© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/09 21. August 2009

Im Reich des Alten Dessauers
Die zweite JF-Studienreise führt nach Anhalt-Dessau / JF-Leser erleben das Wörlitzer Gartenreich
Hans Joachim Kessler

Bereits die erste Begegnung mit dem Dessau-Wörlitzer Gartenreich ließ am Anreisetag staunen: welch eine Landschaft! Hier wechseln sich die Auen und Auenwälder der weitgehend natürlichen Flußläufe von Elbe und Mulde mit einzigartigen Parks ab. Jenseits gewaltiger Deiche zieht der Strom seine Bahn, dann verbinden malerische Kanäle kleine und größere Seen, schaffen unglaublich schöne Sichtachsen. Der Wörlitzer Park ist dafür berühmt. Das läßt sich auf Schritt und Tritt bei einer ersten Wanderung durch den weit über 100 Hektar großen Wörlitzer Park feststellen.

Eine Ouvertüre, auf die ein fulminanter erster Akt folgt: Die Schritte und Tritte spielen an diesem Ort durchaus eine herausragende Rolle, erst recht, wenn man in die Geschichte des kleinen Ländchens dringt und auf „Schnurrbart“ – den Alten Dessauer – stößt. Zu seiner Zeit war es freilich noch nicht möglich, die Wörlitzer Parklandschaft von einer Gondel aus zu erleben. Heute ist dies, vor allem bei untergehender Sonne und aufgehendem Mond, die wohl schönste Art, die Parkanlage zu genießen. Gibt es dazu noch auf der Gondel ein delikates italienisches Essen, dann ist man tatsächlich im Gartenreich angekommen. Wer nun meint, damit wäre das Pulver bereits verschossen, der hat die Rechnung ohne ihn, den „Alten Dessauer“, gemacht.

Der legendäre Haudegen in preußischen Diensten schuf mit gewiß nicht ganz unumstrittenen Methoden die Voraussetzungen für ebenjene Gefilde: Fürst Leopold von Anhalt-Dessau kaufte kurzerhand den größten Teil aller gutsherrschaftlichen Besitzungen auf, verfügte damit über mehr als 80 Prozent des gesamten Landbesitzes, war den Landadel los und regierte als einziger deutscher Fürst völlig absolutistisch. Das Fürstentum, anfänglich noch schwer von den Folgen des Dreißigjährigen Krieges gezeichnet, blühte rasch wieder auf. Das in die fürstliche Kasse fließende Geld wurde auch zum Bau des Schlosses Mosigkau genutzt. Die unverkennbar barocken, dennoch eher schlichten Formen des imposanten Baus lassen dessen innere Pracht kaum ahnen. Um so überraschender die Ausstattung der Räume, die Opulenz des Bildersaals. Das Schloß, ein Geschenk Leopolds an seine Tochter Anna Wilhelmine, wurde auf deren Betreiben nach 1780 in ein adliges Fräuleinstift verwandelt. Die letzte Stiftsdame, die hier noch zu DDR-Zeiten sehr zum Verdruß der kommunistischen Obrigkeit lebte, war eine Freifrau von Lettow-Vorbeck.

Der Mosigkauer Schloßpark und die norddeutsch-nüchterne Barockarchitektur des Schloßensembles scheinen fast wie eine Vorwegnahme dessen, was an den klassizistischen Schlössern Georgium, Großkühnau und am Luisium in Vollendung zu beobachten ist. An diesen Orten wird die Großräumigkeit des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches abermals spürbar, dessen Zentrum, das Dessauer Schloß, während des verheerenden Bombenangriffs am 7. März 1945 in Schutt und Asche sank. Damit teilte das Residenzschloß das Schicksal der Dessauer Innenstadt, die zu 85 Prozent zerstört wurde. Der architektonische und kulturelle Substanzverlust ist noch immer allgegenwärtig und schmerzlich spürbar – vor allem dann, wenn man die Rolle Dessaus während der Regentschaft des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz in Betracht zieht. Noch nie hatten bis dahin ein Land und seine Bevölkerung so am materiellen und geistigen Vermögen eines fürstlichen Hofes teilgehabt wie unter „Vater Franz“ – so die liebevolle Bezeichnung des Fürsten. Die Leidenschaft für das Militär ist Franz allerdings fremd. Sein Credo: in einem aufgeklärten Land ein gebildetes Volk mit Verstand regieren. Die Schloßparks werden öffentlich zugängliche „Schau- und Lehrräume“, in denen nicht nur die Schönheit der Landschaftsgärten, sondern auch die unterschiedlichsten landwirtschaftlichen Anbauverfahren und Wirtschaftsformen zu besichtigen sind. Selbst ein Kuhstall darf da im Park nicht fehlen.

Berühmt ist das Dessauer Philanthropin, eine der frühen, herausragenden Reformschulen, in denen auch der praktische, anschauliche Unterricht einen wichtigen Platz einnahm. Und vor allem: Hier sind auch die Wurzeln den Schulsports zu finden. Das Musterbeispiel Dessau-Wörlitz wird deshalb rasch Ziel zahlreicher Reisender aus benachbarten Ländern und europäischen Staaten. Ein Grund dafür ist auch die massenhafte Verbreitung von Grafiken durch die Chalkographische Gesellschaft. Hierdurch sollten einerseits Kenntnisse von fernen Ländern und bedeutenden Orten der klassischen Antike, andererseits aber auch Bilder aus dem Fürstentum Anhalt-Dessau vermittelt werden. Kenntnisse zu vermitteln, ohne permanent belehrend zu wirken – dieser Gedanke wird bis heute allenthalben im Dessau-Wörlitzer Gartenreich deutlich. So sind im Wörlitzer Park 14 verschiedene Brückenformen und eine Furt zu finden, die beispielhaft einen Einblick in die weltweite Entwicklung der Brückenbautechnik vermitteln, so auch in jene der Inkas, Chinesen, Niederländer und Italiener.

Ganz anders sind die Eindrücke, die während einer Tagesfahrt nach Magdeburg gesammelt werden konnten. Zunächst ging die Reise nach Zerbst und zum nahegelegenen Schloß Dornburg. Die alte Residenzstadt Zerbst hat durch ihre fast völlige Zerstörung am 16. April 1945 ihren Glanz für immer verloren. Der Anblick der geschundenen Stadt ist nach wie vor erschütternd, vor allem, wenn man bedenkt, daß Zerbst im 18. Jahrhundert ein anhaltinischer Musenort mit wunderbarer Architektur war. Das Schloß Dornburg, eine Inkunabel anhaltinischer Barockbaukunst, läßt den Zerbster Substanzverlust ahnen. Aus Anhalt-Zerbst stammt übrigens auch die russische Zarin Katharina die Große, für deren standesgemäßen Aufenthalt in der Heimat das prachtvolle Schloß Dornburg gedacht war. Die Kompositionen Johann Friedrich Faschs vermitteln immer noch ein zeitgenössisches Klangerlebnis.

Einem anderen Großen der Geschichte galt dann der Aufenthalt in Magdeburg. Im 1209 gegründeten Dom konnten die Reiseteilnehmer die Grabstätte Ottos des Großen besichtigen, ein Eindruck, der um ein Vielfaches durch das Erleben der majestätischen Kathedrale gesteigert wurde. Ganz in der Nähe des 800jährigen Domes waren wiederum Spuren des „Alten Dessauers“ zu finden, der als Gouverneur der größten preußischen Festung lange Zeit die Geschicke Magdeburgs bestimmte. Wie sehr die Stadt auch von der Elbe beeinflußt wurde und wird, zeigte neben der Besichtigung des Pretziner Wehrs, einer bedeutenden historischen Hochwasserschutzanlage, auch das Wasserstraßenkreuz, bei dem der Mittelandkanal die Elbe in einer über 700 Meter langen Trogbrücke quert.

Der vorletzte Reisetag war einem eher technischen Thema gewidmet und von Besuchen des Dessauer Bauhauses sowie der dazugehörenden Meisterhäuser des Technikmuseums „Hugo Junkers“  bestimmt. In dessen Ausstellungshalle werden das vielseitige Schaffen Junkers, seine Verbindungen zum Bauhaus und vor allem sein Einfluß auf die Entwicklungsgeschichte der Luftfahrt anschaulich vermittelt. Dazu trägt auch ein originales Flugzeug vom Typ „Ju 52“ bei.

Zum Abschluß der fünftägigen Studienreise folgte ein Besuch in Oranienbaum mit seinem eindrucksvollen Barockschloß, dem daran anschließenden Park und der großartigen Orangerie. Einen imposanten Kontrast bildete die Besichtigung der Baggerstadt Ferropolis, die aus mehreren großen Schaufelrad- und Eimerkettenbaggern sowie zwei gigantischen Bandabsetzern besteht. Die aus dem einst hier betriebenen Braunkohlenbergbau stammenden Geräte markieren eine weitere „Kunstlandschaft“ im Elbe-Mulde-Gebiet.

Ein ähnlich kompaktes und erlebnisreiches Reiseprogramm bietet die nächste und in diesem Jahr letzte JF-Studienreise „Mitteldeutsche Sternstunden“ vom 20. bis zum 24. Oktober. Den Auftakt bildet der Besuch der Magdeburger Ausstellung „Aufbruch in die Gotik“, die anläßlich des 800jährigen Domjubiläums gezeigt wird. Besuche der Dome von Naumburg und Quedlinburg, der Kaiserpfalzen von Memleben und Tilleda am Fuße des Kyffhäusers stehen dabei genau so auf dem Reiseprogramm wie auch ein Weinabend, an dem vollmundige Weine der Saale-Unstrut-Region genossen werden. Buchungen für diese exklusive JF-Studienreise sind noch möglich. Die Teilnehmerzahl ist auf 20 Personen begrenzt.

Fotos: Schloß Mosigkau („Klein-Sanssouci“): Gehört zu den letzten Rokoko-Ensembles Mitteldeutschlands; Chinesische Pagode: Fernöstliche Exotik im Schloßpark Oranienbaum; Eiserne Brücke: Nach englischem Vorbild im Wörlitzer Park erbaut; Barockgalerie: Prächtige Gemälde begeistern die JF-Leser

Weiterführende Informationen und Anmeldeunterlagen für die JF-Studienreisen 2009 und 2010 erhalten Sie bei Dr. Hans Joachim Kessler, per Telefon: 03 43 48 / 545 88 oder per E-Post: drkessler@viatores.de

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