© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/09 14. August 2009

Die Soziale Marktwirtschaft verspielt
Wirtschaftspolitik: Zuviel Regierung, zuwenig Markt und Wettbewerb / Milliardensubventionen für Banken?
Klaus Peter Krause

Freiheit ist unteilbar. Daher gehört zur Freiheit auch die Marktwirtschaft. In Deutschland ist der Begriff seit Gründung der Bundesrepublik mit dem Beiwort „Soziale“ versehen. Das hat seinen guten Sinn. Aber der ist verlorengegangen und mit ihr ein wichtiges Stück Freiheit. Denn die Soziale Marktwirtschaft wurde verdreht und verfälscht. Sie ist entartet. Darum hat der Wirtschaftshistoriker Michael von Prollius sein jüngstes Buch „Die Pervertierung der Marktwirtschaft“ betitelt. Das ordnungspolitische („ordoliberale“) Gedankengut der Sozialen Marktwirtschaft sieht Prollius schon in den 1950er Jahren auf dem Rückzug, also in einer Zeit, als sich diese Marktwirtschaft in Deutschland noch gar nicht zur vollen Wirksamkeit entfaltet und ihren Erfolgshöhepunkt noch gar nicht erklommen hatte. Innerhalb von fünfzig Jahren, schreibt Prollius, sei das Ordnungsmodell der Sozialen Marktwirtschaft ruiniert worden – durch Keynesianismus, Interventionismus, Wohlfahrts-Etatismus, Angebotspolitik. „Aus einer sozialen ist längst eine sozialstaatliche Marktwirtschaft geworden.“

Wie sich der Ruin vollzog, ist im einzelnen beschrieben. Das Ziel der Sozialpolitik wandelte sich von der Absicherung zur Betreuung. Zuständigkeitserweiterungen von Regierung und Verwaltung wurden als sozialpolitische Errungenschaften verkauft. Die Bürokratisierung immer weiterer Lebensbereiche griff um sich. An die Stelle marktkonformer Versicherungsprinzipien traten Marktregulierung, Preisfixierung, Fixierung von Vertragsinhalten und die Schwächung der Eigenvorsorge. Keynesianische Globalsteuerung setzte ein.

Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz hielt Einzug in die Wirtschaftspolitik. Es kam die Konzertierte Aktion, heute „Bündnis für Arbeit“ genannt. Karl Schiller baute als Wirtschaftsminister die Soziale Marktwirtschaft keynesianisch um in eine vermeintlich „aufgeklärte Marktwirtschaft“. Entsprach ein konjunktureller Abschwung nicht den politischen Wachstumswünschen, wurden die Staatsausgaben ausgeweitet und mit Schulden bezahlt („deficit spending“). Der Leser sieht im Zeitraffer die Jahre unter Willy Brandt und Helmut Schmidt vorüberziehen, unter Helmut Kohl und Otto Graf Lambsdorff, unter Gerhard Schröder, unter Angela Merkel.

Degeneration des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft

„Zuviel Regierung und Regulierung – zuwenig Markt und Wettbewerb“ konstatiert Prollius. Das Ordnungsmodell der Sozialen Marktwirtschaft sieht er umgewandelt hin zu einer sozialistischen Marktwirtschaft. Die Prinzipien Solidarität und Subsidiarität seien über Bord geworfen, freiwillige Solidarität durch staatliche Zwangssolidarität und Subsidiarität durch staatliche Allzuständigkeit ersetzt worden. Der Staat habe den Bürger entmündigt, ihn gleichsam dressiert. An seine Stelle sei der unmündige, für Täuschung und Irrtum anfällige Verbraucher getreten.

Die Geschichte der deutschen Wirtschaftspolitik ist für Prollius im wesentlichen eine Geschichte großer Fehlentscheidungen, eine Geschichte der Degeneration des ursprünglichen Konzepts „Soziale Marktwirtschaft“, eine Geschichte vom Aufstieg und Fall einer ordnungspolitischen Idee. Schon bei ihrer Einführung war die Soziale Marktwirtschaft heftig umstritten gewesen und sogar mittels Generalstreik bekämpft worden. Sie war also „beileibe kein Selbstläufer“ (Prollius). Daß sie trotzdem durchkam, verdankt sie dem „sturen Durchhaltewillen“ Ludwig Erhards. Ihre Erfolge waren (und sind) ein „unumstößlicher Beweis“ für ihre Überlegenheit gegenüber allen Ordnungsformen mit staatlichen Eingriffen in den Wirtschaftsablauf.

Die Finanzkrise beschreibt Prollius als „das große Staatsversagen“, denn die milliardenschweren Staatsinterventionen bewirkten, daß sich „ausgerechnet die nach marktwirtschaftlichen Kriterien gescheiterten Unternehmen weiter durchwursteln dürfen“. Nun gehörten auch „Banker, Versicherer und Autobauer zu den politisch geschützten Subventionsempfängern“. Was beispielsweise gut für die Commerzbank sei, sei normalerweise nicht zugleich gut für Deutschland: „Die unvermeidliche Marktbereinigung der faulen Kredite durch immer neue Kredite ist lediglich aufgeschoben.“ Für Prollius hätte es die aktuelle Krise ohne Zentralbanken und ihre Geldmengenausweitung nicht gegeben: „Der künstliche Boom, die Spekulationen und die modernen Finanzprodukte, insbesondere Derivate, Schachtelkredite und Verbriefungen, wurden erst durch das im Übermaß verfügbare ‘billige Geld’ attraktiv und in diesem Ausmaß möglich.“

Finanzkrise als Folge eines großen Staatsversagens

Die Marktwirtschaft erklärt Prollius als „spontane Ordnung“, die Soziale Marktwirtschaft als „staatlich geordnete Wirtschaft“ – es sind jeweils eigene Kapitel in seinem Buch. Die Soziale Marktwirtschaft als Erbe ihrer Gründerväter sei leichtfertig verspielt worden, nun gelte es, sich auf ihre Erfolgsprinzipien zu besinnen. Vor allem gehe es dabei „um die abendländischen Prinzipien der Freiheit unter dem Recht, die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz und die freiwilligen Solidarität“. Diese Prinzipien seien ausgehöhlt und geschleift. Eine Rückkehr zur Sozialen Marktwirtschaft setze eine Erneuerung der Marktwirtschaft voraus. Die Marktwirtschaft stecke in einer Legitimationskrise. Diese Legitimationskrise resultiere aus einer Legitimationskrise der Politik. „Es ist die Politik, die schrittweise, teils bewußt, teils unbewußt eine Popularitätskrise der Marktwirtschaft hervorgerufen hat.“

Prollius nennt den ersten Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard zu Recht einen „Politiker mit einer glaubwürdigen und nachvollziehbaren moralischen Botschaft“. Sie habe gelautet: „Wohlstand und Freiheit gehören zusammen, Wohlstand wird erst durch Freiheit möglich.“ Erhard habe die Überzeugung verkörpert, Politik sei nicht die Kunst des Möglichen, also die des Kompromisses, sondern vielmehr die Fähigkeit, das sachlich Notwendige auch gegen Widerstände durchzusetzen. Der derzeitige Wirtschaftsminister Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg vermittelt ebenfalls Glaubwürdigkeit und moralischen Anspruch. Viele trauen dem 37jährigen CSU-Politiker zu, die Marktwirtschaft zu erneuern und damit zur Sozialen Marktwirtschaft Erhards zurückkehren zu wollen. Aber ob ihm gelingt, was einem Erhard gelang? Der Widerstandsgruppen sind heute weit zahlreicher als damals, und zu stark schon haben sie sich in Politik und Gesellschaft eingenistet.

Michael von Prollius: Die Pervertierung der Marktwirtschaft – Der Weg in die Staatswirtschaft und zurück zur Sozialen Marktwirtschaft.  Olzog Verlag, München 2009, gebunden, 221 Seiten, 22,90 Euro

Foto: Milliardenschweres Rettungspaket für Banken: Aber wer rettet das Konzept der Sozialen Markwirtschaft?

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