverhalten

Die allermeisten Ökonomen haben die Banken- und Finanzkrise nicht vorausgesehen – also auch nicht rechtzeitig vor ihr gewarnt. Manche haben das zerknirscht öffentlich eingeräumt und sich dabei sehr unwohl gefühlt. Um so mehr kann man von ihnen erwarten, daß sie darüber aufklären, welches die Ursachen der Krise sind, wie  die Staaten sie am vernünftigsten bewältigen und wie man einer Wiederholung möglichst vorbeugen kann. Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München und seit 2006 zugleich Präsident des International Institute of Public Finance (IIPF, der Weltorganisation von 800 Finanzwissenschaftlern aus 50 Ländern), hat das mit seinem neuen Buch getan.

Zu Recht sehen Ökonomen und so auch Sinn die Ursache der Krise weniger im individuellen Fehlverhalten, auch nicht im System an sich, sondern in Fehlern des Systems. Wenn sich Tausende oder gar Millionen von Menschen falsch verhielten und aus diesem kollektiven Fehlverhalten eine solche Krise entstehe, liege das Problem nicht an erster Stelle in der fehlenden Moral der Akteure, sondern in den falschen Anreizen, die das Rechtsinstitut Haftungsbeschränkung in Verbindung mit einer zu laschen Regulierung, sprich staatlich-institutioneller Aufsicht liefere: „Weil es den Banken ermöglicht wird, ihr Geschäft mit einem Minimum an Eigenkapital zu betreiben, finden sie es attraktiv, mit dem Geld ihrer Kunden auf den Weltkapitalmärkten Roulette zu spielen.“

Wolle man, schreibt Sinn, die Systemfehler ausfindig machen und Empfehlungen für eine Neuordnung der Regulierungen entwickeln, müsse man die institutionellen Spielregeln untersuchen, wie sie in Gesetzen und anderen Regelungen vorlägen. Anders als manche meinten, sei die Finanzkrise keine Krise des Kapitalismus (sprich: der Marktwirtschaft), sondern eine Krise des angelsächsischen Finanzsystems. Dieses sei zum „Kasino-Kapitalismus“ mutiert – und es habe leider auch in Europa immer mehr Nachahmer gefunden. Sinn sieht in der Krise das Ergebnis daraus, daß die Staatengemeinschaft unfähig gewesen sei, für Banken und andere Finanzinstitute ein einheitliches Regulierungssystem zu schaffen, das den Eigennutz der Akteure so kanalisiere, wie man es von einer Marktwirtschaft erwarte.

Der Leser erfährt, daß und warum die USA über ihre Verhältnisse und auf Pump lebten (und es immer noch tun), wer dies und den Weltkapitalmarkt hauptsächlich finanziert: China, Deutschland, Japan. Sinn schildert, wie es zur Krise kam und worin ihre wirklichen Ursachen liegen: mangelnde Haftung der Finanzakteure, Unterkapitalisierung der Investmentbanken, fair value-Bilanzierungsregel (hypothetischer Marktpreis unter Idealbedingungen in der anglo-amerikanischen Rechnungslegung), unterlassene Nachhaltigkeit, Verbriefungstricks, Versagen der Rating-Agenturen und Politikversagen. Er erklärte, warum die Wall Street zum Spielkasino wurde – allerdings zu einem, in dem vor allem die Investmentbanken als Glücksritter jahrelang immer nur hoch gewannen, also anders als Kasino-Besucher beim Roulette. Da ihre Haftung beschränkt war, traf sie das hohe Risiko ihrer Geschäfte nicht. So konnten sie ihre Gewinne privatisieren, während ihre gewaltigen Verluste jetzt sozialisiert – also auf die Gläubiger oder Steuerzahler abgewälzt werden.

Geringe Haftung machte die Wall Street zum Spielkasino

Dies ist in der Tat der Kern: „Das Unglück brach über die Welt herein, weil sich der Bazillus der Haftungsbeschränkung von Amerika aus über die Welt verbreitet und die Finanzmärkte infiziert hat, ohne daß die Regulierungsbehörden Einhalt geboten haben. Banken, Hedgefonds, Zweckgesellschaften, Investmentfonds und Immobilienfinanzierer durften ihr Geschäft fast ohne Eigenkapital betreiben. Wer kein Eigenkapital hat, haftet nicht, und wer nicht haftet, zockt.“

In weiteren Kapiteln befaßt sich Sinn mit den Fragen: Wie stabil sind die Banken? Ist das Bankensystem pleite? Bleibt Europa stabil? Übernimmt sich der deutsche Staat? Müssen wir Italien freikaufen? Er benennt die Konstruktionsfehler des deutschen Rettungspakets, nimmt die Konjunkturpakete aufs Korn, begründet, warum der Staat Opel nicht retten darf und die Abwrackprämie schädlicher Unsinn ist.

Zum Schluß zeigt Sinn Wege zu einem besseren Bankensystem auf: dem Haftungsprinzip wieder mehr Geltung verschaffen; die Aufsichtsstrukturen vereinheitlichen; vom Bankwesen wesentlich höhere Eigenkapitalquoten verlangen als bisher; die Risikopositionen in den Bankbilanzen neu bewerten; bei  Verstoß gegen die Eigenkapitalvorschrift glaubhaft die Staatsbeteiligung androhen; in der Bilanzierung zum (traditionellen deutschen) Niederstwertprinzip zurückkehren; Zweckgesellschaften und Hedgefonds bändigen mit der Pflicht zur vollständigen Bilanzierung in der Muttergesellschaft;  Leerverkäufe, also Spekulationen auf fallende Kurse, verbieten; den Rating-Agenturen Regeln vorgeben; die mehrstufige Verbriefung verbieten; vorschreiben, einen Teil der verbrieften Ansprüche in den eigenen Büchern zu behalten; unterbinden, daß mit den Credit Default Swaps (CDS/Kreditderivaten) weiterhin „Wilder Westen“ gespielt werden kann.

Auch den Eigenkapitalbestand der Banken gelte es zu erhöhen. Falls der Staat das Kapital dafür gebe, müsse er zugunsten der Steuerzahler im Austausch dafür Aktien erhalten – mit den schwedischen und britischen Erfahrungen als Leitschnur. Eine „Bad Bank“ einzurichten, wie auch die Politik es plant, nennt Sinn, was sie ist: eine bad idea. Ihr Wirken laufe darauf hinaus, „daß der Steuerzahler die giftigen Papiere für mehr Geld kauft, als sie wert sind“. Sinns Buch macht die Krise begreifbar und besticht durch seine leichte Lesbarkeit.

Hans-Werner Sinn: Kasino-Kapitalismus. Wie es zur Finanzkrise kam und was jetzt zu tun ist. Econ Verlag, Berlin 2009, gebunden, 352 Seiten, 19,90 Euro

Foto: Roulettekessel: Die Investmentbank-Gewinne wurden privatisiert, ihre Verluste werden jetzt sozialisiert

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