© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/09 28. August 2009

Ein großer Wurf der Universalgeschichte
Henning Ottmanns Mammutwerk über die „Geschichte des politischen Denkens“ strebt mit seinem siebten und achten Band die Vollendung an
Wolfgang Saur

Zu den derzeit fruchtbarsten Buchprojekten kann mit gutem Grund Henning Ottmanns Mammutpublikation gezählt werden. Aller Spezialisierung zum Trotz hat er die Darstellung der politischen Ideenwelt „von den Anfängen bei den Griechen bis auf unsere Zeit“ in Angriff genommen – und ist nicht gescheitert! Von dem auf neun Bände angelegten Unternehmen sind nun der siebte und achte Teil erschienen. 2010 soll der letzte (20. Jahrhundert) folgen. Dann wäre erreicht, was heute nur selten glückt: Universalgeschichte aus einer Hand zu leisten, so wie das etwa Hans-Joachim Schoeps („Deutsche Geistesgeschichte“ 1977–80) oder Mircea Eliade („Geschichte der religiösen Ideen“ 1976–83) gelang.

Henning Ottmann promovierte 1974 bei Nikolaus Lobkowicz über Hegel und habilitierte sich 1983 über „Philosophie und Politik bei Nietzsche“. Er ist auch der Herausgeber des 2000 erschienenen Nietzsche-Handbuchs. 1990 gab er mit Karl Graf Ballestrem die „Politische Philosophie des 20. Jahrhunderts“ heraus und bot dort eine vorzügliche Carl-Schmitt-Einführung. Nach Professuren in Augsburg, Basel und Freiburg lehrt er seit 1995 am Geschwister-Scholl-Institut der Universität München; dort steht er in der Nachfolge Eric Voegelins.

Ottmanns „herkulische Leistung“ (FAZ) begann 2001 zunächst mit den zwei Teilbänden zum antiken Hellas. 2006 eröffnete sein Band III/1 die Neuzeit („Von Machiavelli bis zu den großen Revolutionen“). Diese Sektion schließt nun mit dem „Zeitalter der Revolutionen“ III/2 und den „politischen Strömungen im 19. Jahrhundert“ III/3. Das Ergebnis kann als Glücksfall gelten, verbinden sich doch hochprofessionelles Handbuch mit brillantem Text. Dieser verschmilzt klassische Philosophiehistorie, Biographik und geschichtliche Einbettung. Flüssig ist die Diktion, höchst ergiebig die Dokumentation. Ottmann gliedert die Textabschnitte in Überblicke, Biographisches und Einzelanalysen. Anschließend werden Exponenten in optisch akzentuierten Profilen chronikal resümiert, gefolgt von ausführlichen Werk- und Literaturbibliographien. Der 7. Band (III/2) umschließt drei Themenfelder: Konzepte und Leitfiguren des amerikanischen Freiheitskampfs samt Verfassungsdiskussion, mit Ausblick auf den Bürgerkrieg. Weiter die Französische Revolution in dreißig Kapiteln; unter den zahlreichen Themen finden sich hier Exkurse zum Terrorproblem, den Medien und der neuartigen Politiksymbolik. Besonders interessiert der dritte Teil zum Deutschen Idealismus, der allein Hegel zwanzig Kapitel widmet, darunter tiefschürfende Betrachtungen zu dessen Rechtsphilosophie.

Band 8 (III/3) behandelt die neuen Großideologien: Konservativismus, Liberalismus, Sozialismus und Anarchismus; Tocqueville und Nietzsche werden separat gewürdigt. Wohltuend objektiv und umsichtig rekonstruiert Ottmann das konservative Ideenfeld, dem er historische Legitimität voll zugesteht. „Ob 1750, 1770 oder 1790 beginnend, in jedem Fall hat der Konservativismus“ mit den „in der Revolution kulminierenden Tendenzen zu tun. Er antwortet auf (…) den Progressismus, auf das Pathos des Neuen und des absoluten Neubeginns. (…) Konservative sind um die Kosten der Moderne besorgt.“ Sie stehen zu ihr in radikaler oder „gemäßigter Gegnerschaft. In jedem Fall ist der Konservativismus nicht weniger modern als das, was ihn hervorgerufen hat.“ Neben Restaurativen (Metternich) und Traditionalisten (Haller) gliedert Ottmann den Stoff vierfach: in Reformkonservative, romantische Konservative, Konterrevolutionäre und schließlich Sozialkonservative.

Selten wurde das politische Denken der deutschen Romantik so sorgfältig erörtert. Ottmann profiliert auch die frühsozialistische Zeitkritik und grenzt die Romantiker scharf ab zum Absolutismus, dem sie polemisch oft zugeschlagen wurden. Beim Liberalismus geht es hochgemut in die deutsche Tradition (Rotteck, Dahlmann, Mohl), über die es heißt: „Den frühen Liberalen hat es an Mut nicht gefehlt. (…) Eine Nation, die selbstbewußter wäre (…) als die deutsche, wäre stolz auf solche Denker.“

Umfassend dargestellt wird Marx. Ottmann verbindet scharfsinnige Werk-auslegung samt Forschungsproblemen mit einer systematischen Ausschöpfung. Von hier aus gewinnt der spätere Lenin Kontur, zeigen doch Marx‘ Schriften über Napoleon III. und den französischen Bürgerkrieg 1871 dessen Wandel vom Demokratiekonzept zur Diktatur.

Abschließend gehört die Szene ganz Nietzsche. Der habe metapolitisch enorm gewirkt. Unterschiedlichste Weltanschauungen bezogen sich auf ihn. Eigentlich sei das ganze 20. Jahrhundert von ihm durchsäuert. Das macht ein Aufriß seiner Wirkung deutlich, die von der Konservativen Revolution bis zur Postmoderne und dem aktuellen Feminismus reicht, Nietzsches Zeit mit der Gegenwart verklammert und so zur Einleitung des nächsten Bandes gerät.

Auf diesen Schlußstein einer universalen Ideengeschichte der Politik dürfen wir gespannt sein.

Henning Ottmann: Geschichte des politischen Denkens. Band III/2. Die Neuzeit: Das Zeitalter der Revolutionen. Verlag J. B. Metzler , Stuttgart 2008, broschiert, 348 Seiten, 19,95 Euro

Henning Ottmann: Geschichte des politischen Denkens. Band III/3 Die Neuzeit: Die politischen Strömungen des 19. Jahrhunderts. Verlag J. B. Metzler , Stuttgart 2008 broschiert, 281 Seiten, 19,95 Euro

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