© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/09 14. August 2009

Der lange Abschied von der Wehrpflicht
Bundeswehr: Nach der Bundestagswahl könnte für den verpflichtenden Dienst fürs Vaterland das Ende eingeleitet werden
Paul Rosen

Noch leistet sich Deutschland mit der Wehrpflicht einen „Sonderweg“. Große europäische Nachbarn wie Großbritannien und Frankreich haben den Pflichtdienst für junge Männer längst abgeschafft oder ausgesetzt. Hierzulande könnte die Geschichte der 1957 in der Bundesrepublik (DDR: 1962) eingeführten Wehrpflicht nach der Bundestagswahl zu Ende gehen. Drei der vermutlich fünf Fraktionen im nächsten Parlament wollen eine Abschaffung oder Aussetzung, die Union hält stramm an dem Dienst fest, die SPD ist formal noch dafür, intern aber eher ablehnend eingestellt. Und mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden und früheren Verteidigungsminister Peter Struck verläßt der letzte mächtige Befürworter der Wehrpflicht im Herbst die Politik.

Um die Debatte zu verstehen, muß man einige Zahlen kennen. Von den rund 450.000 jungen Männern, die zur Zeit pro Jahr zur Musterung anstehen, werden gerade noch 240.000 als tauglich angesehen. Das hat einen aus Sicht des CDU-Verteidigungsministers Franz Josef Jung plausiblen Grund: Da in die auf 250.000 Mann reduzierte Bundeswehr nicht so viele Wehrpflichtige hineinpassen, macht es Sinn, einen jungen Mann schon wegen eines Bierbauchs auszumustern, den man ihm früher im Grundwehrdienst abtrainiert hätte.

Von den 240.000 verbleibenden jungen Männern verweigern rund 110.000, und eingezogen werden gerade noch knapp 70.000. 70.000 von 450.000 – das scheint auf den ersten Blick mit dem Prinzip Wehrgerechtigkeit unvereinbar zu sein. Jung hatte aber großes Glück mit dem Bundesverfassungsgericht. Die in letzter Zeit mit der Bundesregierung offensichtlich unzufriedenen Richter  (Lissabon-Urteil,  BND-Untersuchungsausschuß-Urteil) trauten sich an die Wehrpflicht nicht heran. Zu einem Vorlagebeschluß des Kölner Verwaltungsgerichts, das die Wehrpflicht in heutiger Form für verfassungswidrig hält, stellten die Karlsruher Richter fest, man könne nicht, wie Köln das getan habe, die Zivildienstleistenden außer acht lassen.

Die Wehrpflicht werde auch durch den Zivildienst erfüllt, so der rechnerische Kunstgriff der höchsten Richter, die sichtbar keine Lust hatten, der Bundesregierung auch auf diesem Feld Knüppel zwischen die Beine zu werden. Das Urteil bedeutet aber keinen Bestandsschutz für die Wehrpflicht. Wenn die deutsche Politik dem Vorbild anderer europäischer Länder folgen will, kann sie die Wehrpflicht aussetzen oder abschaffen.

Vielleicht meinten die Richter ohnehin schon den Herbst der Wehrpflicht sehen zu können. Wenn es zu einer  schwarz-gelben Koalition käme, könnte das Schicksal des Dienstes bald besiegelt sein. Bei dieser wahrscheinlichsten Regierungsvariante hat sich der designierte Koalitionspartner FDP aus dem Fenster gelehnt wie nie: FDP-Chef Guido Westerwelle bezeichnet die Wehrpflicht als eine „Schikane für junge Männer“

Jung hält die Wehrpflicht weiter für „sicherheitspolitisch notwendig und gesellschaftspolitisch sinnvoll“. Der Minister will die Zahl der Wehrdienststellen um 5.000 erhöhen, um noch mehr junge Männer einziehen zu können. Jungs Staatssekretär Christian Schmidt (CSU) rechtfertigt die Wehrpflicht auch mit Blick auf andere Länder: In Spanien hole man „zwischenzeitlich Leute, die zu Bewährungsstrafen verurteilt sind, und die können dann Straferlaß bekommen“. Das sei ein deutliches Zeichen, daß es nicht so einfach sei, Nachwuchs zu bekommen, wenn die Wehrpflicht abgeschafft werde.

Doch an der deutschen Gesamtsituation ändert sich durch eine kleine Erhöhung der Zahl der Wehrdienstplätze nur sehr wenig. Anfang des Jahrzehnts seien lediglich 15 bis 20 Prozent der jungen Männer ausgemustert worden. Heute seien es rund 50 Prozent, erinnert Westerwelle. Und der SPD-Verteidigungspolitiker Hans-Peter Bartels bezeichnete in der Welt die Wehrpflicht zwar als „Garant der gelungenen deutschen Streitkräfte in der Demokratie“, nannte jedoch zugleich die Ausmusterungsquote von 50 Prozent absurd. Gefragt sei eine intelligente Weiterentwicklung der Wehrpflicht.

In einer bürgerlichen Regierung aus Union und FDP könnte die Wehrpflicht schnell ausgesetzt werden, da die FDP mit einem zweistelligen Ergebnis erheblich stärker als in der Kohl-Regierung wäre und entsprechend mehr Forderungen stellen und durchsetzen könnte. Sollte die FDP sogar das Verteidigungsministerium übernehmen, wäre es mit Sicherheit mit der Wehrpflicht vorbei.

Auch wenn es zu früh ist, jetzt schon einen Nachruf auf die Wehrpflicht zu verfassen, so soll nicht unerwähnt bleiben, daß es sich um den letzten direkten Beitrag der Deutschen für ihren Staat handelt. In allen anderen Fällen erschöpft sich das Verhältnis des Bürgers zum Staat im Zahlen von Steuern oder im Beziehen von Leistungen.

In den vergangenen Jahren war ein besorgniserregender Trend zu beobachten: 40 Prozent der Wehrpflichtigen kommen aus den neuen Bundesländern und dort vor allem aus ländlichen Regionen ohne Perspektive. In den alten Bundesländern fällt ein hoher Anteil von Wehrdienstleistenden auf, die einen russischen Hintergrund haben. Die große Mehrheit der jungen Männer hat sich längst vom Wehrdienst verabschiedet – und somit auch vom Staat.

Foto: Rekrutengelöbnis auf dem Münchner Marienplatz: Deutscher Sonderweg

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen