© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

In die Luft geschrieben
In der Schwebe: Botho Strauß’ „Leichtes Spiel“ um Mann und Frau
Michael Wiesberg

Botho Strauß’ jüngstes Theaterstück „Leichtes Spiel. Neun Personen einer Frau“, im März dieses Jahres erschienen, hat mittlerweile eine fulminante Uraufführung im Münchner Residenztheater hinter sich. Einmal mehr zeichnete für die Inszenierung Dieter Dorn, Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels, verantwortlich, der nun bereits zehn Theaterstücke von Strauß zur Aufführung gebracht hat.

Daß es sich auch hier, entgegen dem Titel, keinesfalls um ein „leichtes Spiel“ für Theaterbesucher oder Leser dieses Stücks handelt, versteht sich bei Strauß von selbst. Die Kritik fiel bisher einmal mehr zwiespältig aus; sie rieb sich zum Teil an den „komplizierten Texten“, zum Teil aber auch an der „unterschwelligen Untergangsstimmung“ des Stücks. Völlig überfordert von dessen Inhalt schien Christopher Schmidt von der Süddeutschen Zeitung zu sein, der auf der einen Seite eine „pompöse Petitesse“ gesehen zu haben glaubte, auf der anderen Seite aber konstatierte, daß Strauß’ „Leichtes Spiel“ ein „Brocken“ sei, „an dem sich mehrere Generationen die Zähne ausbeißen können“.

Handlungsträger sind in diesem aus zehn Episoden bestehenden Theaterstück immer Frauen. Schnell drängt sich die Frage auf, ob es sich hier um verschiedene Frauen handelt (die als Katja, Kathinka, Kattrin, Kitty oder Käthe auftreten) oder um eine einzig, die sich in neun „Gesichtern“ spiegelt. Alle diese neun Frauen treten häufig, in völlig verschiedenen Kontexten, in einen Dialog mit einem Mann – so zum Beispiel in einem Supermarkt, in der eine junge Mutter mit einem Fremden ins Gespräch kommt und dafür von ihrer Schwester gemaßregelt wird. Dann erscheint eine Frau, die ihren „Teamleiter“ von der Qualität ihrer Projektkonzepte zu überzeugen versucht. Sie muß allerdings erkennen, daß ihr Selbstbewußtsein eher als „störend“ empfunden wird und auf seiten der Männer Bissigkeit und Distanz hervorruft.

Fast schon „männliche“ Züge weist eine andere Frau auf, die ihre Partner rein nach dem ökonomischen Nutzenkalkül auswählt. Zum „Enfant terrible“ wird „die Ungehörige“, die auf einer Party, auf der ein Mörder seine Geschichte zum besten gibt, den Gästen und vor allem dem Mörder selbst gehörig auf die Nerven geht und die Party zum Platzen bringt.

Allen Episoden ist gemeinsam, daß sie sich vordergründig um Liebe, Anerkennung und – geglückte und weniger geglückte – Kommunikation drehen. Strauß wäre aber nicht Strauß, wenn diese Vordergründigkeit nicht in immer neuen Anspielungen auf Grundsätzliches verweisen würde.

Ein Schlüssel für dieses Theaterstück sind möglicherweise die „drei alten Männer“ der vierten Episode, ein deutlicher Hinweis auf Gottfried Benns wenig „zeitgeistkonformes“ Hörspiel aus dem Jahre 1949, wie bereits Till Röcke in einer Besprechung auf den Internetseiten der Blauen Narzisse zu Recht angemerkt hat. Ähnlich wie die drei Alten in ihrer geistigen Verortung kaum zu unterscheiden sind, sind wohl auch Strauß’ neun Frauen „neun Personen einer Frau“. Der Kommentar hierfür wird in Benns Hörspiel geliefert: „Jeder könnte alles sprechen. Die Individualitäten differenzieren sich nicht mehr voneinander durch ihre Sentenzen.“

Ganz im Sinne Benns dürfte Strauß die nur scheinbar strittige Frage, ob es sich nun um eine oder um neun Frauen handelt, bewußt offengelassen haben: „Heute kann nur alles in der Schwebe bleiben, sonst ist es unecht u. unzeitgemäß.“ Und womöglich war noch eine andere Wendung Benns für Strauß leitmotivisch: Benns Hörspiel will „den ganzen Nonsens“ menschlicher Existenz vor Augen führen, die „Wirklichkeiten einer Masse“, von der einer der alten Männer sagt, er sei nicht schlau aus ihr geworden. Bei Strauß klingt das so: „Da gibt’s immer einen, der mir die Welt verklickert. Da gibt’s den zweiten, der mir alles wieder zermurmelt.“

Der „ganze Nonsens“ des Lebens mündet bei Strauß schließlich in der Figur des „späten Mädchens“, in dem, wenn man so will, alle bis dahin dargestellten Charaktere vereinigt werden. Das Fazit, das dieses „späte Mädchen“ zieht, ist allerdings schwermütig, blieb sie letztlich doch allein und muß sich eingestehen: „Die Sache zwischen Mann und Frau, ich, für meine Verhältnisse, steh da wieder ganz am Anfang. (…) Meine Ziele waren vermutlich zu hoch gesteckt.“
Strauß’ neue Gesellschaftskomödie gibt dem Theaterbesucher auch diesmal wieder jede Menge Fragen auf. Die Art und Weise, wie Strauß es schafft, „das Schwerste noch in die Luft zu schreiben“ (FAZ), macht ihn zu einem Solitär im bundesdeutschen Theaterbetrieb.

Foto: „Leichtes Spiel“, in München inszeniert von Dieter Dorn: „Meine Ziele waren wohl zu hoch gesteckt“

Botho Strauß: Leichtes Spiel. Neun Personen einer Frau. Rowohlt, Reinbek 2009, gebunden, 108 Seiten, 17,90 Euro

Die nächsten Vorstellungen im Residenztheater München, Max-Joseph-Platz 1, finden statt am 30. September, 1. und 10. Oktober. Kartentelefon: 089 / 21 85 19 40

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen