© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/09 14. August 2009

Schelte aus der Vergangenheit
Simone Weils Parteienkritik
Heinz Fröhlich

Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“, heißt es in Artikel 21 Grundgesetz. Obwohl ihnen Wähler und Mitglieder davonlaufen, beherrschen unsere Parteien alle Hebel der staatlichen Macht. Wie tragfähig ist die Gleichsetzung von Parteien und Demokratie? 

Fulminant hat die französische Philosophin Simone Weil, kurz bevor sie 1943 starb, das Parteiensystem kritisiert. Der Essay „Anmerkung zur generellen Abschaffung der politischen Parteien“ erscheint anläßlich ihres hundertsten Geburtstags. Die Parteien, liest man, blockieren jede wirkliche Demokratie. Nicht das Allgemeinwohl interessiere sie, sondern Macht als Selbstzweck. Um zu wachsen, manipulieren Parteien den Bürger. „Das würde uns entsetzen, hätte die Gewöhnung uns nicht so verhärtet.“ Mitglieder der Parteien werden geistig „dressiert“ und die Wähler durch „Propaganda“ gelenkt. „Als Konservativer“ oder „als Sozialist meine ich“, laute die stereotype Formel des Parteimenschen.  Wähler und Mitglieder einer Partei müßten deren gesamtes Programm akzeptieren, selbst wenn ihnen etliches mißfalle. „Der Teufel könnte nichts Tückischeres ersinnen.“     

Diesen Mechanismus der Bevormundung habe die mittelalterliche Kirche der Neuzeit vererbt. Das katholische Christentum fordere seit jeher die Unterwerfung der Gläubigen. Daher, schreibt Weil, repräsentieren Parteien das Böse und seien abzuschaffen. Ungeachtet mancher Einseitigkeiten trifft ihre Philippika auch ins Schwarze. Sehr kritisch ist Weils Gegenmodell zu betrachten, das mathematisch rein und sauber erstrahlt, aber die Ecken und Kanten der Wirklichkeit ignoriert. Weil skizziert eine Doktrin, die sie bei Rousseau abgeschrieben hat. Jeder Mensch berge das gleiche „Licht der Vernunft“; es zeige den Weg zum Guten und sei freizulegen. „Inneres Licht“ offenbare die klar erkennbare „Evidenz“.

Sofern Vernunft und nicht Leidenschaft regiere, müßten alle zur gleichen Einsicht gelangen. „Erkennt man an, daß es eine Wahrheit gibt, darf man nur denken, was wahr ist.“ Ebendiese Denkverbote hat Weil den Parteien vorgeworfen! Menschen vertreten immer differenzierte Sichtweisen, zumal der „Gemeinwille“ genauso irren kann wie Parteien. Bei Simone Weil mündet die Forderung nach Abschaffung der Parteien in eine säkulare Heilslehre. Im Namen der Demokratie werden religiöse Botschaften verkündet. Das Monopol der Parteien zu brechen, ermöglicht mehr Selbstbestimmung, holt aber nicht den lieben Gott auf die Erde.

Simone Weil:  Anmerkung zur generellen Abschaffung der politischen Parteien, Diaphanes Verlag, Zürich, Berlin 2009, broschiert, 60 Seiten, 10 Euro

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