© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

WIRTSCHAFT
Gang in die Archive
Wilhelm Hankel

Die Forschungsinstitute, Wirtschaftsweisen und Journalisten haben sich bei der Vorhersage der Weltwirtschaftskrise unendlich blamiert. Das soll dieser Vorhersageindustrie mit dem Ende der Krise nicht noch einmal passieren. Deswegen sieht sie es beim kleinsten Nachlassen des Unwetters bereits gekommen. Doch das dürfte ihr zweiter Reinfall werden. Einige Banken verdienen zwar wieder ordentlich, sitzen aber noch immer auf Milliarden Schulden, die darauf warten, von Staat und Steuerzahler übernommen zu werden. Die Wirtschaft leidet mehr denn je unter Auftrags- und Absatzmangel und dem sich häufenden Kreditausfall. Noch sehr viel länger wird sie die über eine Million an Kurz- und Zeitarbeitern nicht weiter halten können. Der „Erfolg“ der sogenannten Abwrackprämie für Autos reißt nach den Bundestagswahlen das nächste Konjunkturloch auf.

Deutschland als Exportweltmeister I oder II steckt mehr denn je in der Klemme zwischen der Billigkonkurrenz der einen und der Misere der anderen. Die Abnehmer aus den EU- und Euro-Ländern müssen erst saniert werden (hoffentlich nicht mit deutschem Geld), ehe sie wieder kaufen können. Man muß schon an Wunder glauben, um das Wirtschaftswunder des Krisenendes wahrnehmen zu können. Krisenverläufe sind nichts für Buchstabenspiele: V für rasche Erholung nach dem Einbruch, U für eine etwas breitere Talsohle oder L für gar keine. Die Experten sollten sich an das Kürzel für die Quadratwurzel erinnern: eine kurze Zwischenerholung und dann eine gerade Linie für Stagnation. Krisen kommen immer dann, wenn die Erinnerung an die letzte verblaßt ist. Ohne sie dauern sie auch lange. Deswegen lohnt sich für Experten und Politiker der heutigen Generation der Gang in die Archive.

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