© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/09 21. August 2009

Rache an Deutschland
Das Kino tötet Hitler: Mit „Inglourious Basterds“ hat Quentin Tarantino sich gründlich verhoben
Claus-M. Wolfschlag

Die Story ist plump wie bei faktisch allen Tarantino-Filmen: Eine alliierte Spezialeinheit unter Führung des bärbeißigen Leutnant Aldo Raine (Brad Pitt), bestehend zumeist aus jüdischen Deutschenhassern, hat im Zweiten Weltkrieg den Auftrag, hinter der Frontlinie möglichst viele Skalps von den Köpfen getöteter Wehrmachtssoldaten zu schneiden.

Zur Premiere eines deutschen Propagandafilms in Paris, zu der sich die gesamte Führungselite des NS-Staates versammeln will, plant der Trupp schließlich ein Massaker. Dasselbe Ziel verfolgt die jüdische Kinobesitzerin Shoshanna (Mélanie Laurent), um die Ermordung ihrer Familie zu rächen.

Mit Hilfe des aus persönlichen Motiven überlaufenden SS-Mannes Landa gelingt der alternative Geschichtsverlauf. Das Kino explodiert, mit ihm Hitler, Goebbels sowie einige hundert geladene Gäste, darunter Frauen und Kinder. Hurra, der Krieg ist vorbei. Die Geschichte ist alternativ und dennoch gleich verlaufen. Die Guten haben schon aus Gerechtigkeit gewonnen. Das war „Inglourious Basterds“.

Doch in Tarantino-Filmen kommt es bekanntermaßen viel mehr auf die Art der Inszenierung, die Dialoge an. Konnte Regisseur Quentin Tarantino auf diese Weise seinerzeit mit „Pulp Fiction“ (1994) und „Death Proof“ (2007) unterhaltungstechnisch überzeugen, weil er in seinem US-amerikanischen Denkkosmos blieb – der Welt von Drogendealern, Auftragskillern, Stuntmen, Barbetreibern und Go-go-Tänzerinnen –, so hat er sich nun gründlich verhoben.

Inhaltlich wird er der hochkomplexen historischen Situation ohnehin nicht gerecht, liefert keinerlei Erkenntnisgewinn. Aber auch filmisch hat es nicht zu Neuem gereicht. Nicht ansatzweise ist die Virtuosität und Verspieltheit von „Death Proof“ erkennbar.  Die oft erwähnte Anlehnung von „Inglourious Basterds“ an B-Movies der 1970er Jahre erfolgt nur in der Eingangsszene, die das Auftauchen des SS-Mannes Hans Landa auf einem einsam gelegenen französischen Bauerngehöft im Stil eines Italo-Western inszeniert. Danach bleibt „Inglourious Basterds“ ein konventioneller, zähflüssiger, ja langweiliger Streifen ohne besondere Raffinesse, irgendwo unentschlossen zwischen Parodie und Drama.

Die einzige schauspielerisch interessante Figur stellt der SS-Judenverfolger Hans Landa dar, in dessen Rolle der Österreicher Christoph Waltz alle anderen Darsteller an die Wand spielt. Landa verkörpert den Typus des hochintelligenten, weltgewandten Soziopathen, der schon in der alliierten Propaganda üblicherweise als NS-Führungsfigur dem tumben Landser gegenübergestellt wurde. In „Inglourious Basterds“ erweist sich Landa letztlich als purer Technokrat, der rechtzeitig zum persönlichen Vorteil die Seiten wechselt.

„Inglourious Basterds“ ist ein absurdes Kriegsdrama, gespickt mit Stereotypen und Ressentiments. Auch die Darstellung der NS-Größen bietet keine neuen Facetten. Dutzende Male schon hat man etwa die ewig gleich dumm herumkreischende Hitler-Karikatur gesehen, wie sie nun „Tatort“-Darsteller Martin Wuttke schlecht verkörpert.

Schon der dumpfe antideutsche Charakter des Streifens sollte zu denken geben. „Nazis verdienen keine Menschlichkeit. Sie müssen vernichtet werden“, gibt Aldo Raine lässig als Anweisung aus. So kann sich der popcorngesättigte Zuschauer belustigt daran weiden, wie Menschen bestialisch totgeprügelt, zerschossen und zerstückelt werden. Dabei ist eine Unterscheidung zwischen Deutschen und Nazis in „Inglourious Basterds“ Makulatur, ständig und wahllos wechseln die synonym verwendeten Begriffe. Abgesehen von einigen Überläufern in alliierten Diensten werden Deutsche nur als Sadisten und Judenhasser dargestellt, als niederträchtige Zyniker, Stürmer-Leser oder verklemmt grölende Saufköpfe. Sie trinken Bier und lachen dumm und stopfen sich Apfelstrudel mit Schlagsahne gierig in den Schlund. Brutalität lauert stets im Hintergrund ihrer miesen Scherze. Doch auch hinter ihren zuweilen scheinbar harmlosen Fassaden sitzt stets das Mördergemüt.

Meint man im Verlauf der Handlung gelegentlich einem halbwegs normalen Mensch deutscher Nationalität zu begegnen, einem frischgebackenen Vater etwa oder dem jungen Kriegshelden Fredrick Zoller (Daniel Brühl), der sich in die hübsche Jüdin Shoshanna verguckt, so weicht auch dieser Ansatz zu einer etwas facettenreicheren Darstellung bald wieder den Negativklischees. Der anfangs noch sensibel gezeichnete Zoller entwickelt sich am Ende zum penetranten Stalker. Die in die Enge gedrängte Shoshanna schießt auf ihn, schaut aber, von schlechtem Gewissen geplagt, nach dem Schwerverletzten. Der Ansatz einer Versöhnungsgeste ist trügerisch. Zoller schießt mit letzter Kraft seinerseits auf die junge Frau. Beide verbluten auf dem Boden des Kinovorführraums. Shoshannas Zweifel war ihr Fehler. Die Moral ist klar: Einem Deutschen ist nie zu trauen, jedes menschliche Gefühl fehl am Platz.

Die Story folgt der holzschnittartigen Verengung historischer Zusammenhänge des Zweiten Weltkriegs auf das Bild eines angeblichen Primärkonflikts zwischen Deutschen und Juden. Danach habe sich das deutsche Volk zum großen Judenfressen aufgemacht, bis seine Militär- und Vernichtungsmaschinerie endlich durch den entschiedenen Kampf der Alliierten zerstört werden konnte. Auf diese ahistorische Weise werden letztlich bis heute alliierte Kriegsverbrechen zu entschuldigen und zu rechtfertigen versucht, werden alliierte Ziele nicht hinterfragt, noch Deutschen irgendein positives Motiv zugesprochen. Ob er „das fürs Judentöten bekommen“ habe, fragt denn Aldo Raine folgerichtig einen gefangenen deutschen Offizier und deutet auf dessen Eisernes Kreuz, bevor jenem mit dem Baseballschläger der Schädel zertrümmert wird.

„Stolz der Nation“ heißt der Propagandafilm, den die Deutschen in jenem Pariser Kino uraufführen wollen. Der deutsche Nationalstolz wird also mit einem minderwertigen Kriegsfilm in Verbindung gebracht, der vom Töten alliierter Soldaten handelt. Der „Film im Film“ als unfreiwilliges Spiegelbild von „Inglourious Basterds“?

Wer als Deutscher die „Basterds“ überlebt, bekommt ein Hakenkreuz auf die Stirn geschnitten, damit er für immer als „Nazi“ erkennbar bleibe. Es passe ihm gar nicht, erklärt Aldo Raine am Ende des Krieges zum SS-Mann Landa, daß dieser nun seine Uniform an den Nagel hängen wolle, schließlich erkenne man daran die „Nazis“ am besten. Für den neuen Erkennungscode wird auch Landa brutal mit dem Messer traktiert. Es ist das Kainsmal aller überlebenden Deutschen; Das Hakenkreuz soll ihnen für alle Ewigkeit auf die Stirn geschrieben stehen.

All jenen, die nun verharmlosen, es handle sich doch nur um Kino, um Unterhaltung, um typischen Tarantino, widersprach der 46jährige Regisseur offenherzig: „Ja, man könnte schon sagen, daß das ein Rache-Film ist.“ Er meinte damit nicht die übliche Rache von Filmfiguren im Action-Kino, sondern die programmatische Rache an Deutschland mit den Mitteln des Unterhaltungskinos. Die NS-Riege etwa wird beim Besuch eines Filmtheaters vernichtet. Das Kino tötet also Hitler. Unmittelbar vor seinem Ableben sieht er das Gesicht eines jüdischen Racheengels auf der Leinwand. Dies verweist auf die Macht der Filmbilder und auf die Macht der Personen, die über die Mittel verfügen, Bilder zu produzieren und in die Welt zu schicken.

Würde in deutschen Kinos ein Film über irgendeine andere Volksgruppe gezeigt, in dem dergestalt cool das Abschlachten von „Niggern“, „Muselmanen“ oder „Tommy“-Bomberpiloten inszeniert würde, schnell kämen Bedenken und die Frage nach möglicher Volksverhetzung auf. Daß Tarantino sich statt dessen feist grinsend auf dem roten Teppich am Potsdamer Platz präsentieren kann, liegt an der spezifisch bundesdeutschen Seelenverfassung. Durch jahrzehntelange Indoktrination scheint das deutsche Empfinden bei noch so perversen Grausamkeiten gegenüber seiner Großvätergeneration taub. Das eigene Ich wird abgekoppelt von der Geschichte, von „diesen Nazis“ oder „diesen Deutschen“, mit denen man selber gar nichts zu tun habe – ein Trugschluß.

Der Unterhaltungsindustrie wird gern vorgeworfen, Menschen durch Ablenkung dumm zu halten. Um den Verursachern der Verdummung, den Autoren, Regisseuren, Produzenten, auf die Spur zu kommen, lohnen ein paar Fragen auf der Metaebene. Wie viele Minderwertigkeitskomplexe, wieviel Verdrängung verbergen sich hinter dem Zwangsverhalten, Hitler oder generell Deutsche zum aberhundertsten Mal als immer gleich dämliche Karikaturen verhöhnen zu wollen? Dahinter, nun zum wiederholten Mal jüdische Kriegsheldenmythen zu kreieren (man denke etwa an den im März angelaufenen Film „Defiance – Widerstand“), die in dieser Form real nie existiert haben? Dahinter, sich immer als „Nazijäger“ profilieren zu müssen? Dahinter, den alliierten Kampf als angeblich moralischen Rachefeldzug darzustellen? Dahinter, den „historischen Sieg“ unserer heutigen US-dominierten Gesellschaftsform stets zu rechtfertigen, dessen desaströse kulturelle, soziale und ökologische Folgen aber auszuklammern?

„Inglourious Basterds“ hat eine schlicht pornographische Komponente (Darsteller Eli Roth soll den Film „kosher porn“ genannt haben). Er dient als plumpe Masturbationsvorlage für all jene Antideutschen, die dem Kinostart an diesem Donnerstag bereits mit nassen Höschen entgegengefiebert haben. In einer schamlosen Gesellschaft, die aber so gerne die Scham in Reden thematisiert, stände es wenigstens den deutschen Mitwirkenden gut an, sich für ihre Mitarbeit zu schämen.

Foto: Lieutenant Raine (Brad Pitt, M.), Sergeant Stiglitz (Til Schweiger, r.): Ein konventioneller, zähflüssiger Streifen ohne Raffinesse

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen