© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  34/09 14. August 2009

Sonderwege wandernd
Jugendbewegung im Visier
Oliver Busch

Im Juli 2001 kam es in der hessischen Burg Ludwigstein, im Archiv der deutschen Jugendbewegung, zu einer Bluttat. „Im Affekt“ tötete der 59jährige Archivleiter Winfried Mogge seine Mitarbeiterin Monika Neuenroth. Sein Motiv ließ sich sogleich der Presse entnehmen: Neuenroth waren „Unregelmäßigkeiten“ im Etat aufgefallen. Unschwer konnte sie den „Abfluß“ des Geldes bis zum Privatkonto ihres Chefs verfolgen. Obwohl eine Mordanklage denkbar gewesen wäre, kam der promovierte Zeithistoriker am Ende als affektgesteuerter Totschläger glimpflich davon.

2007 meldete der Wandervogel seine Haftentlassung und bekundete Verständnis: Undurchsichtige Strukturen der inzwischen dem Hessischen Staatsarchiv in Marburg unterstellten Einrichtung hätten damals den Knoten geschürzt, den Mogge dann gewaltsam durchschlug. Wenn er jetzt neue Studien zur Geschichte der Jugendbewegung publiziert, soll das also vermutlich auch eine gelungene Resozialisierung signalisieren: Es kann nun weitergehen „wie bisher“.

Auch und gerade mit seinem Lebensthema, der deutschen Jugendbewegung. Denn Mogge knüpft bruchlos dort an, wo er 2001 aufhörte. Mithin sind es die vertrauten, einst schon gegen Armin Mohler ins Feld geführten Deutungs- und Bewertungsschemata, die er hier primär der Frühgeschichte des „Wandervogel“ widmet. So epiloghaft kurz wie linkskonventionell trist soll einmal mehr der vor „antisemitischen“ Anleihen nicht gefeite „Weg ins völkische Lager“ aufgezeigt werden.

Was die Ursprünge der „Wandervögel“ angeht, die sich um 1900 in Steglitz formierten, brilliert er mit fußnotenseligen und zitatenfrohen Detailkenntnissen, die tief hineinführen in die Heimatkunde Berliner Vororte. Manche Spur weist auf persönlich vermittelte Verbindungen zwischen den ins Grüne drängenden wilhelminischen Primanern und dem romantischen Weltanschauungserbe, wie es großbürgerliche Salons der Reichshauptstadt hüteten. Für Mogge ergibt sich aus dieser Traditionslinie, daß die Jugendbewegung nicht „spontan“ entstand und „autonom“ agierte, sondern eine Schöpfung bürgerlicher Väter war, die sich an deren Wertsystem orientierte und sich entsprechend gesetzmäßig dem von der Romantik zum Nationalsozialismus führenden deutschen „Sonderweg“ des „Irrationalismus“ zuordnen lasse.

Winfried Mogge: „Ihr Wandervögel in der Luft ...“ Fundstücke zur Wanderung eines romantischen Bildes und zur Selbst­inszenierung einer Jugendbewegung, Königshausen&Neumann, Würzburg 2009, broschiert, 159 Seiten, Abbildungen, 24,80 Euro.

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