© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/09 14. August 2009

Das türkische Klassenzimmer
Integration: Lehrer aus der Türkei dürfen an deutschen Schulen auch weiterhin muttersprachlichen Unterricht erteilen
Fabian Schmidt-Ahmad

Niemand kann von Ihnen erwarten, Assimilation zu tolerieren. Niemand kann von Ihnen erwarten, daß Sie sich einer Assimilation unterwerfen. Denn Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Sie sollten sich dessen bewußt sein.“ Sätze, die in seinem eigenen Land hart bestraft worden wären, kamen dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Erdoğan über die Lippen. Allerdings richtete er seine legendäre Rede im vergangenen Frühjahr nicht an eine tatsächlich verfolgte Minderheit in der Türkei, sondern an die türkischen Einwanderer in Deutschland, denen er ebendieses Gefühl einzuhämmern trachtete.

Die Absicht dieser Politik dürfte längst offensichtlich sein. Wie in einer Retorte soll inmitten Europas eine Menschenmelange erzeugt werden, welche früher oder später durch Verdrängung der einheimischen Völker die osmanischen Niederlagen der Jahre 1529 und 1683 ungeschehen machen könnte.

Eine Leitlinie scheint dabei zu sein, diesen Keim künftiger Herrschaftshoffnungen streng von der deutschen Kultur zu isolieren und im eigenen Sinne zu beeinflussen. Spektakulär ist die Vielzahl von „Islamischen Kulturvereinen“ und ihren Moscheen, welche derzeit vom türkischen Staat auf deutschem Boden gebaut und mit eigenem Personal betrieben werden. Weniger auffällig, aber in seiner Bedeutung keineswegs zurückstehend, ist ein Lieblingsprojekt Erdoğans: „In Deutschland sollten Gymnasien gegründet werden können, die in türkischer Sprache unterrichten.“ Auch türkische Universitäten verlangte er während seines Deutschlandbesuchs. Das Personal soll gleichfalls eng von der türkischen Administration geführt werden. So „wünschen wir als Türkei, daß wir türkische Lehrer auch nach Deutschland entsenden“.

Das Konzept dieses sogenannten Konsulatsunterrichts ist nicht neu. Bereits die Einwandererkinder der ersten Generation wurden von türkischen Beamten geschult, bis diese Unterrichtsform allmählich zurückgedrängt wurde. Grund war vor allem, daß die Konsulatslehrer nicht den deutschen Schulbehörden unterstanden und die Kinder oft in einer türkisch-nationalchauvinistischen Weise indoktrinierten. Alevitische und kurdische Familien lehnten diesen Unterricht daher häufig ab. Doch noch immer arbeiten 540 türkische Lehrer an deutschen Schulen, 250 alleine in Baden-Württemberg.

Wie wichtig diese dem türkischen Staat sind, wird an dem starken politischen Druck deutlich, den man augenblicklich auf Deutschland ausübt. Denn eigentlich sollte die Beschäftigungserlaubnis der Konsulatslehrer Ende dieses Jahres auslaufen, Türkischunterricht nur noch unter deutscher Schulaufsicht stattfinden. Doch türkische Lobbyverbände skandalisierten das Ereignis, der türkische Botschafter Ali Can schaltete sich ein, und die Bundesintegrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU) warnte vor einer ersatzlosen Streichung muttersprachlichen Unterrichts. „Wohlwollend“ wolle man eine Aufhebung der Befristung überprüfen, hieß es nun zur Genugtuung der türkischen Seite aus dem Bundesarbeitsministerium.

Erfolge, die zu Größenwahn verführen. Auf Druck der türkischen Botschaft verschwand der Völkermord an den Armeniern aus dem brandenburgischen Schulunterricht. Nach heftigen Protesten wurde er vor kurzem wieder in den Lehrplan aufgenommen. Dies „gefährde den inneren Frieden“, drohte in der vergangenen Woche unverhohlen der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat.

Während Erdoğan dem deutschen Publikum seine pantürkischen Ideologieanstalten als „Integrationsmaßnahme“ verkauften möchte, sehen integrierte türkischstämmige Lehrer und Schüler dies übrigens skeptisch: „Lehrer, die aus der Türkei hergeschickt werden, leben und unterrichten hier als Fremdkörper“, sagte die Lehrerin Hava Kolbasi, die an der Kölner Katharina-Henoth-Gesamtschule Türkisch unterrichtet. Sie und ihre Kollegen seien in Deutschland aufgewachsen und „verstehen uns als Brückenbauer“, zitiert sie die Nachrichtenagentur dpa. Noch deutlicher bringt es einer ihrer Schüler auf den Punkt: „Wir brauchen keine türkischen Schulen, genausowenig wie arabische oder persische.“

Schlechte Nachrichten für Erdoğan. Denn wer sagt überhaupt, daß die türkischen Einwanderergruppen im luftleeren Raum schweben bleiben, bis irgendwann die kritische Masse erreicht sein wird? Rein faktisch besitzt Deutschland alleine durch seine Schulen eine weit bessere Zugriffsmöglichkeit. Die Träumer eines wiedererstehenden osmanischen Reiches profitieren schlußendlich nur von einer augenblicklichen deutschen Schwäche zur Assimilation des Fremden. Ist diese erst überwunden, kann es mit den Träumen auch schnell wieder vorbei sein.

Foto: Muttersprachlicher Unterricht an der Kölner Katharina-Henoth-Gesamtschule: „Wohlwollende“ Prüfung durch die Bundesregierung so bedaure ich das sehr und entschuldige mich ausdrücklich."

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