© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  31-32/09 24. Juli / 31. Juli 2009

Durchdacht statt dressiert
Nach über dreißig Jahren liegt Trevor Dupuys US-Standardwerk über unser Heer auf deutsch vor
Günther Deschner

Habent sua fata libelli – Bücher haben ihr eigenes Schicksal. An diese Weisheit der Römer erinnert in Deutschland immer wieder die Publikationsgeschichte solcher Titel, die den Vorgaben der Political Correctness nicht entsprechen. Ein solcher Fall war etwa 1993 das Buch „Auge um Auge“ des Amerikaners John Sack, das mit dokumentarischer Dichte die Wahrheit über die furchtbaren Lager erzählte, die Polen 1945 für Deutsche errichteten und deren Kommandanten oft Juden waren. Der Münchner Piper-Verlag hatte die Rechte gekauft, das Buch übersetzen und 6.000 Exemplare drucken lassen. Doch dann wurde er darauf aufmerksam gemacht, das Buch könne zu Vergleichen oder gar „zum Aufrechnen“ deutscher gegen andere Verbrechen jener Zeit anstiften und „Mißverständnisse“ auslösen. Der Verlag knickte ein und ließ die Auflage einstampfen. Piper hat nicht mitgeteilt, wer ihn zum Verzicht auf die Veröffentlichung drängte.

Es ist naheliegend, daß auch bei dem hier besprochenen Buch über das deutsche Heer eine ähnlich hintergründige Mechanik anonymer Zensur bedient worden ist, die seit Jahrzehnten daran mitwirkt, das deutsche Geschichtsbild passend zurechtzubiegen. Das Thema „Wehrmacht“ ist davon besonders betroffen. Ein Stuttgarter Verlag hatte bereits 1978 die deutschen Rechte gekauft und die Übersetzung in Auftrag gegeben, das Buch dann aber nicht ausgeliefert. Nachfragen des Autors waren mit fadenscheinigen Ausflüchten abgespeist oder gar nicht beantwortet worden.

Während sich in Deutschland „amtlich“ und in politisch korrekten Kreisen die Tendenz verfestigt, die Wehrmacht nur mehr unter der Perspektive moralischen Versagens zu beurteilen, werden die Leistung ihrer Soldaten und ihrer strategischen und operativen Stäbe von ehemaligen Kriegsgegnern bewundert. Aus den Kasernen, Taktikkursen und Liederbüchern der Bundeswehr hat eine radikale Säuberung durch besessene Bilderstürmer jede positive Erinnerung an die Wehrmacht ausgelöscht. Doch in den Kriegsschulen ausländischer Armeen und bei amerikanischen, britischen und israelischen Militärhistorikern ist dies ganz anders: Bei ihnen wird hervorgehoben, daß das deutsche Heer selbst in der späten Phase des Kriegs trotz seiner erdrückenden materiellen und zahlenmäßigen Unterlegenheit noch große militärische Leistungen erbringen konnte.

Als Beispiele werden etwa Mansteins Abwehrerfolge zur Stabilisierung der Ostfront nach dem Fall von Stalingrad oder die Kämpfe bei Tscherkassy im Frühjahr 1944 genannt. Auch an der Westfront gelangen den Deutschen noch Erfolge. So waren in den Normandie-Kämpfen während der Monate Juni und Juli 1944 die Verluste auf der alliierten Seite – trotz absoluter alliierter Luftherrschaft – höher als auf der deutschen. Als einer der Gründe wird immer wieder der überlegene Kampfwert des deutschen Heeres im allgemeinen und des Generalstabs im besonderen genannt.

Unter den zahlreichen Arbeiten angelsächsischer Autoren, die sich mit diesem Phänomen befaßten, ihm zugleich Respekt zollen und seine Ursachen ergründen wollten, ragt das Werk des vielleicht bekanntesten amerikanischen Militärhistorikers, Trevor Dupuy, hervor, das nun – mehr als dreißig Jahre nach dem Erscheinen der amerikanischen Originalausgabe – endlich auch auf deutsch vorliegt. Der Autor war als ehemaliger Berufsoffizier und Militärgeschichtslehrer der Offiziersschule Westpoint hoch angesehen und fachlich kompetent, zudem wurde das Buch sofort nach seinem Erscheinen 1977 zum „Buch des Monats“ des amerikanischen „Historical Book Club“ gewählt. Es hat in den USA zahlreiche Auflagen erlebt und gilt dort bis heute als ein Standardwerk der Militärgeschichte.

Weil er in Kreisen des Pentagon und der US-Armee immer wieder auf zwei Mythen traf, „die einander widersprachen“, faßte Dupuy den Entschluß, sich selbst mit dem deutschen Heer und seinem Generalstab zu beschäftigen. Einerseits, so schreibt er, hätten sich in Amerika militärische Kreise die Frage gestellt „Warum waren die Deutschen als Soldaten so viel besser als wir?“, doch die klischeehaften Antworten, die es darauf gab, konnten ihn nicht befriedigen. Die zwei wichtigsten lauteten, der „Militarismus“ wurzele eben tief im deutschen Nationalcharakter, sei „der Bevölkerung des preußisch-deutschen Staates angeboren“, und es sei nur „die erzwungene Disziplin“ gewesen, „die leistungsfähige, aber geistlose, gegängelte und starre Soldaten produziert“ habe.  

In seiner eigenen materialreichen methodischen Vorgehensweise, in der er die militärische Organisation und Leistung des deutschen und des US-Heeres zwischen 1939 und 1945 miteinander verglich, kam Dupuy zu einem anderen und aufsehenerregenden Fazit. Er arbeitete heraus, daß das deutsche Heer im Zweiten Weltkrieg jeder anderen „Army“, auch der amerikanischen, an Kampfkraft und Durchhaltevermögen nicht wegen angeborener oder andressierter Eigenschaften überlegen war, sondern wegen eines über die Generationen hin erarbeiteten, durchdachten und selektierten „Genius“: Dezentralität, keine starre Befehls-, sondern bewegliche Auftragstaktik bis hinab zu den untersten Ebenen, ein elastisches Personalersatzsystem und die Methoden der Rekrutierung von Führungskräften – darin erkannte Dupuy die Faktoren, die das deutsche Heer qualitativ auszeichneten und es wesentlich vom amerikanischen unterschieden.

Zur Begründung seiner These breitet er ein großes Panorama preußisch-deutscher Militärgeschichte aus. Er zeigt, wie Preußen und später Deutschland aus einer totalen Niederlage gegen Napoleon im Geist der preußischen Reformer Clausewitz, Gneisenau und Scharnhorst das Heer aufbauten und wie der Generalstab zu einer der schlagkräftigsten militärischen Organisationen der Welt wurde. Er zeigt die Strukturen, die dazu führten, daß das Werk dieser Reformer über eineinhalb Jahrhunderte anhielt und sich lückenlos bis zur Wehrmacht fortsetzte. Der dem Buch gegebene Titel „A Genius for War“ greift die Überschrift „Der kriegerische Genius“ auf, die der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz dem dritten Kapitel seines Klassikers „Vom Kriege“ gegeben hat. Insofern trifft der deutsche Titel „Der Genius des Krieges“ die ursprüngliche Intention nicht in identischer Weise, doch jedenfalls ist das gemeint, was man heute mit dem Begriff „militärische Führungskraft“ bezeichnet.

Vielleicht war es gerade Dupuys Nachweis, daß und warum die deutschen Heere von 1807 bis 1945 militärisch die besten der Welt und auch dem amerikanischen Heer überlegen gewesen sind, der dem Buch in der Bundesrepublik das erwähnte erstaunliche Schicksal beschied, das im Vorwort der deutschen Ausgabe von ihrem Übersetzer, Franz Uhle-Wettler, detailliert geschildert wird. Der Generalleutnant a.D. der Bundeswehr, der selbst als brillanter Militärhistoriker ausgewiesen ist („Höhe- und Wendepunkte deutscher Militärgeschichte“, „Ludendorff“ und „Tirpitz“) hat das Buch mit zahlreichen „Anmerkungen des Übersetzers“ auf den neuesten Stand gebracht, so daß die deutsche Übersetzung einer kommentierten Ausgabe gleichkommt.   

Trevor N. Dupuy: Der Genius des Krieges. Das deutsche Heer und der Generalstab 1807–1945. Übersetzt und mit Anmerkungen sowie einem Vorwort versehen von Generalleutnant a.D. Dr. Franz Uhle-Wettler. Ares Verlag, Graz 2009, gebunden, 440 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro

Fotos: Helmuth Graf v. Moltke (Arme verschränkt) mit Großem Generalstab 1870: Den „Genius“ erarbeitet, Generalstabschef des Heeres Franz Halder im Verhör bei den Nürnberger Prozessen: „Warum waren die Deutschen als Soldaten so viel besser als wir?“

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