© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/09 07. August 2009

Ein zweifelhafter Zeuge als Schlußakkord
Prozeß in München: Im Verfahren gegen den ehemaligen Wehrmachtsoffizier Josef S. wegen angeblicher Kriegsverbrechen wird am Dienstag das Urteil gesprochen
Richard Hausner

Der letzte Verhandlungstag im Prozeß gegen den ehemaligen Wehrmachtsoffizier Josef S. (90) aus Ottobrunn (JF 28/09), dem die Verantwortung für ein Massaker in der Toskana vorgeworfen wird, bei dem im Juni 1944 14 Menschen ermordet wurden, hatte es noch einmal in sich. Fünf Zeugen, eine Strafanzeige wegen uneidlicher Falschaussage sowie die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung sorgten für den ereignisreichen Abschluß eines außergewöhnlichen Prozesses.

Die Vernehmung von fünf Zeugen stellte einen bemerkenswerten Vorgang dar, weil doch die Beweisaufnahme schon mehrmals geschlossen worden war. Die Aussage von Eugen S. (64), einem früheren Mitarbeiter des Angeklagten, hatte allerdings noch einmal gewaltig Staub aufgewirbelt. Jener hatte den Ex-Leutnant schwer belastet, ihm unterstellt, er habe in den siebziger Jahren gesagt: „Dann habe ich die erschießen lassen.“ Eugen S. verstrickte sich zwar mehrmals in Widersprüche, trotzdem blieb festzuhalten: Zum ersten Mal in dem seit September 2008 laufenden Verfahren wurde Josef S. konkret beschuldigt. Zeuge Anton H. (74), der 22 Jahre in der Schreinerei des Angeklagten arbeitete, äußerte sich nun in eindeutiger Weise über den rätselhaften Berufsschullehrer, der sich so spät zu einer Aussage gedrängt fühlte. „Das ist der größte Dreckhammel, der rum läuft. Der hat jeden beim Chef verpetzt. Ein Riesen-Aufschneider, hat aber selber nichts gekonnt“, so Anton H. über Eugen S., der wegen fachlicher Inkompetenz entlassen worden sei und sich daher „aus Rache“ bei der Staatsanwaltschaft gemeldet habe. „Seine Aussagen sehe ich als Art Vergeltungsschlag.“ Derweil überreichte die Verteidigung der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige gegen Eugen S. wegen uneidlicher Falschaussage.

 „Der Zeuge hat offensichtlich Dinge gesagt, die gar nicht stimmen können“, begründete Verteidiger Christian Stünkel und verwies dabei unter anderem auf dessen Festlegung auf die Opferzahl 14, die angeblich sein früherer Chef genannt habe.  „Das war der entscheidende Webfehler, denn sollte der Angeklagte tatsächlich an der Tat beteiligt gewesen sein, dann konnte er nicht wissen, daß einer der Eingesperrten die Sprengung überlebt hatte. Die Zahl 14 tauchte erst in den neunziger Jahren auf.“ Auf diese Zahl kann Eugen S. also nur durch die Berichterstattung der Medien gekommen sein. Der Zeuge bestritt jedoch ausdrücklich, Kenntnisse aus den Medien gehabt zu haben. „Diese Aussage ist nichts wert“, schlußfolgerte Stünkel. Das hielt die Staatsanwaltschaft, die ihre Forderung nach lebenslänglicher Haft wiederholte, allerdings nicht von ihrer Behauptung ab, dieser Zeuge habe „in sich geschlossen ausgesagt“. Souveränität sieht anders aus – ein Armutszeugnis. Ansonsten stützt sich die Anklage auf eine Reihe schwacher Indizien.

Verteidiger Rainer Thesen kritisierte in seinem Plädoyer das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen, das unter „falscher Flagge“, nämlich unter dem Stichwort „nationalsozialistischer Gewaltverbrechen“, einseitig ermittelt habe. „Bei Naziverbrechen muß halt ein Ergebnis her“, führte Thesen aus. Bei dem verhandelten Fall liege aber kein „Naziverbrechen“ vor, denn es gehe hier nicht um ein von der NS-Ideologie begründetes Massenverbrechen.

Der einmal mehr unter starken Schmerzen leidende Angeklagte erklärte in seinem Schlußwort: „Was Verteidiger Thesen gesagt hat, ist überzeugend und wahr. Ich habe elf Jahre meines Lebens für das sogenannte Vaterland geopfert. Was jetzt nach 65 Jahren mit mir gemacht wurde, das wünsche ich keinem.“ Der praktizierende Katholik, der gemeinsam mit einem österreichischen Oberstleutnant und Kunsthistoriker kurz vor der Bombardierung durch die Alliierten im Februar 1944 die Kunstschätze aus dem Kloster Monte Cassino in die Engelsburg des Vatikans hatte transportieren lassen und dafür 1994 für seine Verdienste in Italien gefeiert wurde, mußte direkt nach dem zweijährigen Wehrdienst in den Krieg ziehen, anschließend folgten drei Jahre Gefangenschaft.

Daß das Verfahren so spät eröffnet wurde und die Rekonstruktion der Ereignisse dadurch praktisch unmöglich ist, liegt an den italienischen Amnestiegesetzen, die nach dem Krieg die Verfolgung von Kriegsverbrechen – der Aussöhnung zwischen Faschisten und Kommunisten willen – unmöglich machten. Sämtliche Akten wurden im „Schrank der Schande“ verwahrt. Erst Mitte der neunziger Jahre wurden die Untersuchungen in Italien wieder aufgenommen, aufgrund der weiterhin bestehenden Amnestiegesetze richten sich die Ermittlungen seither jedoch ausschließlich gegen Deutsche. Verteidiger Klaus Goebel, der wie seine beiden Kollegen auf Freispruch plädierte, wies nun darauf hin, daß ihm eine Auskunft aus Rom vorliege, der zufolge es in besagtem Schrank keine Akten über den Vorfall im Tatort Falzano gebe. Das fordere die Frage heraus, woher eigentlich die Erkenntnisse der italienischen Ermittler kämen.

Unter den Beobachtern ist man sich abgesehen von linksradikalen Kreisen einig, daß es aufgrund der dünnen Beweislage „eigentlich“ nur einen Freispruch geben könne. Selbst in der Süddeutschen Zeitung wurden zuletzt Zweifel laut, „ob das für einen Schuldspruch, für eine lebenslange Haft ausreicht“. Weil der Prozeß aber politisch aufgeladen ist, darf bis zum Urteilsspruch am 11. August reichlich spekuliert werden. Das Urteil wird jedenfalls ein Gradmesser sein für die Unabhängigkeit beziehungsweise Politisierung der Justiz.

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