© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

Dramatischer Anstieg des Meeresspiegels möglich
Interview: Der Geowissenschaftler Carsten Rühlemann über CO2, Gletscherschmelze und den Einfl uß des Menschens auf das Weltklima
Wolfhard H. A. Schmid

Herr Rühlemann, vor 15 Jahren ist die UN-Klimarahmenkonvention in Kraft getreten. Seither gab es 14 Weltklimakonferenzen, die nächste findet im Dezember in Kopenhagen statt. Dennoch werden nach wie vor die Ursachen für die weltweite Klimaveränderung kontrovers diskutiert. Wo sehen Sie die Hauptgründe dafür?

Rühlemann: Wissenschaftlich sehe ich keine kontroverse Diskussion über die Ursachen der Klimaveränderung. Diese wird wohl nur in den Medien geführt. Eine Gallup-Umfrage hat ergeben, daß 97 Prozent der Klimaforscher der Meinung sind, daß menschliche Aktivitäten ein signifikanter Faktor bei der Veränderung der globalen Temperatur sind.

Deutet der Rückgang der Gletscher in den Alpen auf eine Klimaerwärmung hin?


Rühlemann: Im 20. Jahrhundert haben die meisten Gebirgsgletscher der Erde an Fläche, Länge und Volumen verloren. Dieser gleichzeitige weltweite Gletscherschwund ist einzigartig im Vergleich zu den vergangenen Jahrtausenden und das deutlich erkennbare Zeichen für den raschen globalen Temperaturanstieg.

Über das Eis in der Arktis und Antarktis gibt es widersprüchliche Aussagen.

Rühlemann: Für die Abnahme der grönländischen Eismassen sind zwei Faktoren verantwortlich. Zum einen das Abschmelzen des Eises, das etwa die Hälfte des Verlustes ausmacht. In der Arktis ist die Erwärmung mehr als doppelt so stark wie im globalen Durchschnitt. Zum anderen führt das Schmelzen der Eismasse an seinem Rand zu einem allmählichen Nachfluß von Inlandeis in das Meer. Aktuelle Beobachtungen zeigen jedoch so hohe Schwankungen in der Eisdynamik Grönlands, daß sich daraus kein klarer Trend für die Zukunft ableiten läßt. In der Antarktis spielt das Abschmelzen der Gletscheroberfläche kaum eine Rolle. Hier gilt das Hauptaugenmerk dem möglichen Abgleiten des westantarktischen Eisschildes in den Ozean. Falls es durch die Erwärmung des Ozeans zu einem solchen Abgleiten kommt, wäre ein Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter möglich. Modelle, mit denen das Verhalten des Eisschildes in einer sich weiter erwärmenden Welt simuliert werden kann, sind jedoch noch unzureichend. Die Reaktion der Westantarktis auf die globale Erwärmung bleibt deshalb eines der großen Fragezeichen der Zukunft.

Wissenschaftliche Untersuchungen an Eis-Bohrkernen aus der Antarktis haben gezeigt, daß erst nach einer Wiedererwärmung die CO2-Konzentration der Luft angestiegen ist. Das bedeutet doch eine Umkehrung von Ursache und Wirkung?

Rühlemann: Richtig ist, daß Studien an Eiskernen zeigen, daß die antarktischen Temperaturen an den Übergängen von Eis- zu Warmzeiten im Mittel 800 Jahre vor dem Anstieg der CO2-Konzentration zunehmen. Dieser Anstieg von Temperatur und CO2 erstreckt sich jedoch insgesamt über etwa 5.000 Jahre. Die Ursache für den früheren Temperatur­anstieg war offenbar eine Zunahme der Sonneneinstrahlung während des Frühjahrs in der Antarktis – hervorgerufen durch Änderungen in der Neigung der Erdachse. CO2 spielte in dieser Phase noch keine Rolle. Die weiteren 4.200 Jahre der Erwärmung sind hingegen sehr wohl durch den dann stattfindenden CO2-Anstieg beeinflußt worden. Modellrechnungen zeigen, daß CO2 für die klimatischen Schwankungen zwischen Eis- und Warmzeiten eine wichtige Rolle als Verstärker gespielt hat und daß die globalen Änderungen der Temperatur von vier bis sechs Grad Celsius (°C) auf diesen Zeitskalen ohne den Einfluß des CO2 nicht erklärbar sind.

Bieten Meßtechnik und die Positionierung der Meßstellen auf unserer Erde genügend Sicherheit für fundierte wissenschaftliche Aussagen? Ist nicht oft die Verstädterung in vielen Gebieten, wo Langzeitmeßstellen eingerichtet wurden, Ursache für die Messung von höheren Temperaturen?

Rühlemann: Obwohl ich kein Experte für Meßtechnik bin, kann ich bestätigen, daß dieser Effekt tatsächlich festgestellt wurde. Vergleichende Langzeitmessungen haben allerdings auch gezeigt, daß der Unterschied bei einem über ein Jahrzehnt gemessenen Temperaturanstieg von etwa 0,25 °C auf den Kontinenten nur 0,006 °C beträgt. Trotz der Geringfügigkeit wird dieser Wärmeinsel-Effekt bei der Berechnung der globalen Mitteltemperaturen berücksichtigt.

Wird der Einfluß der Sonne mit ihrer unterschiedlichen Energieabstrahlung dabei nicht vergessen? Es gibt Aussagen von Forschern, daß sich ihr Einfluß auf unser Klima in den letzten Jahrhunderten lückenlos nachweisen läßt. Wie stehen Sie dazu?

Rühlemann: Die Sonneneinstrahlung ist die wichtigste Energiequelle der Erde, und ihr Einfluß auf das Klima ist unbestritten. Klimaänderungen können jedoch unterschiedliche Ursachen haben, und je nach betrachtetem Zeitraum ist der Einfluß der verschiedenen Faktoren unterschiedlich. So verändert sich etwa die Neigung der Erdachse im Rhythmus von 40.000 Jahren. Weiterhin ändert sich die der Erdachse mit einer Periode von 23.000 Jahren. Beides zusammen führt zu Schwankungen in der regionalen Verteilung der Sonneneinstrahlung und damit zum Aufbau bzw. Abschmelzen der arktischen Gletschermassen auf Zeitskalen von Zehntausenden von Jahren, also im Zyklus der Eis- und Warmzeiten. Die Änderung der Ausrichtung der Erdachse muß man sich wie einen Spielkreisel vorstellen, der am Ende seiner Rotation zu „eiern“ beginnt. Dazu haben geringfügige Schwankungen in der Strahlungskraft der Sonne zu klimatischen Variationen geführt, auch in den letzten Jahrhunderten. Die Sonnenaktivität kann seit 1978 direkt mit dem Satelliten gemessen werden. Seitdem konnten zwar zyklische Schwankungen nachgewiesen werden, aber kein zunehmender Trend. Damit kommen Änderungen in der Strahlungskraft der Sonne als Ursache für die deutliche globale Erwärmung in diesem Zeitraum nicht in Betracht.

Entgegen der Auffassung des Weltklimarats (IPCC) gibt es Wissenschaftler, die meinen, daß die Wirkung der Emission von Treibhausgasen völlig überschätzt wird.


Rühlemann: Der IPCC-Bericht gibt den Stand der Wissenschaft wieder. Es ist aber nicht so, daß andere Meinungen nicht gehört werden. Die Beweislage spricht allerdings eindeutig dafür, daß die wichtigsten Ursachen für die Erwärmung eine Zunahme klimawirksamer Gase, der Einfluß der Aerosole und Veränderungen der Vegetation sind.

Von Ihrem Kollegen Georg Delisle, der Permafrostböden in der kanadischen Arktis untersuchte und satellitengestützte Vermessungen des antarktischen Eisschildes durchführte, gibt es konträre Aussagen zum IPCC-Bericht 2007. Nachdem diese öffentlich wurden, fühlte sich das Umweltministerium veranlaßt, Ihre Bundesanstalt als „gekaufte Vasallen der Energie-Industrie“ zu bezeichnen. Ein Vorwurf, unter dem Ihre Arbeit heute noch leidet?


Rühlemann: Nein! Diese Aussage des Umweltministeriums, wenn sie denn so gefallen ist, hat keinen Einfluß auf unsere wissenschaftliche Arbeit. Kollege Delisle hat mit seinen Untersuchungen auf dem Gebiet des Paläoklimas wertvolle Arbeit geleistet. Wir sind in der Forschung des Klimas in der geologischen Vergangenheit tätig. Weiterhin im Bereich der von der EU geförderten Carbon Dioxide Capture-Forschung (CCS), also der Abtrennung von CO2 aus großen Kraftwerken und Industrieanlagen und dessen langfristiger Speicherung in tiefen geologischen Untergrund. Darüber hinaus untersuchen wir den Einfluß des Klimawandels auf Bodeneigenschaften und Wasserverfügbarkeit sowie Strategien zur Anpassung.

Das Forschernetzwerk American Geophysical Union (AGU) hat eine vor zwei Jahren von Deslisle veröffentlichte wissenschaftliche Arbeit zum „AGU Journal Highlight“ gekürt. Was sagen Sie dazu?

Rühlemann: Die Ehrung ist berechtigt. Eine sehr gute Arbeit über die Untersuchung von Permafrostböden, die zeigt, daß das zukünftige Auftauen dieser Böden in einer sich erwärmenden Welt wohl nicht so schnell vonstatten geht wie von vielen Wissenschaftlern befürchtet. Allerdings sind Abschätzungen über die Zukunft der Permafrostböden und das damit verbundene mögliche Entweichen eines weiteren Treibhausgases, des Methans, nur ein Teilaspekt in der Abschätzung der Änderung des Weltklimas.

 

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