© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/09 14. August 2009

Exil in Südfrankreich angeboten
Herbert Elzer: Die Schmeisser-Affäre um Adenauer, den „Spiegel“ und den französischen Geheimdienst
Hans-Joachim von Leesen

Nur ältere Zeitgenossen dürften sich noch erinnern an die „Schmeisser-Affäre“ in den fünfziger Jahren, in deren Verlauf nicht nur der einflußreichste außenpolitische Berater des ersten Bundeskanzlers, Herbert Blankenhorn, sondern auch Konrad Adenauer selbst in den Verdacht gerieten, Agenten des französischen Geheimdienstes gewesen zu sein. Nie ist die Affäre aufgeklärt worden. Doch waren die vom Spiegel veröffentlichten Einzelheiten über personelle Verflechtungen mit den beiden französischen Geheimdiensten jede für sich einleuchtend und durch mehr oder weniger glaubhafte Zeugen belegt.

Jetzt hat sich Herbert Etzer, der sich mit gründlichen Studien über die Geschichte des Saargebietes nach dem Zweiten Weltkrieg einen Namen gemacht hat, des Themas angenommen und es anhand einer Unzahl von Quellen in dem Buch „Die Schmeisser-Affäre“ dargestellt. Verschlossen blieben ihm die Akten der französischen und bundesdeutschen Geheimdienste, doch waren die Akten mehrerer Bundesministerien, Unterlagen des Bundespresseamtes sowie Aussagen der wenigen noch lebenden Zeitzeugen ergiebig genug. Der Nachlaß von Rudolf Augstein ist für die Forschung noch nicht zugänglich, im Spiegel-Archiv soll sich zu diesem Thema keinerlei Material mehr befinden.

Nun sind die Personen, die in die Affäre verwickelt waren und die fast alle mindestens zeitweise Agenten des französischen Geheimdienstes waren, aus heutiger Sicht weniger interessant als die Politik Frankreichs gegenüber der jungen, im Aufbau befindlichen deutschen Demokratie; sie wurde deutlich aus den Aktivitäten ihrer Agenten, die sich keineswegs auf die Weitergabe von Beobachtungen beschränkten, sondern sich bemühten, über die mit ihnen paktierenden Bundespolitiker französische Ziele durchzusetzen. Und die unterschieden sich nicht von der Politik Frankreichs gegenüber Deutschland seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, nämlich den östlichen Nachbarn zu schwächen.

Gleich nach der Kapitulation der Wehrmacht setzten sie alle Hebel in Bewegung, Gebiete aus dem Reich herauszubrechen, etwa indem sie – wie schon nach dem Ersten Weltkrieg – separatistische Bestrebungen im Rheinland und in der Pfalz zu stärken versuchten. Auch hatte man eine „Donau-Föderation“ ins Auge gefaßt, die aus Bayern und Österreich gebildet werden könnte. Dabei scheute der französische Geheimdienst auch nicht die Zusammenarbeit mit seinem sowjetischen Pendant – und zwar noch, nachdem der Ost-West-Gegensatz deutlich geworden war. Ihre Ziele gegen Deutschland waren identisch.

Die für Frankreich tätigen deutschen Agenten stammten auffallend häufig aus nach dem Krieg in den Ländern eingerichteten Entnazifizierungsministerien, wo manche wegen nachgewiesener Korruptionsfälle entfernt werden mußten. Einige fanden dann bei den im Aufbau befindlichen Verfassungsschutzämtern eine neue Beschäftigung. Mancher, wie Hans Konrad Schmeisser, der der Affäre den Namen gab, hatte auch Verbindungen zur Kommunistischen Partei, andere Kontakte zur CIA.

Das Schwergewicht der französischen Geheimdienstarbeit lag schließlich auf dem Saargebiet. Die Siegermächte hatten aus dem damals neben dem Ruhrgebiet zweitwichtigsten deutschen Industriegebiet ein „autonomes“ Gebilde gemacht, das politisch und wirtschaftlich von Frankreich abhängig war. Seine Bevölkerung sollte 1955 in einer Abstimmung entscheiden, ob es Frankreich ganz und gar zugeschlagen wird oder zu Deutschland zurückkehrt. Die französischen Agenten taten alles, um die separatistischen Kräfte, an der Spitze die Marionettenregierung unter Johannes Hoffmann („Joho“), zu stärken und die deutsche Abwehr zu schwächen, an ihrer Spitze die Demokratische Partei Saar (DPS) unter ihrem dynamischen Vorsitzenden Heinrich Schneider. So förderte der Geheimdienst nationale Bestrebungen in der Bundesrepublik, um im Ausland auf das Wiedererwachen revanchistischer Kräfte hinweisen zu können. Er fälschte Unterlagen, die beweisen sollten, daß die DPS Verbindung etwa zu der in der Bundesrepublik erfolgreich operierenden Sozialistischen Reichspartei (SRP) unter dem ehemaligen General Otto Ernst Remer unterhielt, die unverhohlen an die NSdAP anknüpfte.

Trotz allem entschieden sich über zwei Drittel der saarländischen Bevölkerung 1955 in einer Volksabstimmung für Deutschland. Am 9. Juli 1952 erschien ein aufsehenerregender Spiegel-Artikel unter der Überschrift „Am Telefon vorsichtig“. Wer den Artikel las, gewann den Eindruck, Bundeskanzler Konrad Adenauer sowie sein wichtigster außenpolitischer Berater, Ministerialdirektor Herbert Blankenhorn, hätten permanent Landesverrat betrieben, indem sie sich als Agenten für den französischen Geheimdienst betätigten. Dabei konnte sich das Magazin auf eine Vielzahl von Informationen stützen; sein Hauptinformant war einer der Spitzenagenten des französischen Geheimdienstes: Hans- Konrad Schmeisser. So konnte man lesen, daß Adenauer wie Blankenhorn den Grundsatz vertraten, Deutschland sei Frankreich gegenüber zu Vorleistungen verpflichtet, um eine enge Zusammenarbeit um des Friedens willen zu fördern.

Als Dank für die für Frankreich günstigen politischen Maßnahmen sollen die frankophilen Politiker mit französischem Geld und mit Lebensmitteln belohnt worden sein. Blankenhorn soll vom französischen Geheimdienst eine Million  Mark für die CDU erbeten haben. Um die deutschen Politiker willfährig zu machen, sollen die Franzosen Adenauer und Blankenhorn angeboten haben, sie im Falle eines sowjetischen Einmarsches, der damals für durchaus möglich gehalten wurde, nach Südfrankreich in Sicherheit zu bringen, damit sie eine Exilregierung bilden und die Deutschen von dort zum Widerstand aufrufen können.

Adenauer erstattete unverzüglich Strafanzeige gegen den Spiegel und ließ die Ausgabe beschlagnahmen. In Adenauers und der CDU Augen war Augstein damals ein deutscher „Nationalist reinsten Wassers“, ja, sogar „ein glühender Patriot‘, so Elzer, weil der Spiegel-Herausgeber als vorrangiges Ziel die deutsche Wiedervereinigung anstrebte und alles publizistisch bekämpfte, was sie erschweren könnte – und dazu gehörte vorrangig die Westintegration der Bundesrepublik samt der Europäisierung des Saargebietes.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Spiegel dauerten über zwei Jahre. Am 26./27. September 1955 sollte endlich das Verfahren beginnen. Zur Verblüffung der Öffentlichkeit zog jedoch der Hauptbelastungszeuge Schmeisser seine Behauptungen zurück und erklärte sich bereit, alle entstandenen Kosten zu übernehmen. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. Nach zwei weiteren Jahren regelten der Spiegel, seine Hauptbelastungszeugen sowie die Bundesregierung die Sache einvernehmlich. Ende 1957 sanktionierte das Landgericht Hannover diese „Farce“, wie der Autor schreibt. Nie ist aufgeklärt worden, wer hinter dem Spiegel-Artikel steckte. Bis heute ist unklar geblieben, ob Adenauer und Blankenhorn wirklich so intensiv mit dem französischen Geheimdienst zusammengearbeitet hatten, wie der Artikel den Anschein erweckte.

Herbert Elzer: Die Schmeisser-Affäre.  Herbert Blankenhorn, der „Spiegel“ und die Umtriebe des französischen Geheimdienstes im Nachkriegsdeutschland 1946–1958, Band 68 der Historischen Mitteilungen. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2008, gebunden, 373 Seiten, Abbildungen, 70 Euro

Fotos: Herbert Blankenhorn, Vertrauter Adenauers und Ministerialdirektor im Auswärtigen Amt: Permanent Landesverrat betrieben, Rudolf Augstein (rechts) beim Schmeisser-Prozeß am 26. September 1955 mit seinen Anwälten Reinhold Maier (Mitte) und Josef Augstein: „Nationalist reinsten Wassers“, Hans K. Schmeisser

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