© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  33/09 07. August 2009

Letztlich läuft alles auf Rot-Rot-Grün hinaus
Hugo Müller-Vogg hat mit viel politischem Gespür eine anregende Vision über die Koalitionsbildungen nach der Bundestagswahl geschrieben
Klaus Motschmann

Mit dem Buch des bekannten Publizisten Hugo Müller-Vogg (zeitweilig Herausgeber der FAZ) liegt ein origineller und zum Nachdenken anregender Beitrag zum Verständnis wichtiger politischer Entwicklungen im „Superwahljahr“ 2009 vor – und zwar nach der Bundestagswahl im September und den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, im Saarland und in Brandenburg im August. Es handelt sich formal um eine Darstellung fiktiver Reaktionen und Entscheidungen aufgrund dieser Wahlen. Sie entspringen jedoch keineswegs der Phantasie des Verfassers, sondern seiner Fähigkeit, politische Trends über einen längeren Zeitraum sorgfältig zu beobachten und daraus Konsequenzen über den Wahltag hinaus zu analysieren.

Die fiktive Geschichte beginnt in der anschaulichen Form eines übersichtlichen Kalendariums am 27. September. Es werden die ersten Hochrechnungen, Stellungnahmen der Spitzenkandidaten und maßgebenden Politiker aller Parteien, Kommentare namhafter Journalisten und Meinungsforscher dokumentiert. Sie stimmen darin überein, „daß die Deutschen zwar gewählt, aber nicht entschieden haben“, weil die Stimmenanteile der einzelnen Parteien keine eindeutigen Mehrheitsbildungen ermöglichen  – dafür aber um so mehr Spekulationen über alle möglichen Koalitionen. 

Das trifft vor allem für die CDU/CSU und die FDP zu, die den Wahlkampf mit einer sehr eindeutigen Koalitionsaussage zur Bildung einer gemeinsamen Regierung bestritten haben. Sie konnten damit jedoch nur 47 Prozent der Wähler (302 von 618 Sitzen im Bundestag) überzeugen. Der frühere Fraktionsvorsitzende der CDU, Friedrich Merz, bezeichnete das „katastrophale Abschneiden“ der CDU/CSU als die „verdiente Quittung“ dafür, daß die Union in der Großen Koalition ihre konservativen Prinzipien vergessen und ihre marktwirtschaftliche Seele verkauft habe. Daß es sich dabei nicht um die Meinung eines einzelnen handelt, belegen die Wahlanalysen seriöser Meinungsforschungsinstitute. Sie gelangten unter der Überschrift „Wähler sind enttäuscht und ratlos“ weitgehend übereinstimmend zu dem Ergebnis, „daß die Wähler mit konservativen Überzeugungen aus Enttäuschung über die CDU zu den Nichtwählern (30 Prozent gegenüber 23 Prozent bei der letzten Wahl) abwanderten“.

Die – rechnerisch mögliche – Bildung einer schwarz-gelb-grünen Jamaika-Koalition (347 von 618 Sitzen im Bundestag) wurde nach einigen Sondierungsgesprächen nicht weiterverfolgt; einerseits wegen des zunehmenden Vertrauensverlustes der Partei in der noch immer basisdemokratisch orientierten Anhängerschaft, andererseits wegen der scharfen ideologischen Gegensätze zur FDP in der Energie- und Umweltpolitik. „Aber auch die – rechnerisch ebenfalls mögliche – Bildung einer rot-rot-grünen Koalition wurde nach einigen Ansätzen nicht wirklich angestrebt. Vor allem nicht von der Linken. Sie wollte auf jeden Fall dem um sich greifenden Eindruck wehren, daß sie nach den Erfahrungen der Berliner rot-roten Koalition, „tief verstrickt in die glanzlose, kompromißlerische Alltagsarbeit“, als Protestpartei mehr und mehr an Profil verliert.

Davon konnte und sollte keine Rede sein. Im Gegenteil! Sie demonstrierte, daß sie ihre Ziele unbeirrt verfolgen werde, wenn auch auf einem anderen Weg: nicht unbedingt über den Bundestag, sondern über den Bundesrat, in dem sich nach den Landtagswahlen in Thüringen und im Saarland eine solide Mehrheit der Linken etablieren konnte. Unter den angedeuteten Mehrheitsverhältnissen und politischen Interessenkollisionen war nach fünfwöchigen Koalitionsverhandlungen schließlich keine andere Lösung mehr möglich als die Fortsetzung der Großen Koalition.

Diese Lösung hat in allen politischen Lagern ein kritisches Echo ausgelöst. Dies um so mehr, als Kanzlerin Merkel in ihrer Regierungserklärung sich ausdrücklich gegen eine grundlegende Kurskorrektur aussprach und damit für weitere Irritationen in der öffentlichen Meinung sorgte. Sie vermittelte den Eindruck einer Übergangsregierung, die die Legislaturperiode bis 2013 nicht durchstehen werde.

Tatsächlich war die Große Koalition schon nach einem Jahr nicht mehr in der Lage, notwendige Reformen gemeinsam zu bewältigen. Sie zerbrach am 7. November 2010 durch ein konstruktives Mißtrauensvotum der Oppositionsparteien. Damit war die von der Linken angestrebte Wende vollzogen. Müller-Vogg erinnert in seinem letzten Satz daran, daß er ein fiktives Szenario vorgelegt hat: Das alles muß nicht so kommen. Aber es kann so kommen. Und es wäre fahrlässig, darüber vorher nicht nachzudenken.

Hugo Müller-Vogg: Volksrepublik Deutschland. „Drehbuch“ für die rot-rot-grüne Wende. Olzog-Verlag, München 2009, broschiert, 144 Seiten, 12,90 Euro

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