© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/09 04. September 2009

Gebaut auf Lug und Trug
Die hochsubventionierte Landwirtschaft in den neuen Bundesländern im Griff eines roten Interessenkartells aus alten DDR-Seilschaften
Klaus Peter Krause

Mit der deutschen Wiedervereinigung haben politische Führung, alte SED-Kader und Deutscher Bauernverband die Landwirtschaft im einstigen Mitteldeutschland auf Lug und Trug gebaut. Auf welche Weise und zu wessen Schaden, beschreibt umfassend ein Buch von Jörg Gerke. Für den Schaden macht Gerke das Konglomerat aus einstiger SED-Agrarnomenklatura, Agrarverwaltung, Agrarpolitik, Agrarberichterstattung und der Agrarlobby in Gestalt der fünf Landesbauernverbände verantwortlich, die zum Deutschen Bauernverband (DBV) gehören. Er bezeichnet dieses Netzwerk als das „ostdeutsche Agrarkartell“. Dieses Kartell stütze einseitig die meist in Rechtsform einer GmbH geführten Großbetriebe.

Diese Landwirtschaftsfabriken mit vielen hundert oder tausend und mehr Hektar sind nach 1990 meist aus den einstigen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) der DDR-Zeit hervorgegangen oder vom Personal der einstigen DDR-Agrarkader gegründet worden. Vor allem sie wurden und werden mit zusätzlichen Subventionen, wie Gerke schreibt, „überschüttet“. Denn seit der Wiedervereinigung hat die mitteldeutsche Landwirtschaft neben den Direktbeihilfen eine Vielzahl von Sondersubventionen und Vergünstigungen erhalten, aber nicht über alle Größen und Betriebsformen gleichmäßig verteilt, sondern die Großbetriebe wurden deutlich bevorzugt, die bäuerlichen Familienbetriebe massiv benachteiligt.

Aber trotz dieser Bevorzugung sind die Großbetriebe wirtschaftlich schwach. Gerke macht das schon mit einer einfachen Berechnung klar. Seine Folgerung daraus: Die mitteldeutschen Großbetriebe hängen von der Subvention weit stärker ab als die bäuerlichen Familienbetriebe. Ohne die Subvention gäbe es diese Großbetriebe gar nicht, und auch die mitteldeutsche Landwirtschaft wäre dann wie die westdeutsche familienbäuerlich verfaßt und wirtschaftlich stabiler.

Dafür, daß es diese familienbäuerliche Struktur in den östlichen Bundesländern nicht gibt, haben zum einen die alten ländlichen DDR-Strukturen mit ihrem alten Agrarverwaltungspersonal und ihren Agrarpolitikern gesorgt. Daran beteiligt haben sich zum anderen westdeutsche Politiker und Agrarfunktionäre. Dabei könne, schreibt Gerke, die Rolle des DBV als Lobbyist für die DDR-Agrarstrukturen in der bereinigten Bundespolitik gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, was er an Beispielen belegt. Das Ergebnis: „Das Nachsehen hatten diejenigen Bauern, die schon in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und DDR in den vierziger und fünfziger Jahren unterdrückt und verfolgt wurden und die, ohne Einfluß in diesem Lobbysystem, am Betriebswiederaufbau nach der Wende massiv behindert oder zumindest stark benachteiligt wurden.“ Erst die Ausbildung einer neuen Form von kartellartigen Seilschaften im Agrarbereich habe die Pfründen und Privilegien der alten LPG-Kader sowie einiger westdeutscher Agrarfunktionäre und Agrarindustrieller gesichert.

Die Fülle dessen, was Gerke schildert und anprangert, läßt sich in einer Rezension nicht ausbreiten, nur andeuten. Der Leser erfährt, wie sich die Macht des Agrarkartells äußert, wie Daten und Fakten von ihm erfunden und gefälscht werden, welche schlimme Rolle die von der SED gegründete Bauernvereinigung VdgB in der DDR gespielt hat, wie sie von 1990 an mit DBV-Hilfe in den fünf mitteldeutschen Landesbauernverbänden aufging, wie die DBV-Spitze im wesentlichen alle wichtigen Forderungen der LPG-Nachfolger und DDR-Kader zu den eigenen gemacht hat, wie der vorgebliche Rechtsstaat durch bis heute ungeahndete Lügereien der Regierung Kohl die in der SBZ-Zeit 1945 bis 1949 entzogenen Agrarvermögen den damals politisch verfolgten Familien nicht zurückgegeben hat, warum er die von der DDR rechtsstaatswidrig erzwungene Agrarstruktur nach 1990 nicht wieder in eine bäuerliche übergeleitet hat, wie unterschiedlich die Direktbeihilfen auf Groß- und Familienbetriebe wirken, wie die staatliche Treuhand und später ihr Ableger BVVG den mitteldeutschen Bodenmarkt beherrscht und den Aufbau einer bäuerlichen Landwirtschaft bis heute erschwert und verhindert, warum die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) gegen die BVVG Strafanzeige erhoben, daß aber die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt hat sowie vieles andere mehr.

Eigene Buchkapitel befassen sich mit den Altschulden der LPG-Nachfolger aus der DDR-Zeit und ihrer wettbewerbsverzerrenden Wirkung zu Lasten der bäuerlichen Betriebe, mit der agrarkartellnahen, kritiklosen Rolle der Medien für die Entwicklung der DDR-Agrarwirtschaft nach 1990, mit der katastrophalen Rolle der mit Altkadern durchsetzten politischen Parteien – nicht nur der Linkspartei, sondern auch der „Blockflöten“-Parteien – bei dieser Entwicklung sowie mit dem Versagen gerade der marktliberalen Agrarökonomen im mitteldeutschen Transformationsprozeß. Im letzten Kapitel setzt sich Gerke mit vier Vorschlägen für eine notwendige und mögliche andere Agrarpolitik in Mitteldeutschland ein. Einer davon ist der, die Höhe der Direktbeihilfen an die in den Betrieben beschäftigten Arbeitskräfte zu binden.

Jörg Gerke: Nehmt und euch wird gegeben. Das ostdeutsche Agrarkartell. Bauernlegen für neuen Großgrundbesitz und Agrarindustrie. ABL Bauernblatt Verlags GmbH , Hamm 2008, broschiert, 336 Seiten, 27,40 Euro

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