© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/09 07. August 2009

Hahnenkampf an der Küste
Schleswig-Holstein: Nach dem Ende der Großen Koalition in Kiel zeichnet sich ein Lagerwahlkampf ab
Hans-Joachim von Leesen

Nun ist es amtlich: Die Schleswig-Holsteiner werden am 27. September nicht nur ihre Bundestagsabgeordneten wählen, sondern auch einen neuen Landtag. Der Weg dahin war für Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU), der die Große Koalition zwischen CDU und SPD für gescheitert erklärt hatte, steiniger als zunächst gedacht. Nachdem sein Antrag auf Selbstauflösung des Landtages nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit gefunden hatte, mußte Carstensen am 20. Juli nach dem Muster von Bundeskanzler Gerhard Schröder im Jahre 2005 mit Hilfe eines „falschen“ Mißtrauensvotums die Neuwahl erzwingen. Nun hat die CDU bis zum Urnengang mit einer Minderheitsregierung allein das Sagen in dem Küstenland.

Aufschlußreich waren die Grundsatzreden, die im Parlament vor der fiktiven Vertrauensfrage gehalten wurden. Auch Kritiker der Regierungschefs mußten zugeben, daß Carstensen das von ihm erzwungene Ende der Koalition geschickt verteidigt. Sein Gegenspieler, SPD-Fraktionschef Ralf Stegner, der manche in seinem polternden Auftreten an die SPD-Legende Herbert Wehner erinnert, wiederholte lediglich seine schon oft geäußerten persönlichen Angriffe gegen Carstensen. Den größten Unterhaltungswert hatte aber die Rede des Fraktionsvorsitzenden der FDP, Wolfgang Kubicki, der verkündete, die schleswig-holsteinischen Liberalen würden Stegner niemals zum Ministerpräsidenten wählen. Sein Ziel ist eine schwarz-gelbe Mehrheit – und die Chancen stehen derzeit gut: Die FDP ist in den Umfragen mittlerweile auf 17 Prozent geklettert. Da es nicht wenige gibt, die argwöhnen, die CDU habe die Große Koalition platzen lassen, um den Untersuchungsausschuß zur HSH-Nordbank-Affäre lahmzulegen, war Kubickis Aussage wichtig, er werde dafür sorgen, daß der Ausschuß auf alle Fälle tagen und seine Aufklärungsarbeit leisten werde – sei es in der jetzigen oder in der kommenden Legislaturperiode.

Dennoch könnte die bürgerliche Mehrheit noch in Gefahr geraten, denn Carstensen hat zwei schwerwiegende Fehler begangen. In der erregt geführten Debatte behauptete er, Dirk Jens Nonnenmacher, der Vorstandsvorsitzende der in schweres Fahrwasser geratenen HSH-Nordbank, die überwiegend Hamburg und Schleswig-Holstein gehört, habe in Abstimmung mit beiden Koalitionsfraktionen die Zusage für einen Bonus von 2,9 Millionen Euro bekommen. Das bestritten beide Fraktionsvorsitzenden: Sie seien lediglich informiert worden. Zugestimmt hätten sie nie. Das nun erleichtert es Stegner, Carstensen immer wieder der Lüge zu bezichtigen. Der versuchte sich herauszuwinden, indem er sagte, er sei über jene Formulierung „ein bißchen flott hinweggegangen“.

Den zweiten Fehltritt beging Carstensen, indem er nach Auflösung des Landtags die vier SPD-Minister entließ, ohne sie zu verabschieden, und sie aufforderte, innerhalb von nicht einmal zwei Tagen ihre Dienstzimmer zu räumen und ihre Entlassungsurkunden in der Staatskanzlei abzuholen. Diese Stillosigkeit rief überall im Land Kopfschütteln hervor. Tatsächlich rutschte daraufhin der Umfragewert der CDU von 34 auf 32 Prozent. Der SPD hat das allerdings nichts genützt. Ihr stimmen weiterhin 32 Prozent der Schleswig-Holsteiner zu.

Dennoch mehrten sich in den vergangenen Tagen die Berichte, in der Union werde bereits am Stuhl von Peter Harry Carstensen gesägt. Die Kieler Nachrichten nannten sogar Namen und verdächtigten den CDU-Fraktionsvorsitzenden Johann Wadephul sowie den bisherigen Landwirtschaftsminister Christian von Boetticher, einen innerparteilichen Machtkampf um die Nachfolge von Carstensen als CDU-Spitzenkandidat zu führen. Der Einsatz bei einem parteiinternen Putsch wäre für alle Beteiligten äußerst hoch. Wenige Woche vor den Neuwahlen den Spitzenkandidaten auszutauschen, kommt einem politischen Selbstmord gleich.

Andererseits hat sich die CDU in der Vergangenheit bereits mehrfach mit ähnlichen Eskapaden im letzten Moment um den Wahlsieg gebracht. Neben den Ungeschicklichkeiten der CDU trägt die Linkspartei, der fünf Prozent der Stimmen zugetraut werden, dazu bei, daß der Wahlabend spannender werden dürfte als von Carstensen geplant. Stegner, der am vergangenen Wochenende auf dem Parteitag der Landes-SPD mit fast 90 Prozent zum Spitzenkandidaten gewählt wurde, hatte schon vor einem Jahr im Zusammenhang mit dem Hessen-Chaos um Andrea Ypsilanti deutlich gesagt, er habe keine Scheu, mit der Linken, die er zu den demokratischen Parteien zählt, zu koalieren.

Alle politischen Beobachter sind sich einig, daß die Vorgänge in Kiel der Parteiendemokratie schwer geschadet haben. Daher ist damit zu rechnen, daß die Wahlbeteiligung, die seit Jahren sinkt und 2005 bei 66,5 Prozent lag, erneut zurückgehen wird. Doch die Parteien werden sich damit trösten, daß sie in den klassischen Demokratien Großbritannien und den Vereinigten Staaten noch niedriger ist.

Foto: Carstensen am Wochenende auf dem Heavy-Metal-Festival in Wacken: „Ein bißchen flott“

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