© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/09 11. September 2009

„Deine Hochfrisur ist ein Markenzeichen“
Geschichtspolitik: Eine Berliner Diskussionsrunde zum deutsch-polnischen Verhältnis gerät zum Heimspiel für die SPD-Politikerin Gesine Schwan
Christian Rudolf

Wer erfahren wollte, was ein bundesdeutscher Debattenzirkel ist, der konnte jüngst wieder Anschauungsunterricht  bei der Friedrich-Ebert-Stiftung erhalten. Fein, wenn man von vornherein nur Vertreter eines einzigen politischen Lagers einlädt, das garantiert in jedem Fall – so die Moderation – „spannende und interessante Vorträge“. Na, Gesine Schwan ist immer für einen unterhaltsamen Abend gut, und so nimmt man’s von der humorigen Seite, wenn über die „deutsch-polnischen Beziehungen im Wandel“ aus SPD-Sicht reflektiert wird.

Noch vor dem polnischen Ex-Präsidenten Aleksander Kwaśniewski ist die deutsche Ex-Präsidentschaftskandidatin der Star in der Runde. Der polnische Botschafter in Deutschland Marek Prawda lobt sie in der Einführung als „Klassikerin eines niveauvollen deutsch-polnischen Gesprächs“ und gibt den duz-freundschaftlichen Ton der Gesellschaft vor: „Deine hohen Standards, deine Hochfrisur, sind Markenzeichen im deutsch-polnischen Verhältnis.“

Kwaśniewski rekapitulierte in seiner Rede den Stand der bilateralen Beziehungen und machte den zurückgelegten Weg bewußt. Angesichts der Ausgangsbedingungen vor zwanzig Jahren könne man nur von einem „Wunder der Versöhnung“ sprechen. „Heute sind wir mit den Deutschen im selben militärischen Bündnis! Das ist historisch ohne Analogie.“

Europa müsse sich unbedingt weiter integrieren, „pathologische Erscheinungen wie der Nationalismus“ wirkten dabei nur hemmend, die „Vertriebenen und die Steinbach-Bewegung“ als „große Komplikation“.

Wie gut, daß es da die Koordinatorin der Bundesregierung für die deutsch-polnische Zusammenarbeit gibt. „Einen solchen Freund wie Gesine Schwan zu haben, ist ein großes Glück“, lobte sie Kwaśniewski, und die zahlreich im Publikum vertretenen polnischen Studenten strahlten.

Schwans Anliegen war die angebliche Asymmetrie der Erinnerung in beiden Ländern. In Polen würde seit Monaten der 70. Jahrestag des Kriegsausbruchs thematisiert, in Deutschland habe der 1. September als Gedenktag jedoch immer im Hintergrund gestanden. Vielleicht, weil der „brutale Überfall auf unseren Nachbarn“ früher eine „zu große Hürde“, weil der „Vernichtungscharakter des Krieges“ gegen Polen nicht so bewußt gewesen sei. Aber die vorbildliche Volksaufklärung der ehemaligen Universitäts-Präsidentin wird uns schon das Richtige lehren. „Nicht, um nachfolgenden Generationen der Täter ein schlechtes Gewissen zu machen, doch Normalität wird es nicht geben“. Denn: „Polen war Opfer seit dem 18. Jahrhundert.“

Schwan kritisierte, daß es in Erinnerungsdingen einen „Zwang zu patriotischer Einheitlichkeit“ gebe; verfestigte homogene Versionen würden so beständig aufeinanderprallen. „Mehr Toleranz“ empfahl sie und machte sich für heterogene Sichtweisen auf die Geschichte stark. Daß sie damit nur rhetorische Nebelkerzen warf und an eine Lockerung der geschichtspolitischen Zügel keineswegs gedacht war, verdeutlichte sie so: Eine gemeinsame deutsch-polnische Geschichtsinterpretation komme nicht zustande, weil „Schuld und Scham“ und „Loyalitätsdruck“ in den deutschen Familien das verhinderten. Das heißt: Mehr Toleranz gegenüber der allein richtigen polnischen Geschichtsdeutung. „An Bismarck haben beispielsweise deutsche nationalgesinnte Protestanten eine andere Erinnerung als Katholiken und Sozialdemokraten.“ Die neigten eher, so Schwan, zur kritischen polnischen Sicht auf den Eisernen Kanzler.

Gäbe es da nicht eine „kleine Gruppe in der deutschen Gesellschaft“, die die Alleinschuld beseitigen wollte: „Da müssen wir sehr drauf achtgeben.“

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